# taz.de -- Debatte Drogentote: Perverse Prohibition
       
       > Schuld sind nicht die Drogen, sondern ihr Verbot. Ein Plädoyer für die
       > Legalisierung am "Gedenktag für verstorbene Drogenabhängige".
       
 (IMG) Bild: Konzentrierte Vorbereitung: je geringer die Toleranz, desto riskanter der Drogenkonsum
       
       Als Galileo Galilei das Fernrohr erfand, verweigerten die Mächtigen seiner
       Zeit den Blick, weil dieser ihr Weltbild erschütterte. Als Antoni van
       Leuwenhoek durch das erste Mikroskop schaute und erklärte, im Speichel
       lebten kleine Tierchen, erklärte man ihn für verrückt. Zu allen Zeiten
       hatten die Pioniere neuen Wissens mit den Verteidigern alter Glaubenssätze
       zu kämpfen. Mit dem Zeitalter der Aufklärung, der Etablierung der Vernunft
       und des wiederholbaren wissenschaftlichen Experiments zur Gewinnung
       allgemeingültiger Erkenntnisse ist das dunkle Zeitalter der Glaubenskriege
       indessen keineswegs beendet. Nach wie vor weigern sich die Mächtigen, ihr
       Weltbild durch neue Erkenntnisse erschüttern zu lassen - und nach wie vor
       sorgt dieses Dogma für grausame mittelalterliche Verhältnisse. Am Dienstag,
       dem "Nationalen Gedenktag für verstorbene Drogenabhängige" gilt es, an eine
       besonders absurde und gemeingefährliche dieser Grausamkeiten zu erinnern:
       das Festhalten an der Prohibition, den Glauben an die Wirksamkeit
       repressiver Drogenpolitik.
       
       Allein ein Blick auf die amtlichen Zahlen der Drogentoten in Deutschland
       würde genügen, diesen Glauben zu erschüttern. Die höchste amtlich
       festgestellte Drogentotenzahl lag 1991 bei 2.125, im Jahr 2008 lag sie bei
       1.449 Toten. In fast 20 Jahren hat sich die Zahl der Drogentoten also
       gerade mal um ein Drittel verringert. In einer Studie über die Wirksamkeit
       drogenpolitischer Maßnahmen, die eine europäische Kommission unter Leitung
       des britischen Labour-Abgeordneten Paul Flynn 2002 für den Europarat
       erstellte, wurde am Beispiel von Schweden - mit sehr stark repressiver
       Drogenpolitik -, Großbritannien - mit überwiegend repressiven Maßnahmen, -
       sowie den Niederlanden und der Schweiz - mit ihren eher
       schadensreduzierenden Modellen- untersucht, inwieweit sich diese
       unterschiedlichen Maßnahmen auf die Zahl der Konsumenten, des
       "Drogenschadens" und der "Drogentoten" auswirken.
       
       Das Ergebnis des Flynn-Berichts konnte keinen direkten Zusammenhang
       zwischen hohen Strafen und einem Rückgang des Konsums feststellen: "Die
       Drogenpolitik der meisten Staaten scheint auf der Annahme zu beruhen, dass
       höhere Rechtsstrafen den Konsum begrenzen. Jedoch geht aus den Daten klar
       hervor, dass der Gebrauch von Cannabis in den Niederlanden, wo Besitz und
       Transport von ,Eigenbedarfsmengen' nicht bestraft werden, erheblich
       niedriger ist als in Großbritannien, wo die Rechtsstrafen relativ hart
       sind", lautete der Befund Paul Flynns.
       
       Für die Hardliner im Europäischen Parlament war dieses Ergebnis so
       ernüchternd, dass die parlamentarische Versammlung vor einer Annahme des
       Berichts 17 Klauseln ändern oder streichen wollte - und zwar vor allem
       jene, in denen die positiven Ergebnisse der Ansätze in der Schweiz und den
       Niederlanden herausgestellt wurden. Daraufhin zogen die Verfasser ihre
       Unterstützung für den Bericht zurück.
       
