# taz.de -- Ratsvorsitz der Evangelischen Kirche: Die erste Frau läuft sich warm
       
       > Am Mittwoch bestimmt die Synode der Evangelischen Kirche über ihren
       > Ratsvorsitz. Margot Käßmann gilt als Favoritin. Sie hat einen steilen
       > Aufstieg und Schicksalsschläge hinter sich.
       
 (IMG) Bild: Liebt die Kamera: Margot Käßmann.
       
       Nur jetzt keinen Fehler machen! Es kommen die vielleicht entscheidenden
       fünf Minuten im Leben der Margot Käßmann. Die Bischöfin der Hannoverschen
       Landeskirche weiß es, das Publikum weiß es. Es ist mucksmäuschenstill im
       Saal. Die 51-Jährige, gekleidet in ein graues Kostüm, betritt am
       Sonntagabend in Ulm die Bühne der Synode der Evangelischen Kirche in
       Deutschland (EKD). Fünf Minuten hat sie, um sich vor den 126
       Kirchenparlamentariern für einen Sitz im Rat der EKD zu bewerben. Glückt
       die Rede, wird sie aller Voraussicht nach am Mittwoch als Nachfolgerin
       Wolfgang Hubers an die Spitze des deutschen Protestantismus gewählt. Der
       Ratsvorsitz. Als erste Frau. Käßmann muss den schmalen Grat gehen zwischen
       Leichtigkeit und Tiefe, Ernsthaftigkeit und Show.
       
       Aber wer ist Margot Käßmann fernab dieser Show? Wer das herausfinden will,
       muss nach Hannover fahren in die Bischofskanzlei, wo Käßmann seit nun mehr
       als zehn Jahren arbeitet und auch wohnt. Zuerst mit Mann und vier Töchtern,
       jetzt ohne Mann und nur noch einer Tochter, die älteren sind schon
       ausgezogen. Es ist ein recht eleganter Fünfzigerjahrebau mit Garten. Am
       Eingang ist ein Klingelknopf mit der Aufschrift "Käßmann privat". Ganz nahe
       ist der Maschsee, um den die Bischöfin mit ihrem Hund Leo, einer Art Husky
       aus dem Tierheim, joggt.
       
       Der Dienstag der vergangenen Woche ist der letzte normale Arbeitstag vor
       dem großen Synode-Marathon. Neben ihrem geräumigen Büro mit Blick auf den
       Garten und einem Schaukelgestell aus Holz ohne Schaukel findet eine
       Pressekonferenz der Bischöfin statt. Dabei ist der "Beauftragte der
       Norddeutschen Kirchen für den NDR" und zwei der "Prinzen". Die Popsänger
       aus Leipzig waren früher Thomaner, also in dem Kinderchor der Thomaskirche,
       der nur die urprotestantischen Werke Bachs sang. Es geht um einen
       Fernsehgottesdienst mit den "Prinzen", der am Reformationstag, am 31.
       Oktober, live gesendet werden soll.
       
       Käßmann erscheint in einem kleinen Schwarzen mit schwarzen Strümpfen und
       schwarzen Schuhen, was gut mit ihren pechschwarzen Haaren harmoniert. Klein
       wirkt sie, zart und auch ein wenig zerbrechlich. Die Schicksalsschläge der
       vergangenen Jahre, eine Brustkrebsdiagnose und die Scheidung von ihrem
       Mann, haben ihrem Gesicht die Jugendlichkeit geraubt. Es ist nun durch mehr
       Härte, vielleicht aber auch durch mehr Würde gezeichnet. Nur wenn sie
       lächelt, ist das alte Strahlen wieder da.
       
       Neben der Bischöfin wirken die beiden "Prinzen" blass, Margot Käßmann
       dominiert das Gespräch und versucht eifrig, dem geplanten Show-Gottesdienst
       so viel protestantischen Ernst wie möglich abzuringen. Sie lächelt tapfer
       und schweigt, als Sänger Sebastian Krumbiegel von den "Prinzen" sagt, dass
       seine Band "die Kirche auch als Bühne wiederentdeckt" habe, doch Glaube und
       Kirche "zwei völlig verschiedene Sachen" seien.
       
