# taz.de -- Architektur: Unterschätzte Bauten
       
       > Oft übersehen, vielerorts vom Abriss bedroht und doch ein
       > architektonischer Schatz: die Kirchen der Nachkriegszeit.
       
 (IMG) Bild: Der „sozialistischen Umgestaltung“ fielen die Häuser der Fischerinsel 1969 zum Opfer
       
       Über ihren prominenten Kollegen Frank Gehry erzählen sich Architekten den
       Witz, er habe zu seiner Form gefunden, nachdem er wütend ein verpfuschtes
       Skizzenblatt in den Mülleimer befördert hatte. Plötzlich inspiriert,
       fischte er die zerknüllte Papierkugel wieder heraus und legte sie auf
       seinen Schreibtisch: So und nicht anders sollte sein nächstes Gebäude
       aussehen.
       
       Ähnlich könnte es sich zugetragen haben, als die katholische Kirche St.
       Maximilian Kolbe in Hamburg-Wilhelmsburg entworfen wurde. Von vorne sieht
       sie mit ihrer geschwungenen Fassade, die in einen Turm ausläuft, wie ein
       Streifen Papier aus, der sich an einem seiner Enden schräg zusammenrollt;
       skulptural, ein wenig wie eine Kaprize der Kunst, ein wenig wie Gehry.
       
       In der Kirche ist zur Zeit eine Ausstellung über Hamburgs Nachkriegskirchen
       und den Planer von St. Maximilian Kolbe, den Bremerhavener Architekten Jo
       Filke zu sehen. Klingt ein wenig abseitig, ist aber von großer Relevanz und
       Brisanz. Relevant, weil die Architektur im Kirchbau der Nachkriegszeit ein
       Experimentierfeld vorfand: Unzählige Gotteshäuser lagen in Schutt und
       Asche, neu entstandene Stadteile brauchten neue geistliche Zentren.
       Brisant, weil die Ergebnisse bis heute kaum angemessene Wertschätzung
       erlangt haben und vielerorts bedroht sind.
       
       "Baukunst von morgen!" lautet der Titel der Ausstellung selbstbewusst. Sie
       greift damit ein Wort des Architekten Otto Bartnig auf, das er 1953 über
       den Kichenbau fällte und womit er in der Rekonstruktionsdebatte der
       Nachkriegsjahre wiederholt Position bezog. "Wiederaufbau? Technisch,
       geldlich nicht möglich, sage ich Ihnen; was sage ich? - Seelisch
       unmöglich", lautete sein Diktum schon 1946. Es erstaunt bis heute, dass
       auch in kirchlichen Kreisen diese Abkehr von Tradition mitgemacht wurde -
       und zwar nicht etwa nur in den reformierten Kirchen, sondern selbst noch in
       dem Traditionsunternehmen, das die Katholische Kirche ist. Aber so wars und
       so schrieb der katholische Publizist Walter Dirks: "Nur eins ist angemessen
       und groß: den Spruch der Geschichte anzunehmen, er ist endgültig … Dem Mut
       zur Zukunft entspricht die Entschlossenheit, Abschied zu nehmen von dem,
       was unwiderruflich vorbei ist."
       
       An der katholischen Kirche St. Maximilian Kolbe kann dieser Abschluss mit
       dem, was war - die mit dem "Dritten Reich" diskreditierte Geschichte -
       abgelesen werden. Passend, weil der Namensgeber als Märtyrer in einem KZ
       starb, nachdem er versucht hatte, Juden vor dem Zugriff der Gestapo zu
       schützen.
       
       Die Kirche lässt an eine Art katholisches Bilderverbot denken: Nach außen
       wirkt sie mit ihrem Sichtbeton hermetisch abgeschlossen, der Eingang liegt
       fast versteckt an der Seite. Ein Kreuz gab es anfangs gar nicht, es wurde
       erst in den späten 80er Jahren an der Rückseite angebracht. Auch
       Kirchenschiff und Chor fehlen: Der Grundriss ist polygonal, wobei die
       Stuhlreihen im Halbrund angeordnet sind und die Form der gewaltigen,
       fächerartigen Dachbalkenkonstruktion aufnehmen. Das Licht fällt durch
       schlichte Lamellenfenster herein. Ein Kruzifix hängt an der Wand, aber das
       war es auch schon mit der Ausgestaltung. Keine Heiligenbildchen. Nicht
       einmal von Kolbe.
       
       Die reformierten Kirchen sind in der Reduktion freilich weiter gegangen.
       Die Evangelisch-reformierte Kirche in der Hamburger Altstadt beispielsweise
       kommt ohne Turm aus, ohne den erhobenen Zeigefinger der Sakralbauten.
       Klobig wirkt sie von außen, mit ihrem billigen Industrie-Gelbklinker ein
       wenig abstoßend. Wie so viele Kirchen der Nachkriegszeit überzeugt sie erst
       von innen: Siebeneckig der unregelmäßige Grundriss, eine gefaltete
       Holzdecke, schräge Wände, die von Fensterbändern eingefasst werden, und
       eine große Betonglasfassade, die durch Grau- und Blautöne wie zerbrochen,
       gefaltet, wie aus Scherben zusammengesetzt wirkt.
       
       Nichts stört das komplexe und doch schlichte Zusammenspiel von Licht, Raum
       und Farbe: Die Ausstattung beschränkt sich auf das Nötigste: die
       Stuhlreihen, ein runder Tisch, der vielleicht einen Altar vorstellt, und
       eine trapezförmige Kanzel, alles aus dem selben Holz.
       
       Skulpturale Entwürfe, ungewöhnliche Raumkompositionen und erstaunliche
       Lichtführung und -effekte: Das sind die architektonischen Werte, die die
       Ausstellung den Kirchen der 1950er bis 1970er Jahre bescheinigt. Allgemein
       anerkannt sind sie nicht. Das zeigt sich etwa, wenn es durch schrumpfende
       Gemeinden zu Kirchenfusionen kommt. Regelmäßig bekommt da die ältere
       Kirche, meist aus dem Historismus, den Zuschlag für die gottesdienstliche
       Nutzung. Die Nachkriegskirchen aber verschwinden. Oft ohne dass ihre
       Vorzüge auch nur einmal gewürdigt worden wären.
       
       24 Jun 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Maximilian Probst
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