# taz.de -- Islamischer Religionsunterricht: Allah im Klassenzimmer
       
       > Die Aleviten haben geschafft, wovon andere islamische Verbände träumen:
       > Religionsunterricht als ordentliches Unterrichtsfach mit Noten - dem
       > christilichen Unterricht gleichgestellt.
       
 (IMG) Bild: Islam-Religionsunterricht in Offenburg
       
       Langsam geht Inan Arslan um den sechseckigen Tisch, an dem 14 Kinder
       sitzen. Der Lehrer verteilt Weintrauben und Erdbeeren, schließlich
       Kinderschokolade. "Sind alle zufrieden?", fragt Arslan. "Ich hab gar
       nichts", klagt Emre. "Und ich hab zu viel Schokolade", sagt Hazal leise.
       "Dann teilt", antwortet Arslan. Weintrauben werden gezählt, Erdbeeren und
       Schokoladenstückchen ausgetauscht. Als alle zufrieden sind, wird gegessen.
       
       "Genau so wird es gemacht, wenn das alevitische Hizir-Fest begangen wird",
       erklärt Arslan. "Auch da wird gefragt, ob alle zufrieden sind." Hizir, das
       ist eines der großen Feste der Aleviten, einer islamischen
       Religionsgemeinschaft, die als liberal gilt. Gefeiert werden dabei die
       Brüder Hizir und Ilyas, die nach alevitischem Glauben das "Wasser der
       Unsterblichkeit" getrunken haben - und Hilfsbedürftigen unter die Arme
       greifen.
       
       Freitag, 12 Uhr. In der Dortmunder Graf-Konrad-Schule steht für 14 Kinder
       aus den Klassen 1 bis 4 alevitischer Religionsunterricht auf dem
       Stundenplan. Seit diesem Schuljahr wird in Nordrhein-Westfalen (NRW) - und
       einigen anderen Bundesländern - alevitischer Religionsunterricht erteilt,
       hier zunächst an neun Grundschulen. Nicht als halbherziger Modellversuch,
       wie es ihn für den islamischen Religionsunterricht bereits in einigen
       Bundesländern gibt, sondern als ordentliches Unterrichtsfach mit Noten, die
       auch mal eine Versetzung gefährden können. Er ist christlichem
       Religionsunterricht gleichgestellt.
       
       Die Aleviten haben damit geschafft, wovon andere islamische Verbände noch
       träumen: Sie sind in fünf Bundesländern als Religionsgemeinschaft
       anerkannt. Und haben deshalb laut Grundgesetz das Recht auf
       Religionsunterricht.
       
       "Ich will den Schülern den Baustein geben, der mir gefehlt hat", sagt
       Religionslehrer Arslan. Als Kind habe er gewusst, dass er Alevit ist, aber
       nicht, was das bedeutet. Religion sei bei ihm zu Hause kein Thema gewesen.
       
       Alle zwölf Lehrer, die in Nordrhein-Westfalen alevitischen
       Religionsunterricht erteilen, sind selbst Aleviten. Und sie haben in
       Deutschland auf Lehramt studiert. Arslan unterrichtet hauptberuflich
       Politik und Wirtschaft am Berufskolleg. Für die Arbeit mit den
       Grundschulkindern wird der 32-Jährige ein Jahr lang fortgebildet und
       wöchentlich zwei Stunden von seiner Stammschule freigestellt. Ausgebildete
       Lehrer für islamische Religion gibt es noch nicht.
       
       Das Konstrukt der Religionsgemeinschaft ist auf die christlichen Kirchen
       zugeschnitten. Den Muslimen verlangt es einiges ab. Zur Anerkennung müssen
       vier Voraussetzungen erfüllt sein: Die Religionsgemeinschaft muss eine
       klare Mitgliederstruktur aufweisen, auf Dauer angelegt sein und ein
       gemeinsames Bekenntnis teilen, dessen Pflege sie sich widmet. "Und
       natürlich verlangt der Staat Verfassungstreue", sagt der
       Islamwissenschaftler Michael Kiefer.
       
       "In unserer Satzung definieren wir uns als Glaubensgemeinschaft im Sinne
       des Grundgesetzes", sagt Ismail Kaplan, der Bildungsbeauftragte der
       Alevitischen Gemeinde. Im Auftrag der Länder haben Experten zwei Gutachten
       erstellt, die bestätigen: Im religionswissenschaftlichen und im
       juristischen Sinne ist die alevitische Gemeinde eine Religionsgemeinschaft.
       
       In der Graf-Konrad-Schule hält Religionslehrer Arslan ein Bild hoch: Ein
       weißbärtiger Mann auf einem Schimmel ist darauf. "Wer ist das?", fragt
       Arslan. "Hizir", rufen zwei Mädchen, die beiden Jungen an ihrer Seite
       tuscheln auf Türkisch. "Halil, auf welcher Spreche reden wir hier?", sagt
       Arslan. "Auf Deutsch", antwortet der Junge, grinst und schweigt. Arslan
       erzählt vom Hidirellezfest, das die Aleviten am 5. und 6. Mai feiern. Nach
       der Sage treffen sich Hizir und Ilyas in dieser Nacht auf der Erde. Hazal,
       die Erstklässlerin, hängt an Arslans Lippen. Dann klettert sie auf seinen
       Schoß.
       
