# taz.de -- taz-Serie "Soziale Stadt" (4): Hausbesetzer in Ost-Berlin: Mein Haus, mein Kiez, mein Mythos
       
       > Vor zwanzig Jahren wurde die Besetzung der Schönhauser Allee 20/21
       > öffentlich gemacht. Ostberlins erste Hausbesetzung war der Beginn einer
       > ganzen Welle.
       
 (IMG) Bild: Mythos Hausbesetzungen
       
       Es hatte sich auch in Westberlin herumgesprochen. "Silvester! Prenzlauer
       Berg! Schönhauser Allee 20/21!" Was den Kreuzbergern schon lange nicht mehr
       gelungen war, sollten nun die "Genossen" im Osten schaffen. Ein Haus
       besetzen - und es auch verteidigen. Die Silvesterparole "Schönhauser Allee"
       vor 20 Jahren klang wie ein Versprechen.
       
       Und dann das: Vor dem U-Bahnhof Senefelder Platz standen keine Vermummten,
       sondern Langhaarige. Die Polizei, soeben vorgefahren, wurde nicht mit
       Pflastersteinen begrüßt, sondern mit Beifall. "Die Besetzer haben mit den
       Vopos im Nachbarhaus eine Sicherheitspartnerschaft geschlossen", erklärte
       einer, "damit die Nazis das Haus nicht angreifen".
       
       Selbst eine richtige Besetzung fand nicht statt: Vielmehr hatten die
       Bewohner die leer stehenden Wohnungen schon im Sommer bezogen - stille
       Besetzung hieß das in Ostberlin. Selbst Angela Merkel wusste, wie das geht.
       Immerhin wollten die Besetzer der Schönhauser Allee 20/21 ihre Form der
       Wohnraumsuche nun öffentlich machen. Ein bisschen Häuserkampf fand am
       Silvesterabend 1989 also doch statt - aber die Enttäuschung war größer.
       
       Heute fällt die Schönhauser Allee 20/21 nicht weiter auf. Die stillen
       Besetzer von einst haben Verträge, die Wohnungen sind mit öffentlichen
       Mitteln saniert, selbst die Polizei ist aus dem jüdischen Seniorenheim
       ausgezogen. Nicht einmal ein Hinweisschild für Krawalltouristen steht vor
       der Tür: "Hier begann am 24. Dezember 1989 die Ostberliner
       Hausbesetzerbewegung".
       
       "Es war eine klassische Ostbesetzung", erinnert sich Wolfram Kempe, damals
       Sprecher des Besetzerrats in Prenzlauer Berg. "Die Wessis zogen in den
       Friedrichshain, die Ostberliner konzentrierten sich auf den Prenzlauer
       Berg." Was am 24. Dezember 1989 begonnen hatte, war schnell zur Bewegung
       geworden. In den Monaten bis zur Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990
       wurden in Ostberlin 120 Häuser besetzt.
       
       Doch die Unterschiede zwischen West und Ost blieben. "Mainz bleibt meins"
       lautete ein Slogan in der besetzen Mainzer Straße in Friedrichshain - ein
       Hinweis darauf, dass es den Besetzern aus der linken Szene Westberlins eher
       um die eigenen Interessen ging als um den Kiez drum herum. In Prenzlauer
       Berg dagegen hingen aus den besetzten Häusern bald Transparente mit der
       Aufschrift: "Wir bleiben alle". Das Engagement gegen Leerstand,
       Mieterhöhungen und Zweckentfremdung gehörte dort nicht nur zusammen. Es
       vereinte auch Ostautonome, Bürgerrechtler und Bezirkspolitiker.
       
       Für Kempe war der Unterschied zwischen Prenzlauer Berg und Friedrichshain
       zudem eine Sache der politischen Kultur: "In Prenzlauer Berg suchten
       Besetzer, Bürgerinitiativen und Institutionen nach einer gemeinsamen Lösung
       für die Häuser. Als Moderator der Verhandlungen hatten die Besetzer einen
       Pfarrer gewählt, für die Wessis eine "abstruse Idee", meint Kempe. "Die
       Westberliner Besetzer wollten nicht wahrhaben, dass sie Teil der
       Gesellschaft sind. Nicht nur Teil einer abstrakten Gesellschaft der
       Bundesrepublik, sondern auch Teil einer konkreten Gesellschaft um sie
       herum, in der alle möglichen Leute leben."
       
