# taz.de -- Die Natur erhalten: Beflügelt in Belasitza
       
       > Das "Grüne Band" ist eine Chance für die Dörfer im bulgarischen
       > Hinterland wie Kolárowo
       
 (IMG) Bild: Pause in Bulgarien
       
       Das Ende der Welt hat einen Namen: Kolárowo. Das bulgarische Dorf liegt
       ganz im Süden des Landes, jeweils 30 Kilometer von der Grenze zu Mazedonien
       und der zu Griechenland entfernt. Die bisweilen steil ansteigende, mit
       Schlaglöchern gespickte Straße, die ins Zentrum führt, verlangt dem
       Autofahrer einiges an Können ab.
       
       Der Bürgermeister des Ortes, Dimiter Kapitanow, residiert im ersten Stock
       der Gemeindeverwaltung. Sein Büro mit schweren, dunkel gebeizten Möbeln,
       das wie alle Räume hier mit einem Ofen beheizt wird, atmet den Charme
       vergangener sozialistischer Zeiten. Über dem Schreibtisch hängt ein Foto
       des bulgarischen Nationalhelden Wassil Lewski. Lediglich die EU-Fahne, die
       in einer Ecke des Raumes neben ihrem weiß-grün-roten bulgarischen Pendant
       steht, deutet an, dass auch hier eine neue Zeitrechnung begonnen hat.
       
       Bereits seit 13 Jahren lenkt Kapitanow die Geschicke des Dorfes. Er gehört
       der Sozialistischen Partei BSP an. Die Sozialisten, die seit 2005 im
       Verbund mit zwei anderen Parteien in Bulgarien an der Macht sind, haben es,
       nicht zuletzt wegen wiederholter undurchsichtiger Machenschaften bei der
       Verwaltung von EU-Geldern, erfolgreich geschafft, den Balkanstaat zum
       Schmuddelkind Europas zu machen.
       
       Der stämmige 52-Jährige in Jeans und Wollpullover gibt sich im Gespräch
       betont lässig und humorvoll. Das Bild, das er zeichnet, ist allerdings
       weniger lustig. Viele verließen das Dorf, die Geburtenrate sei bei weitem
       zu niedrig. Deshalb werde jetzt mit besonderen Aktionen, wie unlängst einem
       großen Fest, versucht, die Empfängnisfreude etwas zu befördern. Früher
       belieferte die Region das ganze Land mit Obst und Gemüse. "Doch jetzt liegt
       die Landwirtschaft fast brach", sagt Kapitanow und redet sich dabei fast
       ein wenig in Rage.
       
       Es gebe aber auch positive Entwicklungen. Bislang seien 2,8 Millionen Lewa
       (1,4 Millionen Euro) in die regionale Entwicklung geflossen, und das Dorf
       Kolárowo verfüge bereits zu 90 Prozent über eine Kanalisation. Und noch
       etwas lässt den Bürgermeister auf bessere Zeiten hoffen: das Projekt
       "Grünes Band", mit dem in dieser bislang unzugänglichen Grenzregion entlang
       dem "Eisernen Vorhang" nachhaltiger Tourismus gefördert werden soll.
       
       "Wir müssen die Natur und unsere Traditionen erhalten und das dann für
       unsere ökonomische Entwicklung nutzen. Dafür haben wir hier gute
       Voraussetzungen", sagt Kapitanow und beginnt von den ausgedehnten
       Kastanienwäldern im nahe gelegenen Naturschutzgebiet Belasitza zu
       schwärmen. "Diese Symbiose von Mensch und Natur, das ist doch auch für
       Touristen interessant." Um die Region attraktiver zu machen, schwebt dem
       Dorfvorsteher auch eine engere Zusammenarbeit mit Mazedonien und
       Griechenland vor, die mit Strumica und dem Park Kesteni ebenfalls
       Naturschutzgebiete an der Grenze zu Bulgarien zu bieten haben. "Vor allem
       kommt es aber auf die Initiative der Menschen an", sagt Kapitanow. Die
       Ersten würden bereits damit beginnen, ihre Häuser umzubauen, um Touristen
       beherbergen zu können. Dafür könnten künftig auch EU-Gelder beantragt
       werden. "Jetzt", sagt er, "müssen wir nur noch die Pessimisten davon
       überzeugen, dass sich diese Mühe auch lohnt."
       
       Zu den Pessimisten gehört Rukie Isirowa offensichtlich nicht. Die
       kleinwüchsige, rundliche Frau, die vor Energie nur so sprüht, lebt in
       Jaworniza, einem Nachbarort von Kolárowo. Vor einem Jahr hat sich die
       64-Jährige, die wie jeder Zweite hier im Dorf der türkischen Minderheit
       angehört, in das Abenteuer Tourismus gestürzt.
       
       "Komplex Neri" heißt ihr kleines Anwesen. Das zweistöckige, weiß getünchte
       Haus hat einen gepflegten Innenhof mit rustikalen Holztischen und -bänken.
       Neben einem Jugendclub, einem Restaurant und einer Bar gibt es im
       Obergeschoss zwei mit hellen Holzmöbeln und himmelblauen Tapeten
       ausgestattete Zweibettzimmer für Gäste. Vom Balkon fällt der Blick auf die
       hügelige Landschaft des Naturparks Belasitza mit seinen ausgedehnten
       Kastanienhainen.
       
       Rukie Isirowa, die vor ihrer Pensionierung dreißig Jahre als Lehrerin für
       bulgarische Literatur gearbeitet hat, lädt zur Hausbesichtigung. Stolz
       führt sie einen Sonnenkollektor vor, den sie erst vor kurzem auf dem Dach
       ihres Hauses hat montieren lassen. Im ersten Stock sind Handwerker dabei,
       einen weiteren Raum in ein Gästezimmer zu verwandeln. Insgesamt sollen bis
       zum Sommer vier neue Unterkünfte für Touristen fertiggestellt sein.
       
