# taz.de -- Debatte Rassismus: Hatun und Marwa
       
       > In Dresden wird über einen Mord aus Muslimenhass verhandelt. Eine Debatte
       > wäre nötig, welches Meinungsklima die Tat begünstigt hat.
       
       Als die Deutschkurdin Hatun Sürücü vor vier Jahren in Berlin von ihrem
       Bruder ermordet wurde, löste die Tat eine Debatte über Zwangsehen und
       Ehrenmorde unter türkischstämmigen Einwanderern aus. Der jüngere Bruder
       hatte sie erschossen, weil er ihren Lebensstil als "zu deutsch" empfand.
       
       Als die Ägypterin Marwa El Sherbini vor drei Monaten in Dresden von einem
       russlanddeutschen Aussiedler in einem Gerichtssaal ermordet wurde, folgte
       der schockierenden Tat in deutschen Medien erst einmal seltsames Schweigen.
       Der arbeitslose Täter empfand mörderischen Hass auf die Apothekerin, weil
       er sie mit ihrem Kopftuch als zu muslimisch empfand.
       
       Die deutsche Öffentlichkeit nahm die Bluttat als Kuriosum wahr. Das war
       leicht, denn sie geschah im Osten der Republik, der für viele Westdeutsche
       noch immer eine Art inneres Ausland darstellt, überdies war der Täter
       selbst ein Einwanderer. Erst als die Reaktionen aus dem Ausland nicht mehr
       zu überhören waren, änderte sich diese Wahrnehmung. Doch da überwog in
       vielen Medien schon die diffuse Angst vor möglicher "muslimischer Rache"
       das Entsetzen über den Mord.
       
       Bloß kein Türke als Nachbar 
       
       Kaum jemand sah einen Zusammenhang zwischen dem Mord und dem Meinungsklima
       gegenüber Muslimen hierzulande. Nur der Dresdner Meinungsforscher Wolfgang
       Donsbach zog in der Sächsischen Zeitung eine Linie zu verbreiteten
       Haltungen und den Erfahrungen seiner Studenten in der Stadt. Donsbach hatte
       im März die Dresdner gefragt, welche Nachbarn ihnen besonders unangenehm
       wären, die Nennungen reichten von Afrikanern (10 Prozent) bis zu
       Osteuropäern (18 Prozent) und Türken (25 Prozent). Von den ausländischen
       Studierenden der TU Dresden, die er nach "negativen Erlebnissen" befragt
       hatte, sagte jeder dritte, er sei schon einmal "wegen seiner Nationalität
       beschimpft worden" oder "Schlimmeres" - bei Studenten aus dem Nahen und
       Mittleren Osten war es sogar jeder zweite.
       
       Marwa El Sherbinis Mörder Alex W. hatte sein Opfer vor der Tat als
       "Islamistin" und "Terroristin" beschimpft. Mit seiner Sicht auf Muslime und
       Kopftücher steht er nicht allein, denn seit dem 11. September 2001 hat die
       Abneigung gegen den Islam bundesweit zugenommen, wie der Soziologe Wilhelm
       Heitmeyer in seiner Langzeitstudie "Deutsche Zustände" feststellte.
       
       Auch populäre Publizisten wie Henryk Broder, Udo Ulfkotte, Necla Kelek und
       Ralph Giordano weigern sich, bei Muslimen zwischen gewöhnlichen Gläubigen
       und radikalen Fundamentalisten zu unterscheiden. Die Emma-Chefin Alice
       Schwarzer nennt das Kopftuch sogar eine "Flagge der Islamisten", die sie
       hierzulande aktiv bekämpft sehen möchte. Es brauchte jedenfalls nicht erst
       einen Thilo Sarrazin, um über zu viele Kopftuchmädchen in Deutschland zu
       schimpfen.
       
