# taz.de -- Vom VW-Gesetz lernen: Vorbild Niedersachsen
       
       > Bund und Länder erwägen, dem Autobauer Opel durch eine Staatsbeteiligung
       > zu Hilfe zu kommen. Funktionieren könnte das so wie in Niedersachsen, wo
       > das Land schon immer bei VW beteiligt ist. Die taz nord zeigt, dass
       > Niedersachsen auch in vielen anderen Bereichen Vorbilder für die Republik
       > liefert.
       
 (IMG) Bild: Echte Stars, Made in Lower Saxony: Die Scorpions haben der Welt den "Wind of Change" geschenkt.
       
       Opel sieht Probleme auf sich zu kommen. Große Probleme. Denn Opel gehört
       zum US-Konzern General Motors (GM) - und den hat die Finanzkrise massiv
       erwischt. Schon diskutieren Politiker im ganzen Land, wie Opel noch zu
       retten ist. Längst nicht alle finden die Idee gut, dass der Staat sich an
       Opel beteiligt. Aber die, die diese Idee gut finden, verweisen auf ein
       Modell aus Niedersachsen: das legendäre
       
       ## VW-GESETZ
       
       Es trat 1960 in Kraft, als die Volkswagen GmbH in eine Aktiengesellschaft
       umgewandelt wurde. Im Kern geht es um die Sperrminorität von 20 Prozent bei
       der VW-Hauptversammlung. Die sichert dem Land Niedersachen, das gut 20
       Prozent der VW-Aktien hält, ein Vetorecht bei wichtigen Entscheidungen zu.
       Außerdem hatte Niedersachsen das Anrecht auf zwei Aufsichtsratsmandate -
       unabhängig von der Höhe des Aktienbesitzes. Dieses Anrecht ist seit 2007
       aufgehoben, nachdem die EU-Kommission erfolgreich gegen das Gesetz klagte.
       
       Der EU-Kommission ist das Gesetz seit Jahren ein Dorn im Auge: Deutschland,
       so die Kritik, verstoße damit gegen den freien Kapitalverkehr innerhalb der
       EU. Im vergangenen November beschloss deshalb der Bundestag eine Neufassung
       des Gesetzes. Darin enthalten sind zwei für deutsche Aktiengesellschaften
       ungewöhnliche Vorschriften: Erstens soll für "die Errichtung und Verlegung
       von Produktionsstätten" von VW eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Aufsichtsrat
       notwendig sein. Damit sind Werksschließungen gegen den Willen der
       Arbeitnehmervertreter unmöglich. Zweitens bilden nach wie vor 20 Prozent
       der Aktien eine Sperrminorität. Niedersachsen redet also weiter mit.
       Vorbildlich!
       
       ## DIE CHEF-ENTSORGER
       
       Der Gemeinsinn ist spätestens seit der Regentschaft Ernst Albrechts Zeiten
       fest ins kollektive Bewusstsein der Niedersachsen eingeschrieben. Das Land
       zwischen Ems und Elbe opferte sich einst für den Fortschritt der ganzen
       Republik: Fast wäre es nichts geworden mit der strahlenden Zukunft
       Deutschlands, weil irgendwer permanent fragte, wo denn der Atommüll bleiben
       solle. Die Bayern wollten zwar auch den billigen Strom - aber die
       Wiederaufbereitung der Brennstäbe bekamen sie nicht auf die Reihe. Da trat
       der wackere Albrecht auf den Plan und rief: "Zu uns damit!" Gorleben,
       Schacht Konrad - egal, Hauptsache Niedersachsen. Sogar das Üben mit schwach
       radioaktivem Material rissen die Niedersachsen an sich - im alten Bergwerk
       Asse II. Und hätte es nicht diesen Betriebsunfall namens DDR gegeben, hätte
       Albrecht den unliebsamen Konkurrenten Morsleben auch noch aus dem Weg
       geräumt.
       
       ## DER EXPORT-SCHLAGER
       
       Gewonnen. Diese Herren in den engen Lederkluften sind Sieger. Man sieht es
       sofort an dem Victory-Zeichen, das sie den Fotografen entgegenstrecken, als
       wären die Fotografen Vampire und das Victory-Zeichen das Mittel, sich die
       Blutsauger vom Leib zu halten.
       
       Denn die Scorpions aus Hannover haben der Welt den Hit "Wind of Change"
       geschenkt und wurden daraufhin 1991 in den Kreml eingeladen. Zahllos die
       Chartplatzierungen, Ehrungen, Cover-Versionen usw., die der Song mit sich
       brachte. Weltweit. Die Scorpions sind echte Weltstars, und weil sie Made in
       Germany sind, halten sie den Aspekt des Handwerks hoch: Arbeitskleidung
       (Lederkutte), Körpereinsatz (alles live), Treue zur Zunft (Metall) und
       professionelles Auftreten (Victory). Sie sind die Band, deren letzter
       Auftritt beim Neujahrsempfang der Handwerkskammer in Hannover stattfinden
       sollte. Noch einmal "Wind of Change". Für alle, zum Mitpfeifen.
       
