# taz.de -- Filmemachen in Teheran: Das Kino verhaften
       
       > Aufgrund der Zensur ist Filmemachen im Iran per se schon ein schwieriges
       > Geschäft. Jetzt droht die Produktion komplett zum Erliegen zu kommen.
       
 (IMG) Bild: Regisseur Jafar Panahi hat sich angesichts der aktuellen Situation im Iran aufs Warten eingestellt.
       
       Zurzeit dauert es Tage, bis man eine Antwort auf E-Mails in den Iran
       erhält. Oft kommen die Nachrichten gar nicht erst durch. Die Leitungen
       durch Saudi-Arabien, so heißt es dann, seien mal wieder gekappt. Die
       wenigen Informationen, die durchdringen, deuten auf einen fast kompletten
       Stillstand der iranischen Filmproduktion hin. Die Zensurbehörde bearbeitet
       die eingereichten Drehbücher nicht mehr. Beunruhigte Produzenten
       verschieben den Start bereits genehmigter Projekte, aktuelle Dreharbeiten
       werden unterbrochen.
       
       "Gerade ist es äußerst schwierig, auf der Straße zu drehen", heißt es in
       einer Mail. "Die Polizei wird nervös, sobald sie eine Menschenansammlung
       sieht. Es ist fast unmöglich, eine Dreherlaubnis für Außenaufnahmen zu
       bekommen." Ohnehin ist jede Kamera in der Öffentlichkeit derzeit ein Dorn
       im Auge der Offiziellen, es könnten weitere Bilder von polizeilichen
       Übergriffen und dem Widerstand gegen Ahmadinedschad nach außen gelangen.
       
       In den einschlägigen Blogs liest man von verhafteten Dokumentarfilmern, und
       immer lauter wird das Gerücht, dass die 350 Regisseure und Schauspieler,
       die Petitionen für Mussawi unterzeichneten, mit strafrechtlichen
       Verfolgungen zu rechnen haben. Wer kann oder will sich da überhaupt noch
       auf das Filmemachen konzentrieren?
       
       Die Stagnation der Kinoproduktion vor und nach Wahlen ist den iranischen
       Filmschaffenden allerdings nicht unbekannt. Schließlich muss man sich auf
       jeden neuen Kulturminister, Kino-Beauftragten und Vorsitzenden der
       Zensurbehörde neu einstellen. Vom ersten Exposé bis zur Endfassung wird ein
       Filmprojekt von staatlicher Seite begleitet. Im Iran Kino zu machen, heißt
       eben auch, geschickt und hintersinnig mit der Zensur zu verhandeln und auf
       ihre Willkür und Unberechenbarkeit zu reagieren. So mancher Regisseur hat
       sich einen achselzuckenden Inschallah-Umgang mit den Behörden angewöhnt
       oder verarbeitet seine Erfahrungen mit sturen Beamten und
       revolutionsmoralistischen Vorgaben zu Anekdoten.
       
       Seit 2005 fahre ich für die Berlinale Anfang Dezember auf Vorauswahlreisen
       in den Iran. Es ist die beste Zeit, in den Schnitträumen herrscht
       Hochbetrieb, jeder will seinen Film für das Fajd-Festival in Teheran Anfang
       Februar fertig bekommen. Natürlich stellt mir die offizielle
       Dachorganisation des iranischen Films, Farabi, ihr Kino für die
       Berlinale-Sichtungen zur Verfügung. Doch viele Regisseure zeigen ihre Filme
       lieber an einem "neutraleren", will sagen: privateren Ort. Unweigerlich
       geht es in den Gesprächen nach den Vorführungen um die Freigabe des Films,
       von Jahr zu Jahr werden diese Gespräche ausführlicher und angespannter. Die
       Zensur ist unter Ahmadinedschad, der dem Kino nicht sehr wohlgesinnt ist,
       noch rigider und unberechenbarer geworden. Auch das kommerzielle Kino wird
       mit Argusaugen nach vermeintlichen Frivolitäten und versteckter Kritik
       abgesucht.
       
       Vor zwei Jahren zeigte mir der Regisseur Masud Kimiai Ausschnitte seines
       neuen Krimis "The Boss" über einen Drogendealerring. Die Szenen von
       ravenden Jugendlichen, die in einem riesigen Teheraner Undergroundclub
       Drogen aller Art einwerfen, schienen für ihn erstaunlicherweise kein
       größeres Problem darzustellen. Der gestandene Regisseur vertraute auf seine
       Reputation. Schon vor der Islamischen Revolution schrieb er iranische
       Kinogeschichte: In dem 1968 gedrehten Film "Kaiser" führte er die Figur des
       Antihelden ein, die gerade bei einer jüngeren Generation auf große Resonanz
       stieß.
       
       Die wenigen Produktionen, die unter dem Schah-Regime entstanden,
       orientierten sich in ihrer Dramaturgie an Hollywood und feierten einen
       gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Aufschwung, von dem ein Großteil
       der Bevölkerung jedoch ausgeschlossenen blieb. Deshalb traf Kimiai mit
       seinem Verlierertypen, der im Laufe des Films zunehmend an den Rand der
       Gesellschaft gedrängt wird, einen Nerv der iranischen 60er-Jahre. Seine
       tanzenden Kids aus "The Boss" wiederum spiegeln das westlich orientierte
       Lebensgefühl der heutigen Teheraner Jugend. Das fertige Werk bekam ich
       trotz Nachfrage nie zu sehen, höchstwahrscheinlich fristet es ein Dasein
       auf den DVD-Schwarzmärkten im Iran und teilt das Schicksal anderer Filme,
       die entweder verboten oder nur mit eingeschränkter Kinoauswertung
       zugelassen wurden.
       
