# taz.de -- Entschädigung für Tod von Regierungskritiker: Nigerias schwarze Wirtschaft
       
       > Der Ölmulti Shell stimmt einem Vergleich zu: Die Hinrichtung des
       > Umweltschützers Ken Saro-Wiwa wird gesühnt.
       
 (IMG) Bild: Protest gegen Shell mit langem Atem: Mitglieder der nigerianischen Ogoni-Bewegung demonstrieren vor einem New Yorker Gericht.
       
       BERLIN/NAIROBI/OLOIBIRI taz | Es ist ein später Sieg. Nach 13 Jahren
       juristischen Tauziehens in den USA zahlt der britisch-niederländische
       Ölmulti Shell 15,5 Millionen US-Dollar an die Hinterbliebenen des
       nigerianischen Bürgerrechtlers Ken Saro-Wiwa und dessen Mitstreiter. Die
       außergerichtliche Einigung, die am Montag in New York verkündet wurde,
       hinterlässt alle Seiten als Gewinner: Shell ist juristisch reingewaschen,
       die Kläger erfahren finanzielle Genugtuung und Nigerias Regierung kann
       endlich neue Ölinvestoren anwerben.
       
       Das Verfahren "Wiva vs. Shell" geht zurück auf den berüchtigtsten
       Justizmord in Nigerias düsterer Geschichte. Am 10. November 1995 wurde der
       Schriftsteller Ken Saro-Wiwa zusammen mit acht weiteren Aktivisten der
       Bürgerrechtsbewegung Mosop (Bewegung für das Überleben des Ogoni-Volkes)
       gehenkt. Die Leichen wurden mit Säure übergossen und in einem Massengrab
       verscharrt. Mosop hatte friedliche Proteste gegen die verheerenden
       ökologischen Folgen der Shell-Ölförderung im Siedlungsgebiet der Ogoni
       angeführt, die gewaltsam unterdrückt wurden. Ihr Führer Saro-Wiwa, bereits
       als Schriftsteller bekannt, wurde damit Leitfigur des gewaltfreien
       Widerstandes gegen Nigerias Militärherrschaft.
       
       "Shell hat tief ins Herz der Ogoni gegraben", hatte Saro-Wiwa 1990 bei der
       Gründung von Mosop gesagt, und nach seiner Hinrichtung reichte sein Sohn
       Ken Wiwa Klage gegen Shell ein: "Sie waren nicht die Henker, aber ihre
       Fingerabdrücke sind überall zu sehen." Um Millionengewinne zu sichern, habe
       Shell sich enger Verbindungen zur Militärdiktatur bedient und Angriffe auf
       mutmaßlich rebellische Dörfer befohlen.
       
       Shell wies beharrlich alle Vorwürfe zurück, und im Laufe der Jahre
       entwickelte sich ein undurchdringliches Justizgeflecht. Erst am 3. Juni
       wurde die Klage wegen direkter Mitverantwortung Shells an Saro-Wiwas Tod
       vom New Yorker Bezirksgericht ausgesetzt, während eine andere Klage gegen
       Shells nigerianische Tochter wegen Mitverantwortung an
       Menschenrechtsverletzungen erneut zugelassen wurde. Der jetzt erzielte
       Vergleich beendet beide Verfahren, "um die Unsicherheiten, Lasten und
       Kosten weiterer andauernder Verfahren zu eliminieren", wie es in der
       Vergleichsschrift heißt.
       
       "Mein Vater wäre glücklich mit dem Ergebnis", sagte Wiwa, der in London
       lebt, aber inzwischen als Sonderberater von Nigerias zivilem Präsidenten
       Umaru YarAdua für mehr Entwicklung im Delta eintritt. Umweltaktivist Nnimo
       Bassey, der mit den ermordeten "Ogoni Neun" gestritten hatte, ist ebenfalls
       zufrieden: "Der Vergleich zeigt eindeutig, dass Shell schuldig ist. Shell
       zahlt zwar nur eine kleine Summe, aber der Vergleich ist eine Ouvertüre für
       das, was Shell und die anderen Öl-Multis noch erwartet!"
       
       Die Ogoni-Aktivisten sind offenbar wieder versöhnt mit Nigerias Staat. Der
       2007 gewählte Präsident YarAdua hat nicht nur Ken Wiwa als Berater
       eingebunden. Saro-Wiwas Nachfolger als Mosop-Chef, Ledum Mitee, wurde Chef
       einer Regierungskommission zur Zukunft des Niger-Deltas. Ihr
       Abschlussbericht Ende letzten Jahres empfiehlt, 25 statt wie bisher 13
       Prozent der Öleinnahmen in den Fördergebieten zu belassen, Ölfirmen eine
       Versicherungspflicht gegen Umweltschäden aufzuerlegen und kostenlose
       Schulbildung einzuführen.
       
       Im April 2008 entzog Nigerias Regierung Shell die Lizenz zur Ausbeutung der
       Ölfelder im Ogoni-Land. Die Förderung war ohnehin längst eingestellt; nun
       muss auch ein neues Bieterverfahren beginnen. Nigerias Regierung will alle
       Joint-Venture-Verträge mit ausländischen Ölkonzernen neu aushandeln, mit
       höheren Anteilen für die nigerianische Seite und einer Verpflichtung zur
       Nutzung lokaler Zulieferer in den Fördergebieten.
       