       Der deutsche Protestantismus hat sich auf die moderne Welt, ja den
       Zeitgeist weit - viele meinen: zu weit - eingelassen. Dieses Weltzugewandte
       ist die Stärke der evangelischen Kirche und Käßmanns, aber auch beider
       Schwäche. "Hallo Luther", kumpelt ein Stehplakat hinter der Bischöfin die
       Journalisten an. Darauf ist Martin Luther als eine augenzwinkernde
       Comicfigur mit weißer Rose in der Hand zu bewundern - schon cool, dieser
       Reformator. Auf den Tischen liegen "Lutherbonbons" und "Lutherkekse",
       original aus Wittenberg, beide Verpackungen in Orange gehalten, um
       Halloween, kürbisfarben und sehr populär, etwas entgegenzuhalten. Das
       Kinderfest findet am Reformationstag statt und ist der Bischöfin schon
       lange ein Dorn im Auge.
       
       Die Kamera liebt Käßmann, sie ist ein Medienprofi. Mit Engelsgeduld
       wiederholt sie im Garten ein Fotoshooting, weil dem Fotografen ein noch
       besseres Motiv eingefallen ist. Einer TV-Journalistin beantwortet die
       Bischöfin lächelnd zweimal die gleichen Fragen, weil die Reporterin beim
       ersten Take den Ton vergessen hatte. Fragen oder gar Bitten um ein
       Interview zum möglichen Ratsvorsitz jedoch bügeln die Presseleute Käßmanns
       und auch sie selbst sowohl hier wie am Telefon seit Wochen konsequent ab.
       Es ist wie in der Politik. Manchmal darf man gar nichts sagen, wenn man an
       die Spitze will. Das gilt besonders in der Kirche, wo nach außen getragene
       Demut zur Stellenbeschreibung zählt.
       
       Diese strikte Selbstkontrolle und das öffentliche Schweigen fallen Käßmann
       sichtlich schwer, denn gerade Spontaneität und das offene Gespräch sind
       ihre Stärken, ja Bedürfnisse. Dies macht einen Teil des Charismas aus, über
       das die Bischöfin verfügt - Charisma im politischen Sinne als Anerkennung
       nach Max Weber wie im biblischen Sinne als Gnadengabe nach Paulus. In
       manchem gleicht sie Joschka Fischer, dem letzten großen Charismatiker der
       deutschen Politik: Wie beim früheren Außenminister fasziniert die Menschen
       bei Käßmann das Ineinandergreifen von Privatem und Öffentlichem, Person und
       Politik, ja Körper und Geist. Sein radikales Abspecken, seine jungen Frauen
       und seine flammende Rede mit geplatztem Trommelfell im rot besudelten
       Jackett, so gewann Fischer Popularität - bei Käßmann sind es die öffentlich
       gemachte Krebsdiagnose, die Scheidung von ihrem Mann und in Buchdeckeln
       selbst thematisierte Beschwerden der Wechseljahre, die ihrem Ansehen eher
       halfen als schadeten. Die Menschen lieben Helden mit all den Brüchen des
       Lebens, die sie selber kennen.
       
       Hinzu kommen Mut, Fleiß und eine gewisse Brillanz, die einigen
       Kirchenoberen bei Käßmann schon früh auffiel. Als ganz junge Vikarin errang
       sie in einer Art Coup einen Sitz im Zentralausschuss des Ökumenischen Rates
       der Kirchen, es war ein Traumstart. Schon als 41-Jährige gelangte sie an
       die Spitze der größten Landeskirche Deutschlands - übrigens als zweite Frau
       bundesweit. Vor sechs Jahren wäre sie in Trier beinahe sogar die erste
       EKD-Ratsvorsitzende geworden. Aber damals wollte die Mehrheit der
       Kirchenparlamentarier die Himmelsstürmerin noch ein wenig deckeln. Vielen
       war sie schon damals zu populär, fast eine Todsünde im etwas verkniffenen
       deutschen Protestantismus.
       