       ## KAMPF DEM FLÄCHENVERBRAUCH
       
       Rund 13 Millionen Hühner leben in Niedersachsen. Laut EU-Verordnung stehen
       ihnen insgesamt eine Million und vierzigtausend Quadratmeter Käfigfläche
       zu. Was für ein Flächenverbrauch! Niedersachsen ist zwar groß, aber
       irgendwo muss auch mal Schluss sein, dachte sich Landwirtschaftsminister
       Hans-Heinrich Ehlen (CDU) - und erließ seinen eigenen "Volieren-Erlass".
       Danach müssen die Hühner mit zwölf Prozent weniger Platz auskommen als
       anderswo. Individuell bedauerlich, aber was für ein Gewinn für das Land!
       124.000 Quadratmeter Fläche eingespart! Das ist locker genug Platz für ein
       Einkaufszentrum vom Feinsten oder, wenns unbedingt sein muss, auch für ein
       Feuchbiotop. Auf Druck aus Berlin musste Ehlen seinen Erlass zurückziehen.
       Aber der alte Fuchs hat für die bestehenden Käfige Bestandsschutz
       herausgehandelt. Dort dürfen nun weiter die effizientesten Hühner der
       Republik arbeiten.
       
       ## VERHINDERTE POTENTATEN
       
       Zwar steht auch den Niedersachsen das Wasser bis zum Hals, doch leistet man
       sich hier immer noch neben dem gewaltigen Atlantik mehrere landeseigene
       Meere: Vom großen Meer im Südbrookmerland bis hin zu Zwischenahner und
       Steinhuder Meer. Die Festungsinsel Wilhelmstein darin aber gehört nach wie
       vor der Fürstlichen Hofkammer Schaumburg-Lippe, und wenn Fürst Alexander zu
       Schaumburg-Lippe zusammen mit seinem schlagkräftigen Vetter, dem
       Welfenprinzen Ernst August, auf diesem Eiland die Wirtschaftsweisen und
       Regenten aller Länder begrüßen würden, dann hätte des vermutlich sehr viel
       mehr Charme als der Empfang in irgendeinem gastronomischen Steuersparmodell
       an der Ostseeküste.
       
       Zumal nicht auszuschließen ist, dass Carla Bruni dem Charme dieser derzeit
       verhinderten Potentaten erliegen würde, die ja schließlich schon ganz
       andere Damen entflammen konnten - und schon heißt es: Renault-Standort
       Uelzen. Vielleicht erbt Niedersachsen ja auch noch das Circusfestival von
       Monaco - so ein springendes Ross aus der Celler Hengstparade käme ja als
       Symbol mindestens so gut wie so ein silberner Clown. Hauptsache, die
       Glogowskis, Schröders, Ehlens und Strucks halten sich da raus - dann werden
       wir mit so dreist zugelaufenen Schaefflers und Riegers auch noch fertig.
       Denn wir sind sturmfest und erdverwachsen. Und von Herzog Widukinds Stamm.
       
       ## DIE PERIPHERIE-PRINZESSIN
       
       Delmenhorst liegt vor den Toren Bremens und hat rund 78.000 Einwohner.
       Wildeshausen liegt mitten im Nichts zwischen Oldenburg und Bremen und hat
       18.600 Einwohner. Delmenhorst ist der Geburtsort von Popstar Sarah Connor
       ("Lets go back to bed, boy"). Wildeshausen ist der Ort, an dem Sarah Connor
       lebt.
       
       Connor ist der Beweis dafür, dass Niedersachsen schafft, wovon andere
       Flächenländer nur träumen: Die Provinz ist nicht abgehängt, sie ist nicht
       nur "Speckgürtel" oder "Region", sondern sie ist die Brutstätte des
       kulturellen Lebens. Hannover? Ist nicht mehr als der Standort der AWD-Hall,
       die Connor nach inspirierten Tagen in Wildeshausen im Vorbeigehen füllt.
       Bremen? Betritt Connor nur, wenn Werder-Star Diego einsam ist. Hamburg?
       Dient Connor nur als Bühne zum Diego-Knutschen, damit es die Klatschpresse
       nicht so weit hat. Hannover, Bremen und Hamburg sind letztlich nur
       Begleiterscheinungen. Im Kern ist Sarah Connor bekennende Delmenhorsterin.
       Darum ist Niedersachsen zu beneiden.
       
       ## STILLE WASSER SO TIEF
       
       Seit der Blüte der Hanse ist kein Newcomer mehr in die erste Liga der
       nordeuropäischen Seehäfen aufgestiegen - zumindest, wenn man Bremerhaven
       mal als Fortsetzung Bremens mit anderen Mitteln außen vor lässt. Aber ein
       kraftstrotzendes Land wie Niedersachsen mit 630 Kilometern Küste lässt sich
       nicht entmutigen. In Wilhelmshaven entsteht der Jade-Weser-Port für Schiffe
       mit sechzehnmeterfuffzich Tiefgang - da kommt Hamburg auch mit den nächsten
       vier Elbvertiefungen nicht ran. Wie, es gibt noch gar keine Schiffe mit so
       viel Tiefgang? Man muss doch auch an die Zukunft denken!
       
       17 Feb 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Klaus Irler
 (DIR) Jan Kahlcke
 (DIR) Ulrich Reineking
       
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