# taz.de -- Linker Antisemitismus: Wie halten wir´s mit Israel, Genossen?
       
       > Einige Hamburger Linke verhindern mit Gewalt die Aufführung des
       > Lanzmann-Films "Warum Israel" und sorgen damit für einen Skandal – auch
       > innerhalb der Linken.
       
 (IMG) Bild: Anti-Israel-Slogan 1988 an einem besetzten Haus in der Hamburger Hafenstraße.
       
       HAMBURG taz | Andreas Blechschmidt ist immer mittendrin. Ob
       Studentenproteste, Schanzenfest oder Bambule-Demo, wenn Hamburger Linke auf
       der Straße sind, ist der 43-Jährige oft genug der Anmelder. So auch am
       Sonntag - und das bei einer Demonstration, bei der er sich vor zwanzig
       Jahren nicht hätte träumen lassen, auch nur mitzulaufen. Damals habe er als
       junger Autonomer, flüstert er verschmitzt, noch "Boykottiert Israel!" an
       Wände gesprüht.
       
       Blechschmidt ist Aktivist der Roten Flora. Das große, mit Graffiti übersäte
       ehemalige Theater in der Hauptgeschäftsstraße des aufgehübschten
       Schanzenviertels, am Schulterblatt, ist das politisch-kulturelle Zentrum
       der Hamburger Linken und eines der wenigen sichtbaren Relikte, das hier an
       bewegte Zeiten erinnert. Die Demonstration am Sonntag wird hier beginnen.
       Ihr Motto: "Antisemitische Schläger unmöglich machen - Auch Linke!"
       
       Anlass ist der Vorfall am 25. Oktober, als die Vorführung des Films "Warum
       Israel" des Regisseurs Claude Lanzmann im Kino "B-Movie" gewalttätig
       verhindert wurde. Kinobesuchern wurde ins Gesicht geschlagen, sie sollen
       als "Judenschweine" beschimpft worden sein. Die Täter: Linke. Genauer:
       Leute aus dem "Internationalen Zentrum B5" in der Brigittenstraße 5, nur
       wenige Meter vom Kino im Viertel St. Pauli entfernt.
       
       Seit Lanzmann in einem Interview erklärte, dass nie zuvor irgendwo die
       Aufführung eines Filmes von ihm verhindert worden sei, sorgt der Vorfall
       nicht nur in Hamburg für Empörung. Den Demonstrationsaufruf haben neben
       etlichen linken Gruppen auch Akademiker wie Micha Brumlik und Norbert
       Finzsch oder Popbands wie Tocotronic und Superpunk unterzeichnet. Noch mehr
       Unterstützer findet die Erklärung "Es darf keine antisemitische Filmzensur
       in Hamburg geben", darunter Cem Özdemir, Franziska Drohsel, Detlef
       Claussen, das Hamburger Institut für Sozialforschung und der Musikclub
       "Uebel & Gefährlich", der den Film im Januar in Anwesenheit des Regisseurs
       zeigen will.
       
       "Es ist das erste Mal, dass sich eine solche Initiative gegen
       antisemitische Übergriffe von links gebildet hat", sagt Andreas Benl von
       der Hamburger Studienbibliothek, Mitinitiator der Demo. Dabei ist dieser
       Übergriff nicht der erste seiner Art aus dem Umfeld der B5. Und es ist
       nicht das erste Mal, dass die Hamburger Linke über ihr Verhältnis zu Israel
       diskutiert.
       
       Der erste Streit tobte Ende der Achtzigerjahre, ausgelöst von einer
       Demonstration zur ersten Intifada, die der damals in Hamburg einflussreiche
       Kommunistische Bund (KB) als zu einseitig kritisierte. Und von der
       Wandmalerei an einem der besetzten Häuser in der Hafenstraße in St. Pauli,
       die in haushohen Lettern zum Boykott Israels aufrief.
       
       Zwanzig Jahre später vor der Hafenstraße 108: Von dem Wandbild ist längst
       nichts mehr zu sehen, 1988 ließ der Senat es übermalen. Eine Mittvierzigern
       mit Dreadlocks und einem Pappkarton mit Lebensmitteln unterm Arm rollt mit
       den Augen: "Hätte es dieses Wandbild nur nicht gegeben, dann würden nicht
       immer wieder Leute danach fragen", lacht sie. Ob sie auf dem Plenum über
       den jüngsten Hamburger Antisemitismus-Streit diskutiert haben? "Wir reden
       nicht mehr so viel über Politik, mehr über Miete und so. Aber jetzt, wo dus
       sagst: Da hätten wir mal drüber reden sollen." Eine andere Bewohnerin, die
       damals schon dabei war, sagt: "Wir haben es uns damals mit dem
       Antisemitismusvorwurf sehr einfach gemacht. Die Antisemiten waren für uns
       nur die Nazis."
       
