# taz.de -- Erdbeben auf Haiti: Ein Haufen Schutt
       
       > Nach dem Erdbeben auf Haiti: Wer es noch kann, gräbt mit Händen nach
       > Überlebenden. Gerade die Slums in Port-au-Prince sind stark betroffen.
       > Glücklich ist, wer noch lebt.
       
 (IMG) Bild: Verletzte Person im Hotel Villa Creole, Port-au-Prince.
       
       Den Überlebenden bot sich ein Bild des Grauens. Nur wenige Minuten nachdem
       in Port-au-Prince die Erde mit einer Stärke von 7 auf der Richterskala
       gebebt hatte, waren die Straßen in eine dichte Staubwolke gehüllt.
       Hilfeschreie erfüllten die engen Gassen zwischen den Hütten der
       Armenviertel. Dann versuchten selbst Verletzte verzweifelt, mit bloßen
       Händen nach Angehörigen und Überlebenden in den Schutthaufen zu graben, die
       sich bis auf die Straßen erstreckten.
       
       Leere Fensterhöhlen und Holzplanken, die sich in den Himmel reckten,
       bildeten bald eine bizarre Kulisse, als nach knapp einer Stunde die Sonne
       unterging. Ohne Strom und damit ohne Licht, Telefon oder Radio verbrachten
       die Menschen eine Nacht auf den Straßen und beteten. Nach Berichten von
       Augenzeugen kauerten sich Menschenmassen um die wenigen noch brennenden
       Lichter in der fast stockfinsteren Nacht zusammen, immer in Todesangst vor
       neuen Nachbeben.
       
       Am Tag danach herrschte im Stadtzentrum Chaos. Auf Fotos ist zu sehen, wie
       Frauen und Männer an Kinderleichen zerren und vergeblich versuchen, sie im
       Kofferraum von Schrottautos oder einfach auf dem Straßenboden
       wiederzubeleben. Frauen schreien gestikulierend ihren Schmerz heraus.
       Kinder in zerrissenen Schuluniformen irren durch die Straßen.
       
       Das Beben ereignete sich am Dienstag kurz vor 17 Uhr Ortszeit, genau zum
       Ende des Schultags. Es dauerte keine Minute. Sein Epizentrum lag 15
       Kilometer westlich von Port-au-Prince in einer Tiefe von rund einem
       Kilometer, was der Grund für seine verheerenden Auswirkungen ist. "Zuerst
       dachte ich, ein Auto sei in meines hineingefahren", berichtete der
       Radiojournalist Carel Pedre, der gerade am Steuer saß. Zuerst sei ihm gar
       nichts aufgefallen, bis er dann seine Tochter von der Schule abholen
       wollte. "Um mich herum waren die Häuser alle eingestürzt, überall lagen
       Verwundete. Ich habe mindestens 500 gezählt."
       
       Rund um den normalerweise weiß leuchtenden Sitz des haitianischen
       Staatspräsidenten sind zahlreiche Gebäude eingestürzt. Der dem Kapitol in
       Washington nachempfundene Prachtbau ist zusammengebrochen, über die ganze
       Länge eingestürzt, und er reicht kaum mehr über den ersten Stock hinaus.
       Die mächtige Mittelkuppel, auf der jeden Tag stolz die blau-rote Fahne der
       ersten unabhängigen Republik Lateinamerikas aufgezogen worden war, ist
       einfach eingeknickt. Der Regierungspalast selbst wird wohl über lange Jahre
       nicht mehr den Staatschef beherbergen können. Ebenfalls schwer beschädigt
       ist das Luxushotel Montana, unter dessen Ruinen vermutlich 200 Menschen
       verschüttet wurden.
       
       "Wenn diese stabilen Gebäude beschädigt sind, können Sie sich vorstellen,
       was mit all den wackligen Behausungen an den Hängen rund um Port-au-Prince
       passiert ist", sagte Raymond Joseph, der haitianische Botschafter in den
       USA. Die bekannte haitianische Theaterautorin Ezili Danto schreibt in ihrem
       Blog: "All die Armen, die auf den Berghängen lebten, in Häusern auf den
       Bergen, haben schwer gelitten. Wir hören, dass diese Häuser aller
       heruntergepurzelt sind, eins über das andere." Sie zitiert einen Anrufer
       aus Port-au-Prince: "Alle, reich und arm, haben auf den Bergen gebaut, und
       die Berge sind zusammengefallen. Dies ist Ground Zero."
       
       Eduard Aimé, Mitarbeiter des Malteser-Hilfsdiensts, bestätigte: "Die auf
       den Hügeln gebauten Slums sind einfach in einer Schlammlawine komplett
       abgerutscht."
       
