# taz.de -- Gegen die Lügen der Werbeabteilungen: Dokumentation statt Public Relation
       
       > Der kritische Konsument rettet nicht einen einzigen Wal. Da helfen nur
       > Intervention und Aktivismus. Das bezeugen drei aktuelle Tier- und
       > Umweltschutzdokumentationen im Kino.
       
 (IMG) Bild: Delfine, die in die Bucht von Taiji getrieben werden.
       
       Als die Schimpansenforscherin Jane Goodall Anfang der Neunzigerjahre zu
       Gast an der FU in Berlin war, begann sie ihre Vorträge immer mit zwei
       Fotos. Das erste zeigte den Berg in Tansania, der mitten im
       Schimpansengebiet liegt, im Zustand bei ihrer Ankunft in den
       Sechzigerjahren: als dicht zugewachsenen Urwald. Das zweite zeigte
       denselben Berg zwanzig Jahre später, einen kargen, gerupften Hügel, auf dem
       nur noch ein paar Bäume einsam verdorrten.
       
       Die Frage, wie man dem Problem der fortschreitenden Abholzung der
       tropischen Wälder begegnen solle, beantwortete Goodall damals für sich mit
       einer kommunikativen Strategie. Für sie sei es - auch wegen ihrer Prominenz
       - ein gangbarer Weg, das direkte Gespräch mit den Unternehmen zu suchen und
       den dort Verantwortlichen die Sachlage nahezubringen, sagte sie damals.
       Eine Zeitlang schien das tatsächlich eine Möglichkeit zu sein, den Raubbau
       an den Urwäldern zumindest in den Blick der Planungsstrategen der
       Konsortien und Konzerne zu bringen, die vom Kongo-Becken bis nach Amazonien
       den Kahlschlag der letzten Urwälder organisieren. Allein es half nichts.
       Alle Zahlen sagen, dass der Raubbau mit unverminderter Geschwindigkeit
       weitergeht und die großen Unternehmen das Problem, anstatt es in ihre
       Planungen aufzunehmen, an ihre Werbeabteilungen weitergegeben haben.
       
       Man werde die Öffnung Amazoniens für die industrielle Nutzung der Wald- und
       Wasserressourcen "mit totalem Respekt der Umwelt gegenüber" durchführen,
       heißt es etwa in einem Werbefilm der brasilianischen Regierung. Zu sehen
       ist der Spot des brasilianischen Fernsehens in dem gerade angelaufenen
       Dokumentarfilm "Eine andere Welt ist möglich - Kampf um Amazonien" von
       Martin Keßler. Keßlers Dokumentation steht mit zwei anderen Filmen - Louie
       Psyihoyos "Die Bucht" und Daniele Griecos "The Last Giants - Wenn das Meer
       stirbt" -, die in diesem Herbst in die Kinos gekommen sind, für eine
       Variante der Darstellung des Problems, die keinen Zweifel daran aufkommen
       lässt, dass direkte Interventionen notwendig sind. Das tun die drei Filme
       auf sehr unterschiedliche Weise.
       
       Am radikalsten geschieht es mit Sicherheit in "Die Bucht" - der Film selbst
       stellt schon eine Intervention dar. Eher konventionell im Sinn einer
       klassisch aufklärerischen Haltung verfolgt Keßler die Konflikte um die
       geplante Errichtung des größten Staudammes am Fluss Xingu im
       Amazonasgebiet. Er lässt alle Parteien, den planenden Stromkonzern, die
       brasilianische Regierung und ihre indigenen Widersacher, zu Wort kommen,
       ergreift aber eindeutig Partei.
       
       Partei ist auch Daniele Grieco, nämlich auf der Seite der Schweizer
       Tierschützerin Katharina Heyer. "The Last Giants" dreht sich um die Arbeit
       der Walschützerin Heyer in der Straße von Gibraltar. Dabei besteht die
       Intervention in diesem Fall schon in der Hauptperson: Nur weil Heyer vor
       zehn Jahren begann die Wale in der Straße von Gibraltar zu erforschen, gibt
       es sie überhaupt als Problem. Vorher hat niemand davon gewusst, weil keiner
       der an der Meeresenge Ansässigen und Arbeitenden etwas wahrgenommen hat.
       Daraus ergibt sich eine allgemeine Schwierigkeit für alle angesprochenen
       Filme: Interventionen sind immer problematisch, weil sie von außen kommen.
       