       Karl-Heinz Dellwo hat die Debatten um die Hafenstraße nur aus seiner Zelle
       in Celle verfolgt, wo er wegen seiner Beteiligung an der Geiselnahme in der
       deutschen Botschaft in Stockholm 1975 seine zweifach lebenslängliche Strafe
       absaß. Das ehemalige RAF-Mitglied ist heute Filmemacher und hat sein Büro
       im Schanzenviertel. "Einen Film zu verhindern heißt ihn zu vernichten, und
       einen jüdischen Film zu verhindern heißt einen jüdischen Film zu
       vernichten", sagt der 57-Jährige. Er findet Sartres Überlegungen zur
       Judenfrage wichtig. "Wer den Juden ihren Ort, Israel, in der Welt streitig
       macht, erklärt, dass sie nicht zu ihr gehören sollen", sagt er bestimmt.
       Die B5 mache auf ihn den Eindruck eines "politischen Altersheims mit
       Katakombenmentalität".
       
       Wer sich mit diesen Leuten unterhalten will, muss tatsächlich in Katakomben
       steigen. Genauer: In den Keller der B5. Hier trifft sich die Gruppe
       Sozialistische Linke (SOL), die maßgeblich an der Verhinderung der
       Filmvorführung beteiligt war. Ein Mann in den Fünfzigern mit langem grauen
       Zopf sagt zu den SOL-Aktivisten: "Eure Aktion fand ich ja nicht so gut.
       Lanzmann ist zwar Zionist, aber trotzdem." Offensichtlich kennt man sich,
       will diese Diskussion aber lieber untereinander führen.
       
       Ein Aktivist von SOL - Ende zwanzig, schwarzer Kapuzenpullover mit der
       Aufschrift "Antikapitalismus", meint: "Es gibt in Palästina Leute, die alle
       Juden töten wollen, und es gibt zionistische Kräfte, die einen Staat von
       Nordafrika bis zur Türkei wollen." An einer Wand hängt ein
       Palästinenserschal, zurechtgeschnitten in der Form des israelischen
       Staatsgebietes einschließlich der Palästinensergebiete. Der junge Mann
       fährt fort: "Uns ging es nicht um den Film, sondern um die Gruppe
       ,Kritikmaximierung', die den Film zeigen wollte. Dieser Gruppe geht es
       nicht um Israel, die wollen uns provozieren." Heute Abend will SOL selbst
       den Film zeigen. "Nicht weil Lanzmann etwas gesagt hat, sondern weil wir
       ihn zeigen wollen."
       
       Martin Schnitzer, Sprecher des Kinos B-Movie, das am kommenden Sonntag zum
       zweiten Mal versucht, den Film vor ausverkauftem Haus zu zeigen, kann
       darüber nur lachen: "Auf dem Flugblatt der B5, das sie vor Ort verteilt
       haben, wird der Film als zionistischer Propagandafilm bezeichnet."
       
       Für die Gruppe "Kritikmaximierung", eine Handvoll junger Intellektueller,
       die sich in den Räumen des freien Radios FSK treffen, ist klar, warum sie
       so ein Hassobjekt sind: "Dass solche Leute uns der antideutschen
       Zersetzungsarbeit bezichtigen, gehört zu deren wahnhaften Momenten ihres
       Weltbildes, das sich immer zeigt, egal ob es um Israel oder die USA geht,"
       sagt ein Mittzwanziger. Aus dem Umfeld der B5 würde man sie als
       "Partyzionisten" beschimpfen, fügt er lachend hinzu. Er scheint ein
       bisschen stolz darauf zu sein.
       
       Auf die Unterstützung der als Zentralorgan der Antideutschen verschrienen
       Berliner Zeitschrift Bahamas müssen sie am Sonntag übrigens verzichten.
       Begründung: Die falsche Präposition. Anders als im Demonstrationsaufruf
       formuliert, sei "Warum Israel" kein Film zu Israel, sondern einer für
       Israel.
       
       Dabei sind Stimmen für Israel in der Hamburger Linken keine kleine
       Minderheit; mit der "Karo Ecke" gibt es sogar eine Bar, in der die Fahne
       mit dem Davidstern an der Wand hängt und die sich selbst als "antideutsche
       Kneipe" bezeichnet. Doch ganz so selbstverständlich toleriert wird diese
       Haltung nicht: "Ich krieg hin und wieder mal Drohungen, dass mir die
       Fenster eingeschmissen werden", erzählt die Wirtin, die ehemalige DJ Luka
       Skywalker. Auch Lars Quadfasel von der Hamburger Studienbibliothek sieht
       ein Aggressionspotenzial unter den linken Antizionisten: "Die haben eine
       geringe Affektkontrolle." Er weiß, wovon er spricht: Drei Tage nach dem
       Vorfall vor dem Kino wurde ihm auf einem U-Bahnhof ins Gesicht geschlagen.
       
