# taz.de -- Debatte Straßenschlachten: Männer unter sich
       
       > Der politische Effekt von Straßenschlachten geht gegen Null. Warum
       > überlebt dieses Ritual?
       
 (IMG) Bild: „In dem Artikel gibt es kein einziges Argument“, sagte Ronja von Rönne über ihren eigenen Artikel
       
       Wer in diesen Tagen in Hamburg durch das Schanzenviertel oder durch St.
       Pauli läuft, wird zu direkter politischer Aktion aufgefordert:
       "Schwarz-grüne Zustände zerschlagen". Auf Plakaten, die vorzugsweise grüne
       Wahlplakate überkleben, sieht man einen grün und einen schwarz
       uniformierten Polizisten - in zuschlagender Pose. Der Plakattext nimmt
       Bezug auf den polizeilichen Räumungsversuch des Schanzenfests im Juli 2009
       und erklärt: "Wir sind keine Opfer und der Angriff war keine Willkür! Wir
       sind GegnerInnen kapitalistischer und nationalistischer Systematiken, die
       von den Bullen geschützt und reproduziert werden." Zerschlagen versus
       zuschlagen, das eine klingt, das andere sieht aus wie Krieg.
       
       Nach dem zweiten Schanzenfest rechtfertigt dessen Sprecher die
       Steinwurf-Attacke auf eine Polizeiwache, weil diese das Polizeikonzept des
       Innensenators symbolisiere. Das heißt: Solange die Polizei mit
       Hundertschaften und Wasserwerfern anrückt, so lange werden wir mit Gewalt
       reagieren. Da die Innenbehörde dies spiegelbildlich genauso sieht, gerinnt
       der Konflikt zwischen ungleichen Gegnern zum ewigen Ritual. Woran scheitert
       eine politische Lösung? Beide Seiten stigmatisieren sich jeweils als
       Vertreter des politisch Bösen, das ausgemerzt werden muss. Ihr Hass macht
       sie ähnlicher, als es ihnen lieb ist.
       
       Zunächst zur Gleichsetzung von Links- und Rechtsextremismus, die vonseiten
       staatlicher Sicherheitsinstitutionen häufig betrieben und vonseiten der
       Autonomen gern als "Extremismus-Paranoia" bezeichnet wird. Dabei gilt es zu
       bedenken: Das rechtsextremistische Konzept eines "Führerstaats" ist
       prinzipiell antidemokratisch. Linksextreme Vorstellungen hingegen, im
       Verfassungsschutzbericht als "revolutionär-marxistische oder anarchistische
       Ideologien" bezeichnet, enthalten zwar undemokratische Potenziale, aber
       dies gilt für jede politische Grundorientierung, auch für konservative und
       liberale Vorstellungen (etwa Nationalismus und Manchester-Liberalismus).
       Linksextreme Forderungen wie Basisdemokratie und eine gesellschaftlich
       stärker kontrollierte Wirtschaft sind mit Demokratie und Grundgesetz
       vereinbar. Und selbst als PazifistIn muss man den fundamentalen Unterschied
       zwischen autonomer Gewalt gegen Sachen oder zum Schutz von
       Asylbewerberheimen und rechtsextremen Pogromen einräumen.
       
       Die Extremismus-Paranoia erklärt das kriminelle Vorgehen einiger
       Polizisten. Nicht nur steht die linksextreme Bewegung für einen fremden
       kollektiven Lebensstil jenseits der traditionellen Kleinfamilie. Zugleich
       bedroht sie ideell das Existenzrecht der Polizei selbst. "Hartes
       Durchgreifen", aber auch Gegenanzeigen, Vernichtung von Beweisstücken,
       Auskunftsverweigerung und Ablehnung namentlicher Kennzeichnung bezeugen
       eine Haltung, die sich politisch im Recht glaubt und eine unheimliche
       Lebensform im Keim ersticken möchte. Damit verletzt die Polizei ihre
       politische Neutralitätspflicht und verknüpft kleinbürgerliche
       Obrigkeitsvorstellungen des 19. Jahrhunderts mit postmoderner
       Utopiefeindlichkeit nach 1989. Eine Polizei, die sich nicht exakt an ihre
       rechtsstaatliche Vorbildfunktion hält, beschädigt den Rechtsstaat
       nachhaltiger als eine Handvoll Steinewerfer. Und sie nährt die autonome
       Revolutionsrhetorik, die ihrerseits die Demokratie beschädigt.
       