       Kriminalisiertes Kopftuch 
       
       Die Politik hat sich diesem Diskurs längst gebeugt, die Kriminalisierung
       des Kopftuchs als potenziell "verfassungswidriges Symbol" hat in mehreren
       Bundesländern inzwischen Gesetzesrang. Wenn aber schon der Staat keine
       Lehrerin mit Kopftuch einstellen mag, während er sich mit anderen
       religiösen Symbolen weit weniger schwertut, warum soll das dann ein
       privater Arbeitgeber tun? Das fragte sich kürzlich auch ein Architekturbüro
       in Frankfurt und bezichtigte eine Bewerberin um eine freie Stelle in seiner
       Absage einer islamistischen Gesinnung. Die alltägliche Ausgrenzung stellt
       sich gewöhnlich subtiler dar. Doch Frauen mit Kopftuch finden auch bei
       bester Qualifikation nur schwer einen Ausbildungsplatz, einen Job oder eine
       Wohnung.
       
       Der Generalverdacht gegen Muslime, sie stünden irgendwie alle mit
       Terroristen im Bunde, kennt viele Formen. Das Großaufgebot an Polizisten
       etwa, mit dem in Niedersachsen bei "verdachtsunabhängigen Kontrollen" seit
       Jahren bestimmte Moscheen abgeriegelt und die Ausweise und Taschen aller
       Besucher überprüft werden, ist kaum dazu angetan, das Misstrauen in der
       Nachbaschaft zu zerstreuen. Niedersachsens Ministerpräsident kam vor vier
       Jahren sogar auf die glorreiche Idee, eine Videoüberwachung von bestimmten
       Moscheen in Deutschland zu fordern. Dabei treffen sich Al-Qaida-Verschwörer
       eher selten an öffentlichen Orten, sondern lieber in Vereinsräumen und
       Privatwohnungen.
       
       Der Mord an Hatun Sürücü hat sie nach ihrem Tod zu einer Symbolfigur für
       familiäre Gewalt in türkisch-muslimischen Familien werden lassen. Die
       Debatte über dieses Thema war notwendig und zwang türkische Medien und
       Migrantenverbände, sich stärker als zuvor damit zu beschäftigen. Dass es
       interessierte Grüppchen und "Islamkritiker" gibt, die das Thema für ihre
       Zwecke instrumentalisiert haben, musste man dabei in Kauf nehmen.
       
       Der Mord an Marwa El Sherbini hat sie nach ihrem Tod zu einer Symbolfigur
       für die Ausgrenzung von Muslimen hierzulande werden lassen - jedenfalls
       unter Muslimen. Eine Debatte über dieses Thema wäre notwendig, auch wenn es
       natürlich auch jetzt wieder interessierte Gruppen und Islamisten gibt, die
       das Thema für ihre Zwecke instrumentalisieren wollen.
       
       Abwehrreflex, Selbstmitleid 
       
       Leider wird eine solche Debatte nicht geführt. Statt sich, wie es sich für
       eine aufgeklärte Gesellschaft gehört, selbstkritisch zu fragen, welche
       Umstände einen Mord aus Muslimenhass begünstigt haben könnten, dominieren
       Abwehrreflexe, Selbstgerechtigkeit und Selbstmitleid.
       
       Klar: Der Mord in Dresden war die erste Tat dieser Art, bei der das Motiv
       Muslimenhass so deutlich ins Auge springt. Doch das populäre Ressentiment
       gegen Muslime, das sich als "Islamkritik" einen pseudorationalen Anstrich
       gibt, ist nur die neueste Variante einer Fremdenfeindlichkeit, die sich in
       den Achtzigerjahren in "Türken raus!"-Parolen und später in den Anschlägen
       von Mölln und Solingen äußerte. Dass der Täter von Dresden ursprünglich aus
       Russland stammt, sollte auch nicht zur Relativierung einladen, sondern an
       die internationale Dimension dieses religiös begründeten Rassismus
       erinnern. Denn Muslimenhass ist - wie der Islamismus - eine Ideologie, die
       in Ländern wie Russland oder Indien, im Nahen Osten oder auf dem Balkan
       schon viele Todesopfer gefordert hat.
       
       26 Oct 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniel Bax
       
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