# taz.de -- Kriegsverbrecher-Prozess: Anwalt macht Demjanjuk zum Opfer
       
       > John Iwan Demjanjuk ist der Beihilfe zum Mord in mindestens 27.900 Fällen
       > angeklagt. Sein Anwalt stellt am ersten Prozesstag einen
       > Befangenheitsantrag.
       
 (IMG) Bild: So krank, wie er auf den Bildern aussieht, ist Demjanjuk gar nicht, sagen die Ärzte.
       
       Der Angeklagte kommt durch eine der Seitentüren in das Rondell des
       Gerichtsaals 101/1 im Münchner Justizzentrum. John Iwan Demjanjuk sitzt in
       einem Rollstuhl, den Kopf weit nach hinten gelehnt.
       
       Er trägt eine Lederjacke und eine Basecap, doch sein Körper verschwindet
       unter einer hellblauen Decke. Seine Augen sind nur zeitweise geöffnet, ab
       und zu sind Mundbewegungen zu erkennen. Zum Gericht sagt er kein einziges
       Wort. Der 89-jährige Mann bietet ein Bild des Jammers – und genau das
       scheint am ersten Prozesstag auch beabsichtigt zu sein.
       
       John Iwan Demjanjuk ist der Beihilfe zum Mord in mindestens 27.900 Fällen
       angeklagt. Demjanjuk soll, so die Münchner Staatsanwaltschaft, im Jahre
       1943 im NS-Vernichtungslager Sobibor im deutsch besetzten Polen Juden
       zusammen mit anderen ausländischen "Hilfswilligen" und unter Leitung der SS
       in die Gaskammern getrieben haben.
       
       Es ist der erste Prozess in Deutschland gegen einen dieser "Hilfswilligen",
       im konkreten Fall den gebürtigen Ukrainer Demjanjuk. Diese standen in der
       Befehlskette der Nazis beim Holocaust ganz unten und erledigten die
       Schmutzarbeit.
       
       Demjanjuk, so der Vorwurf, sei einer von tausenden sowjetischen
       Kriegsgefangenen gewesen, die sich von den Nazis anwerben ließen, um
       jüdische Ghettos bei Morden und Deportationen abzusperren,
       Zwangsarbeiterlager zu überwachen oder eben im Vernichtungslager Juden
       fabrikmäßig umzubringen. Die Männer wurden im Lager Trawniki von der SS
       ausgebildet, weswegen sie auch als "Trawnikis" bezeichnet werden.
       
       Staatsanwalt Hans-Joachim Lutz wirft Demjanjuk, anders als in bisherigen
       NS-Prozessen, keinen einzelnen konkreten Tötungsfall vor. Weil Sobibor
       einzig zur Ermordung von Menschen diente und Demjanjuk Teil dieses
       Mordsystems gewesen sei, sei seine Schuld erwiesen, heißt es in der
       Anklageschrift.
       
       Der Münchner Prozess begann am Montag unter unwürdigen Umständen. Zuschauer
       und Journalisten mussten stundenlang eng gedrängt in der Kälte warten, ehe
       ihnen Einlass gewährt wurde. Unter ihnen befand sich auch ein
       Auschwitz-Überlebender.
       
       Die Sicherheitskontrollen erinnerten an Terroristenprozesse. Für viele
       Interessierte reichte der Platz in dem nur etwa 150 Zuscher fassenden
       Gerichtsaal nicht aus. Etwa 35 Vertreter der Nebenkläger sind zu dem
       Prozess zugelassen, darunter zum größten Teil überlebende Verwandte von in
       Sobibor Ermordeten aus den Niederlanden. Das macht das Verfahren zu einem
       der größten NS-Prozesse in der Geschichte der Bundesrepublik.
       
       Noch vor Verlesung der Anklage stellte Demjanjuks Verteidiger Ulrich Busch
       den Antrag, Gericht und Staatsanwaltschaft wegen Befangenheit abzulehnen.
       Er begründete dies damit, dass manche Nazi-Vorgesetzte Demjanjuks in einem
       Verfahren vor über 40 Jahren in Hagen freigesprochen wurden, weil diese
       unter einem "absoluten Befehlsnotstand" gestanden hätten.
       
       "Befehlsnotstand" war in den frühen Jahren der Bundesrepublik ein gern
       genutzter Grund zum Freispruch. Er unterstellt, dass die Täter selbst mit
       dem Tode bedroht wären, hätten sie nicht ihrerseits Juden umgebracht.
       
       Allerdings konnte bis heute kein einziger Fall nachgewiesen werden, in dem
       ein Verweigerer am Judenmord deswegen von anderen Nazis umgebracht wurde.
       Ein Vertreter der Nebenklage erwiderte, Fehler der deutschen Justiz in der
       Vergangenheit seien kein Grund, diese heute auch noch zu wiederholen.
       
       Für ein empörendes Raunen im voll besetzten Gerichtsaal sorgte Buschs
       Behauptung, Demjanjuk stünde auf der gleichen Stufe wie der Nebenkläger
       Thomas Blatt – einer der wenigen Überlebenden von Sobibor, der selbst im
       Gerichtssaal anwesend war. Beide seien keine Täter, sondern Opfer, so
       Busch. Richter Ralph Alt verkündete, über den Antrag auf Befangenheit werde
       zu einem späteren Zeitpunkt entschieden.
       
       Ein medizinischer Gutachter dementierte schließlich das Bild vom
       todgeweihten Angeklagten weitgehend. Zwar leide Demjanjuk an mehreren
       Krankheiten, darunter auch einer Herzschwäche. Er sei aber durchaus in der
       Lage, dem Verfahren zu folgen, wenn die Verhandlung auf zweimal 90 Minuten
       am Tag begrenzt werde. Demjanjuk sei in der Krankenabteilung der
       Justizvollzugsanstalt München-Stadelheim "gut versorgt". Noch am Morgen
       habe er Demjanjuk untersucht, alles sei "im normalen Bereich".
       
       John Iwan Demjanjuk nahm diese Einlassung ohne jede Regung zur Kenntnis.
       Sein Prozess ist zunächst bis zum Mai nächsten Jahres terminiert. Er könnte
       sich aber auch über mehr als ein ganzes Jahr hinziehen.
       
       1 Dec 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Klaus Hillenbrand
       
       ## TAGS
       
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