       "Gesiegt haben wir erst, wenn wir nachhaltige Entwicklung in ganz Nigeria
       haben, nicht nur in Ogoniland", sagt Mosop-Chef Mitee. In diesem Reformelan
       sind Gerichtsverfahren gegen Ölinvestoren nicht mehr nützlich. Die
       Ogoni-Protestler von einst sind Teil des Establishments geworden, und vor
       Ort haben radikalere Gruppen den friedlichen Protest in bewaffneten Kampf
       verwandelt. Kein Wunder: Nigeria verdient Milliarden am Erdölexport, aber
       im Niger-Delta herrschen Elend und Gewalt.
       
       In Oloibiri, wo 1956 Shell die allerste Ölquelle Nigerias bohrte, endet die
       Teerstraße am Dorfanfang. Von hier geht es unbefestigt weiter durch den
       Matsch. Bis zum Haus des Dorfältesten Sunday Foster Inengite-Ikpesu muss
       man von Pfütze zu Pfütze springen. "Oloibiri Well No. 1, drilled June 1956,
       12.000 Feet" steht auf einem rostigen Blechschild im Gras. Hier begann vor
       53 Jahren Nigerias Ölabenteuer.
       
       "Uns hat das Öl nichts gebracht", sagt der 72-jährige Dorfälteste. "Die
       Grundschule wurde vor dem Ölboom gebaut, die Sekundärstufe danach. Beide
       sind stark renovierungsbedürftig. Das Krankenhaus ist seit einigen Jahren
       verlassen. Die einzige Straße gab es auch schon vor dem Öl. Einen
       Wasserturm haben wir, aber noch kein Wasser. Strom gibt es gar nicht."
       
       In seiner Kindheit sah es anders aus. Früher war Oloibiri der älteste und
       wichtigste Ort in der Region. Es gab große Märkte. Oloibiri war Stützpunkt
       für Missionare und die Regionalregierung. Und dann entdeckte man sogar
       Erdöl. Aber Anfang der 70er-Jahre und viele Ölquellen weiter war Schluss.
       Oloibiri fiel wieder in die Armut zurück, ohne dass von seinem Ölreichtum
       etwas hängengeblieben wäre.
       
       "Früher habe ich es nicht so gespürt, aber heute bin ich sehr wütend", sagt
       der alte Sunday Foster, ein drahtiger, freundlicher Mann mit grauem Haar.
       "Die Jungen wollen kämpfen und sie sind bereit, für die gute Sache zu
       sterben", warnt er. Wenn er könnte, würde er auch, aber er sei zu alt. Er
       setzt jetzt auf Aufklärung. "Damals wussten wir nicht, was geschieht, wir
       waren ignorant. Aber heute gehen fast alle zur Schule. Ich sage meinen
       Kindern: Lasst das nicht wieder geschehen."
       
       Die einzige Wirtschaft, die hier boomt, ist krimineller Natur. Wenn die
       Nacht hereinbricht, sind auf den zahlreichen Wasserwegen des Niger-Deltas
       Barken unterwegs mit Öl, das illegal aus Pipelines abgezapft wurde und in
       größeren Häfen auf Tanker umgeladen wird. Die Gewinne schmieren
       Rebellengruppen wie die "Bewegung zur Emanzipation des Niger-Deltas"
       (MEND), aber auch lokale Politiker ein Grund dafür, dass sich
       Gesetzlosigkeit ausbreitet. Kidnapping ausländischer Ölangestellter,
       Schutzgelderpressung von Ölfirmen und die Vermietung von Schlägertrupps an
       Politiker sind weitere Einkommensquellen des mafiösen Sumpfs im
       Niger-Delta. Dass die Region unterentwickelt ist, kommt den Hintermännern
       gelegen: je größer die Not, desto größer die Unterstützung für die
       selbsternannten Wohltäter, die die Region hat.
       
       "Allein mit den illegalen Ölexporten machen die Syndikate 60 Millionen am
       Tag", sagt ein Insider. Nigeria droht dadurch der Staatsbankrott: Wegen
       Sabotageakten der MEND und des Rückzugs von Investoren und Betreibern ist
       die tägliche Ölförderung von 2,2 Millionen Barrel, wie es die
       Haushaltsplanung 2009 vorsieht, auf derzeit 1,38 Millionen gefallen. Seit
       dem Beginn der Kämpfe im Ölgebiet hat Nigerias Staat nach
       Regierungsschätzungen 20,7 Milliarden Dollar Öleinnahmen verloren.
       
       Seit Mitte Mai versuchen mehr als 3.000 Soldaten in der größten
       Militäroperation seit Jahren, die Rebellen und Schmuggler mit
       Kriegsschiffen, und Kampfhubschraubern in die Schranken zu weisen.
       Zivilisten müssen das Leid tragen, wie meist in Nigeria. Hunderte wurden
       getötet, Zehntausende harren im Busch aus. Im Gegenzug haben MEND-Kämpfer
       fünf große Exportpipelines gesprengt. In der Nacht zum Dientag lief ein
       Ultimatum an die Ölfirmen aus, das Niger-Delta zu verlassen.
       
       9 Jun 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dominic Johnson
 (DIR) Marc Engelhardt
 (DIR) Hakeem Jimo
       
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 (DIR) Umweltschutz
       
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