       Dennoch: Irgendwie lieben sie die Leute. Die enorme Wirkung Käßmanns auf
       die Menschen ist an diesem Dienstag auch auf der "Infa" zu erleben, einer
       als "Hausfrauenmesse" belächelten Veranstaltung in den Messehallen von
       Hannover. Käßmann sitzt als eine von sechs Diskussionsteilnehmern während
       des "zweiten Teils des heutigen Friedhoftages", wie der Moderator sagt, im
       "Forum Naturstein" der deutschen Steinmetz-Innung. Sie soll Christliches
       und Kluges zur Beerdigungskultur beitragen, während das Kreischen einer
       Motorsäge und der Lärm eines Bohrers immer wieder die pietätvolle Stimmung
       stören.
       
       Zwischen Sprudelwannen, Vordächern und Gartenmöbeln aus Rattan klatschen
       die meist weißhaarigen Zuhörer lange Zeit nur über das, was die Bischöfin
       sagt, etwa wenn sie "das Recht auf eine würdige Bestattung", ja das Recht
       auf eine Sargbeisetzung auch für Hartz-IV-Empfänger unterstreicht. "Heimat
       ist da, wo wir die Namen der Toten kennen", zitiert sie den Theologen
       Fulbert Steffensky - und das wirkt nicht aufgesetzt, sondern lebensnah,
       erfahrungssatt.
       
       Am Abend ist die Bischöfin der Ehrengast einer weiteren Podiumsdiskussion
       in der evangelischen Jugendwerkstatt von Hameln. Hier erhalten straffällig
       gewordene junge Menschen - manche von ihnen wurden wegen Totschlags
       verknackt - eine Ausbildung. Es ist deren letzte Chance. Käßmann stellt ihr
       neuestes von etwa einem Dutzend Büchern vor, einen kleinen Band über die
       Zehn Gebote. Auch hier dominiert sie die Runde, wagt ab und zu mal einen
       Witz, ist ohne Mühe geistreicher und spritziger als alle anderen zusammen.
       
       Zugleich sagt sie Befremdliches, das aber niemanden hier in dieser Runde
       saturierter Bürger samt Gattinnen zu stören scheint. So betont sie etwa,
       die Zehn Gebote seien keineswegs als scharfe Verbote, sondern eher als
       Freiheiten und Ratschläge Gottes für ein gutes Leben zu verstehen. Die
       Pazifistin Käßmann interpretiert das glasklare Tötungsverbot "Du sollst
       nicht töten" als "ein Gebot zum Schutz des Lebens zuallererst". Auch mit
       einem "strafenden Vatergott" kann sie wenig anfangen. Zu all dem passt der
       Titel "Du darfst", was für ein Buch über die Zehn Gebote mindestens
       originell, wenn nicht frech ist. Die protestantischen Kirchen in
       Deutschland neigen nicht selten dazu, die Zumutungen, das Sperrige der
       Bibel weichzubügeln oder in politisch korrekter Sprache wegzudefinieren.
       Und Käßmann ist da nicht ganz unschuldig. Oder trifft hier das Wort Schuld
       nicht?
       
       In Ulm sind die fünf Minuten der Margot Käßmann vergangen, schnell wie im
       Flug. Mit sicherer, gelassener Stimme hat die Bischöfin wichtige Stationen
       ihres Lebens geschildert, eine Perspektive für die Zukunft der Kirche
       aufgezeigt, Paulus zitiert. Mutig hat sie die Scheidung erwähnt, gar ein
       Witzchen gewagt. Ein paar Journalisten haben die Zeit gestoppt, wie lange
       der Applaus andauerte: 20 Sekunden, fast doppelt so lange wie bei den
       anderen Rednern. Auf den Fluren zeigen sich die meisten sicher: Damit ist
       Käßmann durch. Sie durfte keinen Fehler machen. Sie hat keinen Fehler
       gemacht.
       
       So betont sie, die Zehn Gebote seien keineswegs als Verbote, sondern als
       Ratschläge Gottes für ein gutes Leben zu verstehen
       
       27 Oct 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Philipp Gessler
       
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 (DIR) Kommentar Margot Käßmann: Stark, liberal und geschieden
       
       Einen grundlegend neuen Kurs wird Käßmann nicht einschlagen. Sie betonte
       jedoch, dass sie den Reformprozess noch stärker in die einzelnen Gemeinden
       tragen wolle.