       Interventionen brechen immer in bestehende Zusammenhänge ein und sind
       deshalb in der Regel notwendig rücksichtslos gegen den normal laufenden
       Prozess. Das ist in der Psychotherapie nicht anders als in der Politik.
       Oder wie hier: im parteiergreifenden Umweltschutz. Und es wird besonders
       schwierig, wenn der Akt des Filmemachens sozusagen selbst zur Barrikade
       wird, wie es in "Die Bucht" der Fall ist.
       
       Der Film will den massenhaften Fang von Delfinen im japanischen Küstenort
       Taiji dokumentieren. Dort werden jedes Jahr zyklisch Hunderte von Delfinen
       zusammengetrieben, um die besten Tiere lebendig an die aus aller Welt
       kommenden Delfinarienbesitzer und Delfintrainer zu verkaufen. Da aber nicht
       alle Delfine für das Showgeschäft taugen und immer wesentlich mehr als
       benötigt gefangen werden, wird der Rest geschlachtet und als Nahrungsmittel
       verkauft. Der ganze Vorgang ist einigermaßen schrecklich und war selbst in
       Japan weitgehend unbekannt.
       
       Herausgefunden hat den Skandal Ric OBarry, der einstmals als Berater der
       Fernsehserie "Flipper" der berühmteste Delfintrainer der Welt war. Mit
       "Flipper" hat OBarry selbst aber wesentlich mit dazu beigetragen, dass
       Delfinshows zu einem Milliardengeschäft geworden sind. Weil er durch zwei
       einschneidende Erlebnisse, die Erkenntnis, dass Delfine sich im Spiegel
       erkennen und dass sie Selbstmord begehen können, die Tiere als unserer
       Empfindungsapparatur nahestehend fand, wurde er zum Gegner der Shows und
       Delfinschützer. Das tut er in demselben hochenergetischen Aktionismus, der
       ihn einst als Flippertrainer auszeichnete. Und weil er sich im
       amerikanischen Showgeschäft auskennt, kann er auch zusammen mit dem Team um
       Psihoyos sich genau der filmischen Mechanismen bedienen, die die
       Delfinshows auch auszeichnen. Sie werden hier nur in der Zielrichtung
       verkehrt. Und das Ziel ist eindeutig: Dokumentation und damit in der Folge
       Verhinderung des Delfinfangs in Taiji.
       
       Das ist dem Film in jeder Beziehung gelungen, denn nach dem Erfolg der
       Dokumentation hat die japanische Regierung erst einmal das Fangszenario
       eingestellt. Die Durchführung dieser Aktion erfolgte in denkbar größter
       Rücksichtslosigkeit gegenüber den Fischern von Taiji und den lokalen
       Arbeitszusammenhängen. Der geschätzte Kollege Bert Rebhandl hat das in
       seiner Kritik zu "Die Bucht" deutlich gesehen und dem Film angekreidet, dem
       fiktionalen Kino näher als der dokumentarischen Erforschung komplexer
       Umstände zu stehen.
       
       Das stimmt zwar, aber Komplexität ist in diesem Fall kein hilfreicher
       Begriff für den Schritt zur Tat. Rebhandl stellt zum Beispiel den
       japanischen Delfin- und Walfang (Delfine gehören zu den Walen) in die
       agrarische Tradition Japans und erklärt damit Walfleisch zu einer Nahrung,
       die wie Fisch schon immer zum japanischen Leben gehörte. Das ist falsch.
       Walfleisch wird in Japan erst nach dem Zweiten Weltkrieg nennenswert
       verzehrt und dann auch nur in hochpreisigen Delikatesslagen.
       