       So wird das martialische "Zerschlagen" des "Systems" mit dem
       nationalistisch-kapitalistischen Polizeistaat gerechtfertigt, der nur auf
       gewaltförmigen Widerstand reagiere. Diese "Analyse" ist ähnlich plakativ,
       absurd und veraltet wie diejenige des Verfassungsschutzes. Den Staat mit
       homogenem Interesse und absoluter gesellschaftlicher Durchschlagskraft gibt
       es schon lange nicht mehr.
       
       Gleichzeitig ist die Utopie einer Gesellschaft, in der staatliche Gewalt
       nicht mehr benötigt wird, legitim. Ebenso das zentrale autonome Anliegen,
       Gentrifizierung aufzuhalten, die Verdrängung ökonomisch schwächerer
       Lebensstile per Marktmechanismus. Dies erfordert jedoch enorme
       gesellschaftliche Transformationen und komplexere Strategien als
       "Zerschlagungen", die nur die Teufelsspirale der Gewalt verstärken. Die
       Medien berichten gern davon, Gewalt verkauft sich wie Sex.
       
       Kommunikativere und effizientere Methoden wie unsichtbares Theater, etwa
       die Unterwanderungen einflussreicher Konferenzen durch die Yes Men, oder
       kreative Blockaden à la G-8-Gipfel-AktivistInnen laufen Gefahr, von der
       Gewaltdiskussion dominiert zu werden. Linke Positionen geraten pauschal
       unter Terrorverdacht, der wiederum erlaubt, Polizeiübergriffe zu
       beklatschen.
       
       Was hat ein Teil der autonomen Bewegung vom ewigen Kampf gegen den Staat,
       der offensichtlich weder Sympathien für abweichende Lebensformen weckt noch
       "das System" transformiert? Psychische Entlastung, alkoholverstärkter
       Frustabbau, aber auch: Männlichkeitskult. Nicht zufällig wirken schwarze
       Blöcke ähnlich uniformiert-bedrohlich wie Polizeiaufmärsche. Es kommt etwas
       hinzu, was Theodor W. Adorno "Verselbstständigung" nannte: die
       Endlosfehlerschleife eines sich abschottenden Mikrosystems, das sich
       sinnlos reproduziert, weil damit kurzzeitige Befriedigung einhergeht.
       
       Linksextreme Revolutionsromantik ist kontraproduktiv, weil sie den
       vernünftigen Kern einer modernen libertär-anarchistischen Graswurzelpolitik
       diskreditiert. Pierre Joseph Proudhon, der Vater des Anarchismus, schrieb
       um 1850 im Gefängnis: "Legt selbst Hand ans Werk, bestürmt weder die
       Regierung, noch greift sie an!" Warum lehnt Proudhon, selbst Opfer
       staatlicher Gewalt, den Kampf gegen den Staat ab? Um dem Gegner nicht
       ähnlich zu werden. Um stattdessen durch das eigene Beispiel zu zeigen, wie
       eine neue Gesellschaft aussehen könnte. Und aus der Gefahr heraus, die er
       im Marxismus sah: dass dieser seinen absoluten Wahrheitsanspruch irgendwann
       gegen die eigenen Leute kehren würde. Extremismus-Paranoia schadet einer
       offenen Debatte über die Weiterentwicklung der Republik. Eine pauschale
       Staatsparanoia ebenso.
       
       27 Sep 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Petrik
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Feminismus
       
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