       Die Unterschiede von damals sind noch heute zu sehen. Während in
       Friedrichshain die ehemals besetzten Häuser noch immer als Basis einer
       linken, radikalen Bewegung gelten, ist der linksradikale Gestus in
       Prenzlauer Berg verschwunden. Nicht auf Straßenschlachten freuten sich die
       Bewohner, sondern auf Verträge: Je früher die unterzeichnet wurden, desto
       mehr öffentliche Sanierungsgelder gab es.
       
       Eines aber haben weder die Besetzer Ost noch West vermocht: den radikalen
       Wandel in ihren Kiezen zu verhindern. Im Gegenteil: Für den ehemaligen
       Besetzer und Abgeordneten der PDS, Freke Over, haben sie die
       Gentrifizierung in den Bezirken sogar vorangetrieben. "Zuerst wurde alles
       bunt, dann kamen die Studenten, später die Künstler, und heute ist alles
       schick", sagt Over.
       
       Vor allem die Besetzung der Mainzer Straße und die gewaltsame Räumung im
       November 1990 hat Friedrichshain über Berlin hinaus bekannt gemacht und ihm
       den Mythos eines Quartiers verpasst, an dem sich Polizei und Spekulanten
       die Zähne ausbeißen. Aus ganz Deutschland wollten Alternative und Punks
       plötzlich nach Friedrichshain - die "Stinos", die Stinknormalen, suchten
       das Weite. Es gibt auch eine Verdrängung, die weniger mit Geld als mit
       kultureller Deutungshoheit zu tun hat.
       
       Aber auch aus Prenzlauer Berg ist das politische Modell "runder Tisch"
       verschwunden. Nicht mehr Pfarrer und Bürgerinitiativen haben das Sagen,
       sondern Porschefahrer und Baugruppen. Zwar liegen die Selbsthilfehäuser,
       etwa in der Oderberger Straße, immer noch am unteren Ende des Mietspiegels.
       Doch die Gentrifizierung haben die Besetzer in Prenzlauer Berg nicht
       verhindern können.
       
       Auch das hat mit einem Mythos zu tun - dem des alternativen
       Oppositionsviertels zu DDR-Zeiten. Mit seiner Mischung aus
       Undergroundliteratur und staatsfeindlichem Trotz ist der "Prenzelberg"
       berühmt geworden. So berühmt, dass, wie Kempe einmal beklagte, die
       Oppositionellen in ihrer eigenen Szenekneipe "Torpedokäfer" bald keinen
       Platz mehr bekamen.
       
       Den Zusammenhang zwischen Aufwertung und Mythos hat die
       Kulturwissenschaftlerin Barbara Lang schon am Beispiel von Kreuzberg
       untersucht. Dort war die Besetzerbewegung 1980/81 der Startschuss für einen
       Zuzug aus Westdeutschland gewesen. In Ostberlin war dieser Zusammenhang vor
       allem in Mitte sichtbar, wo das Kunsthaus Tacheles seit seiner Besetzung im
       Februar 1990 in keinem Stadtführer mehr fehlen durfte.
       
       Wofür der Prenzlauer Berg und erst recht Friedrichshain Jahre brauchten,
       vollzog sich in der Oranienburger Straße, der Auguststraße und der Neuen
       Schönhauser Allee im Zeitraffer der Turbogentrifizierung. Dass es hinter
       der Tachelesruine heute noch immer so aussieht wie vor zwanzig Jahren, ist
       eine feine Ironie in der Nachwendegeschichte der Spandauer Vorstadt - und
       eine Ausnahme.
       
       Zu einem Mythos haben es die stillen Besetzer der Schönhauser Allee 20/21
       nicht gebracht - und auch nicht bringen wollen. Von der Veränderung ihres
       Quartiers sind sie nicht verschont geblieben. Auf der Freifläche am
       Senefelder Platz, auf der die hauseigene Kneipe MS Völkerfreundschaft
       mehrere Sommer eine Gartenwirtschaft betrieb, steht jetzt eine schicke
       Wohnanlage, Hostel und Biodiscounter inbegriffen. Wer dort wohnt und
       einkauft, braucht keinen Mythos mehr, sondern nur noch Geld. Auch das
       gehört zu den Überraschungen des 24. Dezember 1989: dass es dort einmal so
       werden wird wie im Schwabenland.
       
       31 Dec 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Uwe Rada
       
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