# taz.de -- Was taugt die Netzpartei?: Postskriptum zur Piratendiskussion
       
       > Der Wunsch der Piratenpartei, jenseits von links und rechts agieren zu
       > wollen, ist Kitsch. Wichtiger ist: Sie haben das Potential, als Vertreter
       > der Netzkultur Grundsatzdiskussionen zu führen.
       
 (IMG) Bild: Stehen im Widerspruch zu vielen gesellschaftlichen Regelungen - Piraten auf dem Hamburger Parteitag.
       
       Nach und nach erledigt sich alles, was man bekämpft hat, von selbst. Erst
       die Musikindustrie, nun die Kaufhäuser. Warenhäuser und die um sie gebauten
       Innenstadtzonen, später Malls und Shopping Citys, sind von der Linken nicht
       zu Unrecht als konkrete Verkörperungen der abstrakten Herrschaft des Wertes
       kritisiert und bekämpft worden.
       
       Vielleicht war diese Kritik ungenau oder unvollständig, aber sie ist nicht
       dadurch erledigt, dass man jetzt Malls aus Bits und Bytes baut, Kaufhäuser
       und andere einst von Architektur verkörperte Institutionen nunmehr aus
       Links konstruiert. Nicht die jeweilige Konkretion ist für das
       verantwortlich, was schon abstrakt falsch ist, noch stellt ihre
       Anschaulichkeit einen Ausweg dar - von beidem ein bisschen. Begriffe wie
       Arbeit, Konsum, Freizeit, Befreiung und Unterwerfung sind unter
       Netzbedingungen abstrakter geworden, gerade weil sie nun in einer Fülle von
       Konkretionen untergehen, die unter mehrere, gegensätzliche Bestimmungen
       fallen.
       
       Doch diese Konfusionen sind dem Fehlen aktueller begrifflicher Diskussionen
       geschuldet, nicht dem Eintreten eines postpolitischen Zustandes. Es wird
       nur alles mal wieder etwas komplizierter, was offensichtlich ungern gehört
       wird, wo Medienarchitekturen schnelle Antworten belohnen. Beim "Pro und
       Contra" zur Piratenpartei in dieser Zeitung fielen deren Unterstützer in
       den Onlinekommentaren über Jörg Sundermeier her, den Vertreter des
       politisch argumentierenden Contra.
       
       Dabei hatte niemand von ihnen überhaupt sein Argument verstanden, dass
       nämlich ein Verhandeln gesellschaftlicher Verhältnisse ausschließlich
       anhand von deren Onlineversion zwangsläufig blind gegenüber der politisch
       ökonomischen Grundlage auch der Onlineverhältnisse bleibt.
       
       Eigentum und Urheberrecht sind entweder überhaupt ein Problem oder gar
       nicht und nicht erst seit man im Netz plötzlich Zonen erleben kann, wo
       ungeregelt ist, was gesellschaftlich sonst so stark durchgesetzt ist, dass
       es niemand anzweifelt.
       
       Natürlich ist das Web 2.0 nicht nur die Fortsetzung eines Warenhauses mit
       anderen Mitteln, in dem Aufmerksamkeitsquanten, Partizipationsbereitschaft,
       Dienstleistungen und natürlich auch klassische Warenobjekte auf neue Weise
       verdealt werden. Es ist auch ein Kino, eine Bibliothek und ein Arbeitshaus,
       in dem permanente Partizipation und Angeschlossenheit normativ durchgesetzt
       werden. Doch schon das alte Kaufhaus und seine Nachfolger, die grausamen
       Outlet-Center an den Peripherien, waren nie ausschließlich der tote
       Nichtort, das asoziale Maximum an Entfremdung.
       
       Je neue Zyklen von Konsumkultur brachten auch deren Kritik auf höheres
       Niveau und führten egalisierte Zugriffe auf Waren in die Alltagskultur ein.
       Eine Übertreibung dieser Dialektik wäre es dennoch, in den Konsumkulturen
       der Nachkriegszeit eine emanzipative Geschichte freilegen zu wollen: Es ist
       eine der zunehmenden Kontrolle, der Zerschlagung von selbstbestimmten
       Lebensformen. Aber sie hat uns auch viel falsche Unmittelbarkeit vom Halse
       geschafft.
       
       In den freien Zonen des Internets - dem partiell suspendierten Eigentum,
       der akzelerierten Zugänglichkeit von Information, den unbegrenzten sozialen
       Assoziationsmöglichkeiten - etwas entdecken zu wollen, das sich unpolitisch
       allein auf dessen Organisationsformen und ihre Technik zurückführen lassen
       soll, wird vielleicht von dessen vereinfachenden, beschleunigenden
       Umgangsformen nahe gelegt - und von der Identifikation von Politik mit
       Bürokratie.
       
       Aber die Attraktion des Web sind Möglichkeiten, die es anderswo nicht gibt,
       weil sie im Widerspruch zu generellen gesellschaftlichen Regelungen stehen;
       zu Traditionen, Strukturen, Natürlichkeitsannahmen. Dies aber ist ein
       politisches Verhältnis. Politisch ist aber nicht nur das Verhältnis dieser
       Netzchancen zu ihrem Außen, sondern auch das der negativen zu den positiven
       Entwicklungen. Diskussionen über Chancen, wie Freiheit von Urheberrecht und
       Zensur, und Problemen, wie die Einspannung der Netzteilnehmer in einer
       scheinfreiwilligen, unbezahlten Prosumer-Partizipationsökonomie, müssen auf
       diesen Gegensatz hin geführt werden.
       
       Der Wunsch der Vermeidung von Politik, der Kitsch der Piraten, jenseits von
       links und rechts operieren zu wollen, verkennt gerade diese besonderen
       Qualitäten der Netzkultur: dass sie im Gegensatz zu etwas anderem stehen.
       Das wäre ein klassischer Gegenstand von politischen Grundsatzdiskussionen,
       die nicht deswegen apolitisch und technisch zu suspendieren wären, weil die
       offizielle Politik keine Grundsatzdiskussionen mehr führt.
       
       13 Jul 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Diedrich Diederichsen
       
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