       Auch für Darius Mehrjui, einem weiteren renommierten Regisseur, scheint
       sich ein Kreis der Zensur geschlossen zu haben. Sein Film "Die Kuh" (1969)
       wurde aufgrund seiner Armutsbilder aus der Provinz verboten. Im
       neorealistischen Stil des italienischen Nachkriegskinos erzählte Mehrjui
       von einem Bauern, der seinen einzigen Besitz, eine Kuh, verliert und
       darüber wahnsinnig wird. Vor zwei Jahren nun organisiert der Regisseur in
       der Wohnung eines befreundeten Filmfreaks mit unglaublicher DVD-Sammlung
       eine Beamer-Projektion seines neuen Films.
       
       In "Santoori" geht es um einen erfolgreichen Musiker aus gläubigem
       Elternhaus, der heroinsüchtig wird und in den Slums im Süden von Teheran
       landet. Es sind genau diese quasi-dokumentarischen Bilder von auf der
       Straße oder unter provisorischen Zeltdächern lebenden Menschen in Lumpen,
       die nicht in das offizielle Bild Irans passen und denn auch von den
       Zensoren beanstandet wurden.
       
       Doch nicht nur die Bürokratie der Kontrolle ist rigider geworden. Im
       vergangenen Dezember hörte man in Teheran immer wieder von gestürmten
       Filmbüros, beschlagnahmten Festplatten - und eben auch Verhaftungen. In
       Cannes stellte der iranisch-kurdische Regisseur Bahman Ghobadi seinen neuen
       Film "No one Knows about Persian Cats" vor. Ohne Genehmigung in nur 17
       Tagen gedreht, wirft der Film einen Blick in die verbotene Musikszene
       Teherans, porträtiert die Heavy Metal Community und ihre Protestsongs. Nach
       seiner Rückkehr von den Filmfestspielen wurde Ghobadi mit der Begründung
       verhaftet, er habe in Cannes öffentlich die Regierung kritisiert. Gegen
       eine Kaution wurde der Regisseur am 9. Juni wieder entlassen.
       
       Ghobadis Kollege Jafar Panahi, einer der international bekanntesten
       iranischen Regisseure, hat sich aufs Warten eingestellt. Letztes Jahr, bei
       einem Abendessen in seiner Wohnung, zeigt er die Sammlung seiner alten
       Fotoapparate und von Festivals mitgebrachte Souvenirs. Doch wo stehen sein
       Goldener Löwe von Venedig und der Silberne Bär aus Berlin? Panahi hat sie
       dem Teheraner Filmmuseum gestiftet. So kann sich der Besucher wenigstens an
       den internationalen Trophäen erfreuen. Die dazugehörigen Filme ",Der Kreis"
       (2006) und "Offside" (2006), die auf ganz unterschiedliche Weise von den
       eingeschränkten Rechten iranischer Frauen erzählen, wurden nämlich nur in
       wenigen Sonderaufführungen gezeigt. Sein neues, bereits finanziertes
       Projekt, ein Film über den Iran-Irak-Krieg, ist drehbereit. Die
       Zensurbehörde hüllt sich jedoch weitgehend in Schweigen, obwohl es sich um
       einen Lieblingsstoff der Offiziellen handelt. Höchstwahrscheinlich fürchtet
       man, dass Panahi das durch soldatische Märtyrer geprägte Genre der
       "Geheiligten Verteidigung" unterwandert.
       
       Beim Abschied bekomme ich von Jafar Panahis Sohn seinen Kurzfilm "My First
       Film" zugesteckt, der sich auf aberwitzige Weise über die Verbote von
       Satellitenschüsseln, Partys und Hundehaltung lustig macht. Augenzwinkernd
       sagt der junge Regisseur, dass sein 27-minütiges Werk auf persönlichen
       Erfahrungen basiere.
       
       Tatsächlich kann man eine neue Tendenz im iranischen Kino festmachen. Immer
       mehr jüngere Regisseure beginnen aus ihrer unmittelbaren Lebenssituation
       heraus zu erzählen. Ihre Geschichten spielen im eher westlich orientierten
       Teheraner Norden und handeln von kaputten Ehen, Lügen und Seitensprüngen.
       Filme wie Asghar Farhadis "Fireworks Wednesday" über eine junge Putzfrau
       vom Lande, die in eine Ehekrise ihrer Teheraner Auftraggeber hineingerät,
       sind präzise beobachtete Beschreibungen einer Gesellschaftsschicht, die in
       den eigenen vier Wänden schon längst ein liberales Leben lebt. Gerade bei
       einem jüngeren Publikum traf dieser Film einen Nerv und wurde zum
       Kassenschlager des Jahres 2006.
       
       In seinem neuen Film "About Elly", der auf der diesjährigen Berlinale lief,
       zeigt Farhadi die archaische Unterseite dieses Lebensstils: Er folgt einer
       handvoll Freunde der Teheraner Mittelschicht ans Meer. Als eine junge,
       alleinstehende Frau verunglückt, unterstellt man ihr Leichtlebigkeit, um
       die Verantwortung abzuwälzen. Es geht um eine tief verwurzelte Angst vor
       den Autoritäten und den reflexhaften Rückfall in tradierte, enge
       Moralvorstellungen. Das neue iranische Kino weiß, dass die Freiheit des
       Privatlebens, von der es erzählt, erst noch eine Freiheit des Lebens werden
       muss.
       
       9 Jul 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anke Leweke
       
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