# taz.de -- Zum Tod von Michael Jackson: Vom Mars in den Himmel
       
       > Michael Jackson war der Hitlieferant und Meister des Pop. Er war ein
       > asexuelles, geisterhaftes, künstliches Wesen – weltweit geliebt und doch
       > zeit seines Lebens von tragischer Gestalt.
       
 (IMG) Bild: Weltweite Trauer für einen echten Weltstar.
       
       Man mag sich gar nicht vorstellen, wie es wirklich zu Ende gegangen ist.
       Wie "Wacko Jacko", der King of Pop, der psychopathische Peter Pan, der
       weiße Schwarze, der Affenliebhaber mit der hohen Stimme und dem ungeklärten
       Verhältnis zu kleinen Jungen, wie er am Ende gelitten hat, woran er
       tatsächlich gestorben ist, nach fast 51 Jahren Zeit auf diesem Planeten.
       
       "Sag doch ruhig, ich sei ein Außerirdischer vom Mars. Man würde es dir
       glauben, denn du bist ja Reporter", klagte Jackson laut Journalist J. Randy
       Taraborelli, der 1991 über ihn die Biografie "The Magic and the Madness"
       verfasste, einmal wütend. Er fügte hinzu: "Aber wenn ich das selbst
       behaupten würde, dann würden die Leute sagen: Oh Mann, dieser Jackson ist
       total verrückt."
       
       Megastars pflegen, zumindest teilweise, aus Legenden zu bestehen. Im Falle
       Jacksons hatten die Legenden, die schönen wie die schrecklichen, längst die
       Realität abgelöst. Die anderen beiden der drei starken Säulen, die die
       Popmusik der letzten 25 Jahre trugen, stehen dagegen wie Felsen in der
       Brandung.
       
       Madonna, die ebenfalls Jahrgang 1958 ist, erfindet sich als Selbstschutz
       immer wieder neu, stählt ihren Körper durch eisenharte Disziplin und
       probiert es mit minutiös geplanten medialen Gegenoffensiven. Der
       gleichaltrige Prince hat Privat- und Popleben stets strikt getrennt und
       sich - außer als Musiker - so konsequent aus dem öffentlichen Leben
       zurückgezogen, dass man nicht einmal den Namen möglicher Freundinnen kennt.
       
       Jackson hat es jedoch nicht geschafft. Mit eimerweise mehr stimmlichem und
       musikalischem Talent als Madonna ausgestattet, mit einem noch besseren
       Händchen für Tanzinnovationen und Mainstreamgroove als Prince, ist Michael
       Jackson jahrelang immer eine tragische Figur gewesen.
       
       Wenn er es nicht schon von Anfang an war, wie die immer wieder zitierten,
       traurigen Eckdaten seiner Biografie evozieren: Der brutal übergriffige,
       ehrgeizige Vater traumatisierte ihn bereits als Kind, der durch seine
       sehnsüchtige, warme, wahnwitzig soulige Stimme sich einstellende Erfolg der
       aus ihm und älteren Geschwistern bestehenden Jackson Five setzte ihn nur
       immer mehr unter Druck, so dass die ersten Soloerfolge der 80er mit einer
       möglichen Körperdysmorphen Störung (Body Dysmorphic Disorder) einhergingen,
       die ihm von vielen Ärzten ferndiagnostiziert worden ist.
       
       Er selbst erklärte zumindest die schleichende, aber eklatante Veränderung
       der Hautfarbe mit "Vitiligo", einer chronischen Hauterkrankung
       ("Weißfleckenkrankheit"). Später kam noch ein "Brandunfall bei Videodreh zu
       einem Pepsi-Werbespot" dazu, passenderweise die Vertragsmarke, die ihn
       selbstverständlich stante pede fallen ließ, als in den 90ern nie ganz
       geklärte Kindesmissbrauchsvorwürfe gegen ihn laut wurden.
       
       Die vielen Nasenkorrekturen wurden einem "Nasenbruch nach Tanzunfall"
       zugeschoben, und in der Wiederholung mit "Pfusch bei der Operation" nur
       notdürftig erklärt. Dass seine Stimme Zeit seines Lebens kindlich hoch, der
       Körper schmal, das Gesicht - wenn man es unter Sonnenbrillen, Laken,
       absurden Gesichtsmasken und Regenschirmen mal zu sehen bekam - glatt und
       anscheinend barthaarfrei blieb, kann erklären, wer will.
       