       Manche hatten Glück. Das Bürogebäude der Diakonie Katastrophenhilfe wurde
       nur leicht beschädigt. "Eine Mitarbeiterin wurde leicht verletzt",
       berichtete telefonisch die Lokalchefin der deutschen Hilfsorganisation,
       Astrid Nissen, kurz bevor die Verbindung wieder abbrach. Die Angestellte in
       ein Krankenhaus zu bringen sei allerdings unmöglich gewesen. Das
       nächstgelegene Hospital des teils deutsch finanzierten kirchlichen
       Hilfswerks Unsere kleinen Brüder und Schwestern sei weitgehend
       zusammengestürzt.
       
       Mit schwerem Bergungsgerät hätten Helfer versucht, die Verschütteten aus
       den Trümmern zu bergen. "Viele Straßen sind blockiert, wir sind kaum
       durchgekommen", sagt Astrid Nissen. In der näheren Umgebung der Diakonie
       Katastrophenhilfe lagen Leichen auf der Straße. "Ich befürchte das
       Schlimmste", so Nissen. "Die Menschen haben in schierer Verzweiflung mit
       den bloßen Händen gegraben."
       
       Erschwert wird die Situation auch dadurch, dass die UN-Friedenstruppe
       Minustah selbst schwer von dem Beben betroffen ist. Ihr fünfstöckiges
       Verwaltungsgebäude ist eingestürzt und hat eine noch unbekannte, vermutlich
       dreistellige Zahl von Blauhelmsoldaten und Zivilangestellten aus aller Welt
       unter den Betonmassen begraben. Der Leiter der UN-Nothilfeorganisation OCHA
       wird vermisst, seine Familie soll unter den Trümmern des eingestürzten
       Privathauses liegen. Vermisst werden auch der Chef der Blauhelmmission
       selbst, der Tunesier Hédi Annabi, und sein Mitarbeiterstab.
       
       Dadurch, dass auch Hilfsorganisationen betroffen sind, werden Hilfsaktionen
       zusätzlich erschwert. Zahlreiche Hilfswerke kündigten groß angelegte
       Hilfseinsätze an. Das Internationale Rote Kreuz spricht von drei Millionen
       Betroffenen insgesamt - nicht nur Bewohner der haitianischen Hauptstadt,
       sondern auch die der vielen schwer zu erreichenden kleinen Ortschaften in
       der Umgebung.
       
       So wird das volle Ausmaß der Katastrophe erst in den nächsten Tagen
       deutlich werden. Eine Mitarbeiterin des Hilfswerks Oxfam berichtete: "Über
       dem Tal südlich der Stadt steht eine dichte Rauchwolke. An jeder Ecke hören
       wir, wie Leute um Hilfe schreien." Haitis Botschafter in den USA, Raymond
       Joseph, sagte: "Was wir jetzt am dringendsten brauchen, ist ein
       Krankenhausschiff vor der Küste."
       
       14 Jan 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) H. U. Dillmann
 (DIR) D. Johnson
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Erdbeben
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Schweres Erdbeben in Haiti: Mehr als 700 Tote
       
       Am Samstag ereignete sich auf Haiti ein Erdbeben der Stärke 7,2.
       Anfängliche Tsunami-Warnungen wurden aufgehoben. Die Zahl der Toten ist auf
       724 gestiegen.
       
 (DIR) Katastrophen-Hilfe in Haiti: "Es gibt kein Wasser. Es gibt nichts"
       
       Einen Tag nach der Erdbebenkatastrophe in Haiti beginnt die internationale
       Hilfe. Die Situation ist chaotisch – Wasser und Lebensmittel sind knapp, es
       gab bereits erste Plünderungen.
       
 (DIR) Nach Erdbeben in Haiti: Über 100.000 Opfer befürchtet
       
       Einen Tag nach dem Beben auf Haiti ist das Ausmaß der Katastrophe noch
       immer unklar. Erste Hilfsgüter treffen ein, aber die Versorgung ist völlig
       unzureichend.
       
 (DIR) Beben auf Haiti: "Von der Erde verschluckt"
       
       Ein Beben der Stärke 7 erschütterte Haiti. Weite Teile der Hauptstadt und
       der Umgebung, darunter der Präsidentenpalast und das Hauptquartier der
       UN-Truppen, wurden zerstört.
       
 (DIR) Länderkunde Haiti: Das Katastrophenland
       
       Erdbeben, Wirbelstürme, Überschwemmungen, Schlammlawinen. Dazu Armut,
       Unruhen und eine schwache Regierung. Der Wirtschaft geht es immer
       schlechter. Ein Überblick