       Ähnlich klare Daten hatte auch schon eine Studie der Vereinten Nationen
       1997 erbracht, nach der harte Repression harte Drogen fördert: Der
       Marktanteil von harten gegenüber weichen Drogen liegt in den USA bei einem
       Verhältnis von 7:1, in Holland dagegen im Verhältnis 2:3. Man könnte noch
       ein Dutzend weiterer solcher Studien anführen, doch verhält es sich mit
       ihnen heute ähnlich wie mit Galileis Fernrohr zu Beginn der Renaissance:
       Die Gralshüter der Prohibition wagen nicht, hindurchzuschauen - und wenn es
       sich nicht vermeiden lässt, setzen sie alles daran, die unpassenden neuen
       Erkenntnisse wegzuerklären.
       
       Damals wie heute geht es dabei nicht allein um Fragen des Glaubens und der
       Deutungshoheit, es geht vor allem ums Geschäft. Der globale "war on drugs",
       den Ronald Reagan Anfang der 1980er ausrief, hat zwar keinerlei Rückgang
       des Konsums bewirkt - die USA konsumieren mit 5 Prozent der Weltbevölkerung
       nach wie vor über 25 Prozent aller illegalisierten Drogen -, verschlingt
       aber stetig wachsende Milliardenbudgets. Die privatisierte
       US-Gefängnisindustrie macht mehr als ein Drittel ihrer börsennotierten
       Umsätze mit "Kunden", die wegen Drogen einsitzen. Der Weltumsatz
       illegalisierter Drogen wird von der UN auf über 400 Milliarden Dollar
       taxiert und stellt die Haupteinnahmequelle des organisierten Verbrechens
       und des Terrorismus dar.
       
       Mit seinem untauglichen Cousin, dem "Krieg gegen Terror", teilt der "Krieg
       gegen Drogen" aber nicht nur die Geschäftsgrundlage, sondern auch eine
       grundsätzlichere und grausamere Gemeinsamkeit: Er produziert die Opfer, die
       er zu retten vorgibt. Deshalb ist ein solcher Gedenktag, wie er vom
       "Bundesverband der Eltern und Angehörigen für akzeptierende Drogenarbeit e.
       V." seit 1998 ausgerufen wird, richtig und wichtig. Denn es sind nicht die
       Drogen, die für "Drogentote" verantwortlich sind, sondern die Situation, in
       der die Konsumenten zu leben gezwungen sind; nicht die Substanzen töten,
       sondern ihr Verbot.
       
       Da die Prohibition auch außenpolitisch gewollt ist, weil sie Profitspannen
       wie bei keinem anderen Handelsprodukt garantiert - ohne die gigantischen
       Heroin-Einnahmen wäre zum Beispiel der wichtigste Verbündete des Westens im
       Nahen Osten, Pakistan, volkswirtschaftlich ruiniert -, ist ein Ende des
       Terrorismus so wenig abzusehen wie ein Ende der Leichenproduktion durch das
       Drogenverbot. Dabei wären die ersten Schritte zu einem
       schadensminimierenden, lebensrettenden Paradigmenwechsel sehr einfach: ein
       generelles Werbeverbot für sämtliche Drogen - und Heroin und Kokain wieder
       dahin, wo sie einst herkamen: in die Apotheke.
       
       Doch eine Gesellschaft, die schon ihre fußballbegeisterten Kinder im TV mit
       Bierwerbung zum Drogengebrauch animiert und sich dann ernsthaft wundert,
       warum Flatrate-Trinken und Koma-Saufen zur Seuche werden, scheint von
       drogenpolitischer Vernunft noch weit entfernt. Sie wird weiter Drogentote
       in Kauf nehmen und sich mit der willkürlichen Trennung in Erlaubtes und
       Verbotenes weiter ein paar "Süchtige" als Sündenbock halten und sie
       einsperren, vegetieren, krepieren lassen - als rituelle Opfer einer
       allgemeinen und tiefgreifenden Konsumsucht.
       
       21 Jul 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Mathias Bröckers
       
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