       Jackson war, obwohl er einige Male in der Öffentlichkeit "Im black and Im
       proud" behauptete und sich klar gegen Rassismus aussprach, ein sehr
       außergewöhnlicher Teil der Black Community: Er war ja nur ganz kurz schwarz
       und afrolockenköpfig, eben ausschließlich als lächelnder, "ABC, easy as 1,
       2, 3" singender Junge am Anfang seiner Karriere.
       
       Das asexuelle, geisterhafte, künstliche Wesen, das das typische "Heeheeew"
       hinter seine Gesangsphrasen schob, den roboterartigen "Moonwalk" tanzte und
       die Kinderzimmer der 80er weltweit mit einem Song des Songwriters Rod
       Temperton erfüllte - ausgerechnet Jacksons allergrößter seiner großen Hits
       "Thriller" stammte aus der Feder des 1947 geborenen, weißen englischen
       Hitschreibers -, konnte die durch eine reaktionär-klischierte
       Geschlechtersicht bestimmten afroamerikanischen Soul-Brother-Standards
       nicht mehr erfüllen: Jackson schien weder seinen eigenen, noch irgendwelche
       anderen Körper zu lieben.
       
       Ob und wie er seine Kinder gezeugt hat, flicht sich darum ebenfalls
       hervorragend ein in die Legendenbildung um den ins gesellschaftliche
       Abseits geratenen sonderbaren Musiker: Hat er mit seiner ehemaligen
       Krankenschwester Debbie Rowe tatsächlich zwei blonde, hellhäutige
       Lovechilds? Und ist das dritte Kind, Prince Michael Jackson II, wirklich
       durch eine Samenspende von einer Leihmutter geboren worden? Was mit seinen
       Kindern, für die Jackson das alleinige Sorgerecht hatte, nun passiert, wird
       hoffentlich nicht weiter zur Legendenbildung beitragen.
       
       Jacksons Schicksal als Missbrauchs- und Medienopfer, aber auch als
       eventueller Täter - letztlich wird nie geklärt werden, wie Jacksons
       Verhältnis zu den vielen kleinen Jungen auf seinem Anwesen "Neverland" war
       -, ist mit seinem Tod beendet. Schon nach seinem ersten Prozess, der ohne
       Anklage 1994 nach einer Zahlung von 22 Millionen Dollar an den jugendlichen
       Kläger geschlossen wurde, war Jacksons Reputation irreparabel zerstört.
       
       Alles, was danach kam, ob es sein exzessiver Tablettenkonsum (angeblich
       eine Folge des Stresses) oder seine Heirat mit Lisa Marie Presley war, die
       durch die rasend schnelle Trennung auch mit sehr viel gutem Willen nur wie
       ein verunglückter Mediencoup wirkte, etablierten ihn in den Medien nur mehr
       als Irren.
       
       Schließlich ist mit Jacksons Tod auch der Erste der letzten Popstars
       gestorben, die ihre Karrieren ausschließlich jenen damals wichtigsten
       Medien verdanken: Ohne ein Musikfernsehen, ohne "Beat It", das vom "Blues
       Brothers"- und "American Werewolf"-Regisseur John Landis gedrehte und
       produzierte Video zu "Thriller" und das Martin-Scorsese-Video zu "Bad" wäre
       Jacksons Karriere anders verlaufen.
       
       Jackson bediente sämtliche damals innovativen, heute altmodischen Medien,
       Radio, Print und TV, mit den grauenhaften und großartigen Geschichten, die
       man dort hören und sehen möchte. Er war, in guten wie in schlechten Zeiten,
       ein Hit- und (Online-)Hit-Lieferant, eine unwirkliche, sich gleichzeitig
       entziehende und preisgebende Märchenfigur, die mit den Referenzen an Peter
       Pan, an König Ludwig II., mit ihren Ticks und Vorlieben und vor allem ihrem
       nicht zu übersehenden Talent tragisch scheiterte.
       
       Angeblich waren wieder Tabletten im Spiel, die Jackson nahm, um die
       angekündigte, rechtlich bereits umstrittene Comeback-Tour im Sommer 2009
       durchzustehen. Aber im Ernst: An ein echtes Comeback hat eh niemand mehr
       geglaubt.
       
       27 Jun 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jenni Zylka
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