       Thomas Ebermann, 58, Mitgründer der Grünen und 1987/88 Abgeordneter im
       Bundestag, betrachtet diese Leute aus der B5 dennoch als Randfiguren. "Wenn
       ich denen in der Fußgängerzone begegne, weil die da Material auslegen, geh
       ich an denen vorbei wie an den Zeugen Jehovas." Ebermann, in den
       Siebzigerjahren einer der Wortführer des KB, verteidigt im Rauchabteil des
       Schanzen-Bäckers seine frühere internationalistische Kritik. So blöd, wie
       manche sie heute darstellen würden, seien sie damals nicht gewesen. Und sie
       hätten sich nicht wie die Antiimperialisten von heute blind mit jeder
       Bewegung in der Dritten Welt solidarisiert: "Wir haben in den
       Befreiungsbewegungen Mosambiks sehr wohl nach Sozialrevolutionärem gesucht
       und mit roten Wangen darüber diskutiert, wie viel recht Rosa Luxemburg in
       ihren antinationalen Schriften hatte."
       
       Christiane Schneider, 61, hielt länger als Ebermann am
       antiimperialistischen Weltbild fest. Über diverse K-Gruppen fand sie den
       Weg zur Linkspartei, deren stellvertretende Fraktionssprecherin in der
       Hamburger Bürgerschaft sie heute ist. Im roten Rollkragenpulli sitzt sie im
       Fraktionsbüro am Domplatz und erzählt, warum sie öffentlich gegen
       Verhinderung der Filmvorführung protestiert hat. Auf der Homepage des
       Hamburger Landesverbandes sei ein Pamphlet veröffentlicht worden, das die
       Gewalt gegen die Kinobesucher gerechtfertigt habe. "Da war in einem
       menschenverachtenden Jargon von ,Backpfeifen' und einer ,milden und
       besonnenen Reaktion' die Rede. Etliche Leute haben mir dann gesagt, dass
       sie meine Stellungnahme schon okay fanden, aber dass ich auch Israel hätte
       kritisieren sollen."
       
       Nur eine halbe S-Bahn-Stunde, aber eine gefühlte halbe Welt vom
       Schanzenviertel entfernt liegt Pinneberg, von wo aus Wolfgang Seibert diese
       Vorgänge verfolgt. Seibert ist 62 Jahre alt und Vorsitzender der kleinen
       Jüdischen Gemeinde, die in einem der typischen Pinnerberger Reihenhäuser
       residiert. Der kleine, grauhaarige Mann mit Brille und Bauchansatz erzählt
       heiter von seiner Zeit beim Frankfurter SDS und bei der DKP, wo er wegen
       "bürgerlichem Anarchismus" rausflog. Genüsslich zieht er an seiner
       Zigarette, ehe er ernst wird: "Der Antizionismus schlug immer mehr in
       Antisemitismus um", erzählt er, irgendwann in den Siebzigern, inzwischen
       bei den Spontis, habe er es sattgehabt. "Ich war selber strammer
       Antizionist, aber dass der Staat Israel existieren musste, davon war ich
       überzeugt. Mein anarchistischer Großvater, der Auschwitz überlebt hatte,
       hat mich zusammengestaucht und mir klargemacht, welche Bedeutung Israel für
       die Juden hat."
       
       Resigniert verabschiedet sich Seibert aus der Politik. Später beginnt er
       sich mit dem Judentum zu beschäftigen und entdeckt darin Elemente von
       Befreiung und Gerechtigkeit. 30 Jahre lang interessiert er sich kein
       bisschen mehr für die Linken. Bis letztes Jahr, als Neonazis am 1. Mai in
       Hamburg demonstrieren wollen und er sich nach langem Zögern dazu
       durchringt, zur Gegendemonstration zu gehen. Er nimmt eine Israel-Fahne mit
       und wird deswegen von Teilnehmern angepöbelt. "Doch dann kamen zwei Leute
       aus dem Schwarzen Block und sagten denen, dass sie sich verdrücken sollen.
       Ich könne selbstverständlich mit meiner Fahne mitlaufen und zwar in der
       ersten Reihe. Da war ich baff. Verdammt, dachte ich, bei den radikalen
       Linken hat sich aber was geändert."
       
       9 Dec 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Doris Akrap
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Philosophie
       
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