# taz.de -- Subkultur: Von der begrenzten Demokratie des Comics
       
       > Der Hamburger Kunstverein zeigt politische Bildergeschichten von Dürer
       > bis zu Spiegelman. Ein Diskurs über allgemein verständliche Codes.
       
 (IMG) Bild: Verlorene Söhne der zweiten Generation: Joe Saccos Blick auf Gaza.
       
       Eigentlich beginnt die Geschichte des Comics im Mittelalter. Damals, als
       Kirchenfenster biblische Geschichten zeigten, weil außer Mönchen und
       Priestern kaum jemand lesen konnte. Dem selben Zweck dienten Bildteppiche
       und Gemälde: der Verbreitung christlicher Inhalte - die Drohung mit Hölle
       und Verderbnis, so man nicht gefügig sei, stets inklusive. Eine frühe Form
       kirchlicher Propaganda.
       
       Wirklich demokratisch wurde die Bildergeschichte aber erst, als der
       Buchdruck erfunden wurde; als sich Grafik-Zyklen etwa von Francesco de Goya
       und William Hogarth tausendfach verbreiten ließen. Hogarths sozialkritische
       Folge "Lebensweg einer Dirne" zählt denn auch zu den Exponaten der
       aktuellen Ausstellung im Hamburger Kunstverein, die sich politischen
       Bildergeschichten widmet. Als "zutiefst demokratisches Medium" hat
       Kunstvereins-Chef Florian Waldvogel die Bildergeschichte bezeichnet - weil
       sie auf allgemein verständliche Zeichen setze.
       
       Als dreidimensionalen Comic - Gesamtkunstwerk für alle - hat der
       Kunstverein seine Schau konzipiert, die 130 Werke von Albrecht Dürer bis zu
       Art Spiegelman präsentiert. Wohlweislich hat man die Schau
       "Bildergeschichten" und nicht "Comics" genannt, denn so heißen sie erst
       seit Ende des 18. Jahrhunderts. Und ob es ein Comic ist oder eine noch
       unbenannte Gattung, wenn man Goyas Radierungen à la Keith Haring in gemalte
       TV-Bildschirme montiert, sei dahin gestellt. Ist das Fernsehbild
       authentischer als Goyas Graphik? Die Montage stellt nahe liegende Fragen;
       revolutionär ist sie nicht.
       
       Als subversiv begreift der Kunstverein allerdings die Tatsache, dass dort
       nicht Harings Bilder prangen, sondern Werke eines Kopisten. Man behaupte ja
       nicht, dass dies Originale seien, sagt Waldvogel. Sondern eben - der Typus
       Haring, den doch jeder kenne. Ein eigenwilliger Auftakt einer Diskussion
       über universell bekannte Zeichen.
       
       Das Obergeschoss vertieft sie nicht, sondern geriert sich als Getümmel aus
       Vitrinen und Paneelen. Das alles bedeckt mit Comics - mal in Form eines
       Anarcho-Sterns, mal in Einzelblatt-Haltern, mal auf einem Service. Texte
       und Bilder, meist politischen Inhalts - und trotzdem archaisch, ist das
       papierene dem digitalen Bild doch längst unterlegen. Im Grunde ist dies
       keine Ausstellung, sondern ein Archiv: Honoré Daumier, Ernst Robert Crumb,
       Winsor McCay, Joe Sacco und Marjane Satrapi sind da zu finden, verteilt auf
       thematische Blocks. Surrealistisch-Psychoanalytischem ist einer gewidmet,
       Ideologischem ("Marx und Moritz") ein anderer. Dave Decat nutzt
       realsozialistisches Vokabular. Später dann der "Bunte Kriegsbilderbogen"
       von 1914/15: fröhlich bunt, der offiziellen Propaganda des Kaiserreichs
       irritierend nah. Daneben Art Spiegelmans "Maus - Die Geschichte eines
       Überlebenden", die Geschichte eines Auschwitz-Überlebenden - jenem Comic,
       der das Genre endgültig vom Ruch der Oberflächlichkeit befreite.
       
       Spiegelman war es auch, der in den USA in den 60ern den politischen
       Underground-Comic mitgründete - ein Gegenpol zu den unterhaltsamen
       Comic-Strips, die den dortigen Sonntagszeitungen seit den Dreißigern
       beilagen. Im Hamburger Kunstverein hat man den "Maus"-Comic in Form des
       Grundrisses des KZ Auschwitz geklebt. Aber das erfährt nur, wer fragt. Und
       dass der Comic der Jungen Nationaldemokraten irgendwo dazwischengeklebt
       wurde: Man erfährt es allenfalls mündlich. Herrschaftswissen, das der
       Kunstverein doch eigentlich vermeiden will.
       
       So ist die Schau letztlich eine Parabel auf die Freiheit von Komposition
       und Deutung geworden; sie zelebriert geradezu jene Informationslücken
       zwischen den Paneelen bzw. Panels, die den Comic so grundlegend vom Film
       unterscheiden. Trotzdem bleibt die Ausstellung hermetisch: einerseits, weil
       sie kaum rezipierbar ist, wenn winzige Bildfolgen knapp unter der Decke
       beginnen. Anderseits, weil sie verhehlt, dass der Comic so demokratisch gar
       nicht ist. Seine Codes und Ästhetiken werden durchaus für spezielle
       Zielgruppen geschaffen, um Binnen-Identitäten zu stiften.
       
       Das aber thematisiert die Schau nur halbherzig am Ende des Parcours: Bunte
       "Safety Instructions" aus Flugzeugen hängen da, humorvoll und schlicht.
       Diese Bilder wird jeder verstehen. Außer - Nichtflieger.
       
       28 Dec 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Petra Schellen
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Graphic Novel
 (DIR) Bremen
       
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