       Der Walfang Japans entspringt nicht der agrarischen Tradition, sondern
       industrieller Expansion auf den Meeren in der Folge der verlorenen Krieges.
       Irgendwo mussten die unbrauchbar gewordenen, im Krieg erworbenen Kenntnisse
       der Meeresnutzung genutzt werden. Schon die Methoden, mit denen die Fischer
       in Taiji die Delfine in die Bucht treiben, haben überhaupt nichts mit
       Tradition zu tun. Sie sind der modernen Forschung an Delfinen, die seit
       1938 auch immer wieder im militärischen Kontext erfolgte, entnommen. Die
       Fischer treiben die Tiere mit unter Wasser geleitetem Krach in die Bucht,
       und dass das geht, weiß man erst, seit es Forschungen zum komplexen
       Lautsystem der Gehörtiere gibt. OBarry weiß um diese Sensibilitäten der
       Tier und zieht sozusagen die Reißleine, in dem er sagt, wenn sie so
       empfindlich sind, müssen wir sie in Ruhe lassen, wofür er dann kämpft.
       
       Und damit ist man auch gleich bei Katharina Heyer und Gibraltar. Es ist
       nämlich der Krach von Containerschiffen und Frachtern, der in einem der
       wichtigsten Verkehrswege zwischen Atlantik und Mittelmeerraum Delfine und
       Wale zunehmend irritiert und sich in Schiffsschrauben oder an Land verirren
       lässt. Die Intervention Heyers setzt hier an und läuft darauf hinaus, eine
       Klinik für verwundete Wale und Delfine errichten zu wollen. Ihre Bemühungen
       darum sind hartnäckig, aber im Verhältnis zu OBarry unspektakulär.
       Rücksichtslos gegenüber den sogenannten Traditionen um Gibraltar bleibt sie
       aber trotzdem, einfach weil sie eines Problem kreiert, indem sie es
       entdeckt.
       
       In ein neues Verhältnis zu Traditionen wird man sich auch im Fall des
       geplanten Superstaudamms am Amazonas setzen müssen. Denn die Folgen von
       Superstaudämmen für Umwelt und Bevölkerung sind aus ihrer Geschichte
       genauso bekannt, wie die Lebensraum vernichtende Wirkung der Öffnung
       Amazoniens für Rohstoffabbau und Agrarindustrie. Auch hier wird man nicht
       um Interventionen herumkommen, wenn man die absehbaren Schäden vermeiden
       will. In Amazonien aber kann der lokale Protest nur wirksam sein, wenn er
       den universellen Charakter seines Gegenstands, die Erhaltung sauberen
       Wassers und sauberer Luft, gegen den regierungsseitigen "totalen Respekt
       gegenüber der Umwelt" in Stellung bringt. Welche Mobilisierungen dafür
       notwendig sind, davon erzählt Keßler in seinem Film. Ohne Interventionen,
       daran lässt er keinen Zweifel, wird es nicht gehen; dass sie aber so
       einfach sein könnten wie in "Die Bucht" oder in der Straße von Gibraltar,
       kann er auch nicht behaupten. Die Intervention, die Keßlers Film darstellt,
       hilft aber bei der Entscheidungsfindung im Umgang mit den Umwelten: Ohne
       Bruch mit den Traditionen geht es nicht, auch im Dokumentarfilm selbst
       nicht. Der Versuch, im Film selbst so etwas wie ein interventionistisches
       Element einzuführen, macht alle drei Filme sehenswert. Und sehenswert sind
       sie auch, weil sie den modischen Glauben, durch richtiges Einkaufen könne
       man die Wale und überhaupt die Umwelt retten, komplett desavouieren. Es
       muss sich schon etwas mehr bewegen als der sogenannte Konsument, um einem
       Übel zu Leibe zu rücken. Das ist die gute Nachricht dieser Dokumentationen.
       
       29 Oct 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Cord Riechelmann
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Mordfall Peggy K.
 (DIR) Nahrungsmittel
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) ZDF-Serie über den Fall Peggy K: Kaum tragischer als die Realität
       
       Wenn reale Gewalttaten verfilmt werden, ist viel Pietät gefordert. Der
       neuen ZDF-Doku „Höllental“ über den Kindsmord an Peggy Knobloch gelingt
       das.
       
 (DIR) Was Essen mit Krieg zu tun hat: Nur der Döner kam in Frieden
       
       Kulinarisch gesehen sind Krisen eine Bereicherung: Österreicher trinken
       türkischen Kaffee. Holländer essen spanischen Eintopf. Mehr davon?
       
 (DIR) Walfang: Australien will Japan verklagen
       
       Australien will Japan wegen Walfangs vor dem Internationalen Gerichtshof
       verklagen. Das belastet sehr guten Beziehungen zwischen beiden
       Handelspartnern