       Anders als die Aleviten tun sich die vier großen, konservativen islamischen
       Dachverbände tun schwer mit der Erfüllung der Kriterien. Vor zwei Jahren
       haben sie sich zum Koordinierungsrat der Muslime (KRM) zusammengeschlossen,
       Landesverbände haben sie bis heute nicht gegründet. Der Zentralrat der
       Muslime und der Islamrat haben versucht, die Anerkennung als
       Religionsgemeinschaft per Klage durchzusetzen - ohne Erfolg. Zwar mehren
       sich die Stimmen, die auf die Einführung von islamischem
       Religionsunterricht drängen. Doch praktische Konsequenzen hat das nicht.
       Bildung ist Ländersache.
       
       Am weitesten ist die Sache in NRW gediehen. Dort gibt es seit 1986
       Islamkunde im Rahmen des türkischen muttersprachlichen Unterrichts, seit
       1999 "Islamkunde in deutscher Sprache". Das aber ist - in Ermangelung einer
       Religionsgemeinschaft als Partner - kein Bekenntnisunterricht, sondern ein
       normales Fach. Darin wird neutral Wissen über den Islam vermittelt.
       Mittlerweile nehmen 128 Schulen und 11.000 SchülerInnen an dem bundesweit
       größten Modellversuch teil.
       
       An der Dortmunder Graf-Konrad-Grundschule sind zwei Drittel der Kinder
       nichtdeutscher Herkunft, die meisten von ihnen haben türkische Vorfahren.
       Seit einigen Jahren hat die Schule für die Dritt- und Viertklässler
       Islamkunde im Angebot. "Die meisten der muslimischen Kinder nehmen daran
       teil", sagt Ursula Brinkmann, die Schulleiterin. Für die Identitätsfindung
       sei das gut. "Es ist wichtig, dass die Kinder wissen, woher sie kommen."
       
       Erfreut hat Brinkmann beobachtet, dass inzwischen weniger Kinder zum
       Koranunterricht in die Moscheen gehen. "Nach der Schule in die Moschee, das
       war für manche eine große Überforderung." Die Schulleiterin hat auch die
       Einführung des alevitischen Religionsunterrichts unterstützt, denn im
       Islamkunde-Unterricht kommen Aleviten nicht vor.
       
       Geht es nach der schwarz-gelben Koalition in NRW, soll es künftig auch für
       die Sunniten, die weitaus größte Gruppe unter den Muslimen hierzulande,
       bekennenden Unterricht geben. Zunächst soll in Köln und Duisburg gemeinsam
       mit den Moscheegemeinden vor Ort ein Lehrplan erstellt, dann an Schulen in
       den beiden Städten Islamkunde in bekennenden Religionsunterricht umgewidmet
       werden - mit dem Ziel, diesen auf andere Städte auszuweiten.
       
       Doch das Projekt liegt jetzt auf Eis. Die Verhandlungen mit dem
       Koordinierungsrat der Muslime stecken fest. "Wir kommen einfach nicht
       weiter mit den Verbänden", sagt Ulla Ohlms, die zuständige Fachfrau im
       Schulministerium. Und die Moscheegemeinden vor Ort machen ohne ihre
       Dachverbände nicht mit. "Würden die Dachverbände nicht blockieren, könnten
       wir in NRW schon viel weiter sein", urteilt Islamwissenschaftler Kiefer. Er
       glaubt, dass die Dachverbände schlicht um ihren Einfluss fürchten.
       
       Die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion, kurz Ditib genannt,
       ist mit über 800 Moscheegemeinden der größte der vier Dachverbände im
       Koordinierungsrat. Ditib gründet derzeit in vielen Bundesländern
       Landesverbände. Ob sie sich dann um die Anerkennung bemühen wird, will man
       in der Kölner Zentrale nicht sagen. Ob ein solcher Antrag erfolgreich wäre,
       darf allerdings getrost bezweifelt werden - obwohl Ditib seit Jahren der
       bevorzugte Ansprechpartner von Innenministern und Integrationsbeauftragten
       ist. Zu eng ist die Verwobenheit mit dem türkischen Staat.
       
       Auch für die anderen Dachverbände des Koordinierungsrats haben keine guten
       Karten bei der Anerkennung. Islamrat und Zentralrat haben
       Mitgliedsorganisationen, die der Verfassungsschutz als islamistisch
       einstuft: Milli Görüs und die Islamische Gemeinde in Deutschland. Gegen
       Spitzenfunktionäre beider Organisationen ermittelt derzeit die Münchener
       Staatsanwaltschaft wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung.
       
       In der Graf-Konrad-Schule hat Inan Arslan inzwischen mit den Kindern noch
       einmal die Geschichte von Hizir und Ilyas wiederholt. Draußen scheint die
       Sonne, im Klassenzimmer ist es warm. "Wisst ihr was?", sagt Arslan, "jetzt
       gehen wir raus und spielen noch eine Runde Völkerball." Danach ist
       Wochenende.
       
       Schulleiterin Ursula Brinkmann
       
       29 Apr 2009
       
       ## AUTOREN
       
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