# taz.de -- Pro-Reli-Abstimmung: Religion spaltet Berlin
> Am Sonntag entscheiden die Berliner über den Status des
> Religionsunterrichts. Die Parteien haben sich längst positioniert. Doch
> wie so oft bei ethischen Fragen geht der Riss quer durch die Milieus.
(IMG) Bild: Pro Reli, links, und ein Plakat für die Beibehaltung des Ethikunterrichts, rechts.
BERLIN taz | Eine Veranstaltung der Grünen, mitten im alternativen Bezirk
Kreuzberg: Als die Landeschefin der Partei verkündet, dass vor allem
konservative Bürger die Initiative "Pro Reli" unterstützten, kann sich
Holger Stuckwisch nicht mehr zurückhalten. "Es soll auch Pro-Reli-Anhänger
geben, die grün wählen", ruft er dazwischen. "Natürlich, das ist ja auch
gut so", beschwichtigt ihn Irmgard Franke-Dressler. Der jungenhafte Mann im
quietschgrünen T-Shirt ist nicht der einzige im Publikum, der Pro Reli
durchaus etwas abgewinnen kann: Als vorne ein Pater spricht, nicken mehrere
Zuhörer immer wieder nachdrücklich mit dem Kopf.
An diesem Sonntag stimmen die Berliner darüber ab, ob Religion in Zukunft
ein Wahlpflichtfach wird. Gewinnt die Initiative Pro Reli, müssen sich die
Schülerinnen und Schüler in Zukunft zwischen den Fächern Ethik und Religion
entscheiden. Beide Fächer sollen gleichberechtigt nebeneinander stehen, so
das Anliegen von Pro Reli, und zwar vom ersten Schuljahr an.
In Berlin ist Religion bisher - anders als in den meisten Bundesländern -
ein freiwilliges Zusatzfach. Nach dem so genannten Ehrenmord an Hatun
Sürücü hatte der rot-rote Senat 2006 einen verpflichtenden Ethikunterricht
für die Klassen 7 bis 10 eingeführt. Das Fach soll Jugendlichen
unterschiedlicher Herkunft ein Forum bieten, um über Werte zu sprechen. Die
Neuerung geht auf Kosten des Religionsunterrichts, glauben die Kirchen:
Seit der Einführung von Ethik beklagen sie einen Rückgang der Schülerzahlen
in den betroffenen Jahrgängen.
Wie hältst du's mit der Religion? Die Parteien haben sich klar
positioniert: CDU und FDP unterstützen Pro Reli. So sprach sich Angela
Merkel am Freitag erneut für die Initiative aus. SPD, Linkspartei und Grüne
verteidigen den gemeinsamen Ethikunterricht, der dem Volksentscheid zum
Opfer fallen könnte.
Wie so oft bei ethischen Fragen funktioniert die politische Farbenlehre
hier jedoch nur bedingt. Gerade bei den Grünen und der SPD geht der Riss
quer durch die Milieus: Eine Gruppe von bündnisgrünen Christen unterstützt
Pro Reli. Prominente Sozialdemokraten wie Wolfgang Thierse, Vizepräsident
des Bundestags, schlugen sich bereits auf die Seite der Religiösen. Auch
Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier unterschrieb für Pro Reli.
Offiziell will er dazu nicht Stellung nehmen. Die Unterschrift sei die
Folge einer privaten Entscheidung.
Selbst in den Kirchen weichen einige von der offiziellen Linie ab: Schon
früh formierte sich eine Gruppe aus Theologen und Pfarrern, die den
gemeinsamen Ethikunterricht in einer multikulturellen Stadt wie Berlin für
wichtiger halten als ein Wahlpflichtfach Religion.
Gegner und Befürworter von Pro Reli mobilisieren seit Wochen mit Plakaten
und Veranstaltungen für ihr Anliegen. So blickt etwa Günther Jauch von
Großplakaten auf die Berliner und wirbt um Pro-Reli-Stimmen - mit dem
Verweis, es gehe um die "Freiheit". Das Motiv der Linken-Plakate ist nicht
weniger irreführend: Mit dem Slogan "Religion ist freiwillig" suggeriert
die Partei, bei einem Sieg von Pro Reli müssten alle Schüler den
Religionsunterricht besuchen - was natürlich nicht stimmt.
Kurz vor dem Volksentscheid spitzt sich der Wahlkampf weiter zu: Der
rot-rote Senat hat in dieser Woche zwei mal Zeitungsanzeigen geschaltet, in
denen er die Berliner auffordert, mit "Nein" zu stimmen. Dagegen ging Pro
Reli juristisch vor: Das Oberverwaltungsgericht entschied am
Donnerstagabend, dass der Senat keine Steuergelder einsetzen darf, um für
seine Position zu werben.
Wer wird am Sonntag gewinnen? In den Umfragen sprach sich eine Mehrheit mal
gegen, mal für Pro Reli aus - je nachdem, wie die Frage formuliert war. Gut
möglich, dass Pro Reli mehr Stimmen für sich verbuchen wird - und trotzdem
scheitert: Denn beim Volksentscheid müssen mindestens 25 Prozent der
Wahlberechtigten für die Initiative ihr Kreuz machen. Pro Reli braucht also
rund 612.000 Ja-Stimmen. Schon die Initiative für den Erhalt des Flughafens
Tempelhof scheiterte an dieser Hürde.
24 Apr 2009
## AUTOREN
(DIR) Antje Lang-Lendorff
## ARTIKEL ZUM THEMA
(DIR) Religionsunterricht an Berliner Schulen: Wer lehrt die Würde des Menschen?
Postsäkulare Gesellschaft? Kulturkampf? Schwere Geschütze werden in der
Debatte zur Berliner Abstimmung um Pro Reli aufgefahren. Ein genauer Blick
auf die Argumente.
(DIR) Volksentscheid "Pro Reli" am Sonntag: Jeder nur ein Kreuz
Die Berliner stimmen darüber ab, ob Religion freiwillig bleibt oder ein
verbindliches Unterrichtsfach wird. 13 Fragen und Antworten zum
Volksentscheid.
(DIR) Abstimmung über Pro Reli: Die Kirche in der Schule
Am Sonntag entscheiden die Berliner über den Religionsunterricht. Das
deutsche Modell ist im internationalen Vergleich ein exotischer
Ausnahmefall.