       "Ich liebe es, mit Gästen zu tun zu haben, das bereichert mich", sagt die
       Dame des Hauses und serviert erst mal einen Rakia in ihrem rustikalen
       Restaurant. Der landesübliche Traubenschnaps ist selbstgebrannt und
       entsprechend hochprozentig. Auch hausgemachter Wein ist im Ausschank. Außer
       Rukie, die meist in der Küche steht, arbeiten noch drei junge Leute im
       "Komplex Neri". Die erhalten 10 Prozent des Umsatzes als Lohn (mindestens
       rund 90 Euro), sind aber auch sozialversichert. "Ich bin Optimistin, da
       muss ich etwas riskieren", sagt Rukie Isirowa. Doch bürokratische
       Hindernisse machten es schwer und es mangele an finanzieller Unterstützung.
       
       Um sich um EU-Mittel zu bewerben, sei Eigenkapital notwendig, das nur über
       einen Kredit zu beschaffen sei. "Ich habe zum Beispiel kein Geld für
       Reklame", sagt Rukie Isirowa und legt einen selbst gebastelten Flyer auf
       den Tisch, der kaum dazu angetan ist, für den "Komplex Neri" zu werben.
       "Doch die Gemeinde und die Regierung in Sofia interessieren sich nicht für
       unsere Probleme. Das, und nicht Brüssel, ist, was mich enttäuscht."
       
       Mit am Tisch sitzt Walentin Jankisch. Auch der 52-jährige kräftige,
       untersetzte Mann mit grauem Bärtchen lässt kein gutes Haar an den
       Politikern. "Das", sagt er, "sind alles Lumpen, die sich nur selbst
       bereichern wollen. Ich glaube an keine einzige Partei mehr." Doch
       Unzufriedenheit und Politikverdrossenheit konnten den studierten Ökonomen
       nicht davon abhalten, sein Glück in der Tourismusbranche zu versuchen.
       
       In Samuilowo, einem Dorf nur zehn Autominuten von Jaworniza entfernt, ließ
       er bereits vor vier Jahren sein "Familienhotel" offiziell registrieren.
       Sechzehn Schlafplätze in traditionellem Ambiente mit Ofenheizung stehen den
       Gästen zur Verfügung. Eine Übernachtung kostet im Winter 12 Lewa (6 Euro)
       und im Sommer 10 Lewa (5 Euro). Im angrenzenden Garten tummelt sich ein
       Dutzend Hühner. Ein Schwein, das in einem Bretterverschlag haust, soll noch
       heute geschlachtet werden.
       
       Unter Plastikplanen zieht Jankisch Salat und anderes Gemüse. Insgesamt
       100.000 Lewa (50.000 Euro) hat er bisher in sein Familienhotel gesteckt, er
       musste einen Kredit aufnehmen. Doch die Investition hat sich bezahlt
       gemacht. Immerhin nahmen 2008 rund vierhundert Gäste bei Jankisch Quartier
       - größtenteils Bulgaren, aber auch einige Mazedonier und Griechen verirrten
       sich nach Samuilowo.
       
       Jankischs Gaststube, so etwas wie ein Treffpunkt für die Dorfbevölkerung,
       ist an diesem Abend gut besucht. An den meisten Tischen sitzen Schach
       spielende Männer, die von einem laufenden Fernseher dauerbeschallt werden.
       Während Jankischs Frau und Tochter sich an der Bar um die Getränkewünsche
       der Gäste kümmern, arbeitet der Chef in der Küche einige Bestellungen ab.
       Gereicht werden Spinat in Tomatensoße, Kuttelsuppe und gebratenes
       Schweinefleisch.
       
       Allen Widrigkeiten zum Trotz will Jankisch expandieren, denn er ist
       überzeugt davon, dass der Fremdenverkehr in der Region eine Zukunft hat.
       "Diese unberührte Natur", sagt er, "und die urtümliche Lebensweise der
       Menschen hier, das muss doch auch Touristen faszinieren."
       
       In der Mittelschule Wassil Lewski in Kolárowo schieben die rund 250 Schüler
       dieser Tage Sonderschichten. Sie bereiten den ersten Geburtstages des
       Naturparks Belasitza vor, der mit einem großen Fest gefeiert werden wird.
       Dafür haben sie Gedichte und Aufsätze geschrieben und Fotoausstellungen
       vorbereitet. Die Schuldirektorin Ljubka Pankowa, eine groß gewachsene Frau
       mit einer beeindruckenden Halskette, freut sich über das Engagement der
       Jugendlichen. In einem der Schulflure hängt eine große Bulgarienkarte, die
       sämtliche Naturschutzgebiete ausweist - eine Arbeit des Ökologieklubs der
       Schule. "Fast alle Schüler wollen mitarbeiten", sagt Pankowa. "Sie
       verstehen, dass wir die Natur in der Region bewahren müssen, in der wir
       leben."
       
       Unter den Arbeiten, die die Schüler eingereicht haben, ist auch ein Text
       der Siebtklässlerin Rosalina Popkoschewa. Darin heißt es: "In Belasitza
       fühlt sich jeder beflügelt, hier ist die Einsamkeit kein schmerzhaftes
       Gefühl, sondern eine Wohltat, so als ob die Zeit stehen geblieben ist … Der
       Fremde, der zum ersten Mal in diese Natur eintaucht, hält inne und den Atem
       an und betrachtet mit Rührung den Horizont, der endlos scheint …"
       
       BARBARA OERTEL ist Osteuropa-Redakteurin der taz
       
       18 Feb 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Barbara Oertel
       
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