# taz.de -- Kunsthistoriker über Abriss-Welle: "Erst mal Tabula rasa"
       
       > Die freien Räume in der Stadt schwinden - bei Bedarf wird auch per Abriss
       > Platz geschaffen. Ein Gespräch mit dem Kunsthistoriker Hermann Hipp.
       
 (IMG) Bild: Demnächst vielleicht auch bedrängt? Gebäude des Internationalen Seegerichtshofs an der Elbchaussee.
       
       taz: Herr Hipp, verdient sich Hamburg gerade den Titel "Freie und
       Abriss-Stadt"? 
       
       Hermann Hipp: Dieses Diktum wird immer Alfred Lichtwark zugeschrieben, dem
       bedeutenden Kunsthallendirektor um die Jahrhundertwende, aber das konnte
       nie belegt werden.
       
       Gehalten hat es sich trotzdem.
       
       Weil es in mancher Hinsicht eben doch Realität widerspiegelt.
       
       Woran würden Sie das festmachen? 
       
       In Hamburg wird in der Vergangenheit wie in der Gegenwart schon gern erst
       mal Tabula rasa geschaffen. Denken Sie nur an die denkmalschutzwürdigen
       Kontorhäuser, an deren Stelle die "Europa-Passage" gebaut worden ist.
       
       Sollte es in einer so stark zerstörten Stadt wie Hamburg nicht eine Art
       kollektives bauliches Gedächtnis geben, das die Stadt behutsam mit dem
       umgehen lässt, was erhalten blieb? 
       
       Ganz so schlimm ist es ja nun auch wieder nicht. Hier finden Sie - zum
       Beispiel in Rotherbaum - immer noch ausgedehnte, gut erhaltene bürgerliche
       Wohnviertel. Allerdings ist es gerade deren Attraktivität, die inzwischen
       zur Verdichtung führt.
       
       Gerade scheint in Hamburg ein weiterer Verdichtungsschub stattzufinden, in
       dem ein- bis zweistöckige Häuser Eigentumswohnungen weichen müssen. Beraubt
       sich die Stadt da wichtiger Freiräume? 
       
       Wenn Sie damit die innerstädtischen "Szene"-Viertel meinen, ja, da findet
       so etwas wie Verdrängung und dann Verdichtung statt. Hier ist es das
       lebendige, kreative soziale Milieu, das anzieht. Die Folge ist der aus
       allen Großstädten bekannte Prozess der Gentrifizierung. Junge Leute mieten
       abgenutzte städtische Substanz zu erschwinglichen Preisen und es entsteht
       etwas ganz Tolles, sei es in der Schanze oder in Berlin im Prenzlauer Berg.
       Dann kommen die Leute mit Geld und an die Stelle der Subkultur tritt ein
       Pseudomilieu, für das neu und mehr Wohnraum gebaut wird, so dass sich das
       Stadtbild und erst recht die Bewohnerschaft bald verwandeln. Vor allem aber
       steigt der Grundstückswert dadurch beachtlich.
       
       Bleibt der ehemaligen Avantgarde dann nur noch der Weg in den
       50er-Jahr-Bau, bei dem sie nicht mit den Finanzkräftigen konkurriert? 
       
       Ich fürchte, das ist keine Alternative. Eine Sozialwohnung der
       Nachkriegszeit bietet nun einmal nicht dieselbe räumliche Vielfalt an wie
       fast alle Altbauten aus der Kaiserzeit. Übrigens erfasst der Verdichtungs-
       und Verdrängungsprozess, die Immobilienspekulation auf Grund von
       Attraktivität, andere Milieus und deren Stadtbild noch konsequenter.
       
       Welche denn? 
       
       Die der mittelständischen Bürgerkultur in den ausgedehnten Stadtteilen, wo
       in Hamburg jahrzehntelang das kultivierte Einfamilienhaus herrschte. Gerade
       die große Wohnqualität von Vierteln wie Othmarschen oder Volksdorf führt
       dort zum Austausch der schönen alten Häuser durch verdichteten Wohnungsbau,
       dessen euphemistische Bezeichnung als "Stadtvillen" nur verdeckt, dass
       vier, sechs und noch viel mehr Wohnungen auf demselben Grundstück entstehen
       wie vorher ein Einzelhaus, so dass die Viertel ihren Charakter verlieren.
       Und der gehört ja nicht nur den Bewohnern, sondern der Öffentlichkeit
       insgesamt. Die legendäre Bebauung der "Elbchaussee" ist so regelrecht am
       Verschwinden.
       
       Ist das ein unausweichlicher Prozess? 
       
       Die Bauleitplanung, insbesondere die Bebauungspläne, definieren schon sehr
       eindeutig wenigstens Art und Maß der Nutzung von Grundstücken und
       Quartieren. Allerdings kann man sie ändern. Und sie werden wohl auch immer
       flexibler umgesetzt.
       
       Das heißt, es gäbe doch ein Handhabe der Politik, die sie nur nutzen
       müsste? 
       
       Eine Politik, die wollte, hätte sie. Und das betrifft vor allem einen
       Punkt, an dem ich empfindlich werde: Wenn nämlich die öffentliche Hand sich
       mit öffentlichem Grund und Boden selbst aktiv an Verdrängung und
       Verdichtung beteiligt. So wird gerade jetzt das Schulgelände bei der
       Hauptkirche St. Katharinen mit seinem Freiraum für eine hochverdichtete
       Neu-Bebauung privatisiert. Die Kirche wird dahinter nachgerade
       verschwinden. Die Gemeinde und die Anwohner protestieren. Wir werden sehen,
       ob und wie die Politik reagieren wird.
       
       2 Aug 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Friederike Gräff
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Stadtentwicklung Hamburg
       
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