# taz.de -- Dichtung und Wahrheit: Das Problem mit dem Patron
       
       > Die Dichtungen von Rudolf Alexander Schröder sind im Evangelischen
       > Gesangbuch ebenso vertreten wie in den Liedersammlungen von SS und SA.
       > Sein Beispiel demonstriert die Dehnbarkeit des Begriffs "Innere
       > Emigration".
       
 (IMG) Bild: Handschlag: Bürgermeister Böhmcker (r.) gratuliert Schröder zum 60. Geburtstag (1938).
       
       Der 26. Januar ist einer der wenigen Tage, an denen Bremen Jahr für Jahr
       bundesweite Aufmerksamkeit erfährt: Es ist der Geburtstag des Dichters
       Rudolf Alexander Schröder. Und deswegen der fixe Termin für die Verleihung
       des Bremer Literaturpreises. Die samt Förderpreis mit 26.000 Euro dotierte
       Auszeichnung, von Rudolf Walther Leonhardt in der Zeit als "renommierteste"
       deutsche Literaturtrophäe nach dem Büchner-Preis bezeichnet, geht dieses
       Jahr an Clemens Setz und Roman Graf.
       
       Auslober ist die Rudolf Alexander Schröder Stiftung. Sie hat die Aufgabe
       1962 vom Bremer Senat übernommen, nachdem sich dieser durch die Aberkennung
       des eigentlich Günter Grass zugesprochenen Preises gründlich blamiert
       hatte. Mit ihrem Namenspatron hat die Stiftung allerdings selbst eine
       Altlast zu tragen - die in Gegensatz zur längst beliebt gewordenen
       Grass-Anekdote kaum problematisiert wird: Schröders Rolle und Rezeption im
       "Dritten Reich".
       
       Schröder, der aus einer alteingesessenen Bremer Patrizierfamilie stammt,
       ist unbestreitbar ein herausragender und vielseitiger Künstler. Als
       Dichter, Antiken-Übersetzer, Innenarchitekt, Maler und Mitbegründer des
       legendären Insel Verlags hat er bleibende Spuren hinterlassen, zudem gilt
       er als bedeutender Erneuerer des evangelischen Kirchenliedes. Etliche
       Schröder-Dichtungen wie "Abend ward, bald kommt die Nacht" gehören nach wie
       vor zum Stammteil des Evangelischen Gesangbuchs. Doch auch in anderen
       Liedersammlungen sind Schröders Texte prominent vertreten: Sein "Deutscher
       Schwur" beispielsweise avancierte zu einer zentralen Hymne von HJ und SA.
       
       Dieser Aspekt der Schröderschen Wirkungsgeschichte wird nur sehr
       eingeschränkt zur Kenntnis genommen. Das NS-Regime habe Schröder 1935
       "jedes Auftreten in der Öffentlichkeit untersagt", heißt es in einer -
       immerhin vom Bonner Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
       veröffentlichten - Biografie. Deswegen habe er Bremen verlassen und sich
       nach Bergen am Chiemsee zurückgezogen. Auch die Schröder-Stiftung, hinter
       der die Bremer Stadtbibliothek steht, betont in ihrem Internet-Auftritt
       Schröders "Innere Emigration" und seine Zugehörigkeit zur Bekennenden
       Kirche. Beides trifft zu, zeigt aber auch die Dehnbarkeit des Begriffs
       "Innere Emigration". Unerwähnt bleibt beispielsweise, dass Schröder als
       Autor des "Inneren Reichs", einer bürgerlichen, aber strikt der "Führung
       des deutschen Volkes durch Adolf Hitler" verpflichteten Zeitschrift, weiter
       publizierte - und 1938 mit einem großen Festakt im Bremer Rathaus bedacht
       wurde.
       
       Es war ebenfalls ein 26. Januar: Schröders 60. Geburtstag, zu dem sich die
       Hautevolee der Hansestadt im Bremer Rathaus eingefunden hatte. Schließlich
       wurde Schröder eine herausragende Würdigung zu Teil: Ebenso, wie zu Ehren
       seines 75. Geburtstags 1953 der Bremer Literaturpreis ins Leben gerufen
       wurde, stiftete man dem Jubilar 15 Jahre zuvor die "Medaille für Kunst und
       Wissenschaft". Sie wird seither als Bremens höchste Kulturauszeichnung
       verliehen.
       
       Erster Gratulant Schröders war der SA-Gruppenführer und Regierende
       Bürgermeister Heinrich Böhmcker, wegen seiner Brutalität in den
       Saalschlachten der 30er Jahre als "Latten-Böhmcker" bekannt. Nun ist klar,
       dass angesichts der Extrem-Bedingungen der NS-Diktatur nicht jeder
       Prominente für jeden angenommenen Preis und jede herzlich geschüttelte
       Gratulantenhand vorbehaltlos verantwortlich gemacht werden kann. Auffällig
       ist jedoch, dass diese Integration Schröders in das öffentliche Leben und
       die NS-Propaganda heute gern ignoriert wird.
       
       Auf der Homepage der Schröder-Stiftung wird zwar ungeschönt über den
       national-konservativen Patriotismus des Dichters im Ersten Weltkrieg
       berichtet - er verfasste Werke wie "Deutsche Oden" oder "Heilig Vaterland"
       und tat als Zensor für das Deutsche Generalkommando Dienst. Außen vor
       bleibt allerdings die Präsenz seiner Texte in den Lesebüchern und
       Liedersammlungen der NS-Zeit, auch die entsprechenden Ehrungen.
       
       Wer sich heute auf Spurensuche in Sachen Schröder macht, stößt auf
       zahlreiche Auslassungen und Widersprüche. Noch immer fehlt eine kritische
       Biographie, die auch die weniger rühmlichen Aspekte seines Wirkens - und
       seiner Rezeption - systematisch aufarbeitet. In gängigen Literaturlexika
       wird Schröders Haltung zum Ersten Weltkrieg als "liberal-national getönter
       Humanismus" (Herbert Rösch) bezeichnet, dabei stellen gerade Schröders
       Verse wie der 1914, mit 36 Jahren, gedichtete "Deutsche Schwur" ein
       Paradebeispiel für die unmittelbare Anschlussfähigkeit des bürgerlichen
       Patriotismus an die NS-Ideologie dar.
       
       Ähnlich verhält es sich mit "Das Banner fliegt, die Trommel ruft": Hier
       musste ein zwar wichtiges, aber eben auch nur einziges Wort geändert
       werden, um eine der verbreitetsten NS-Hymnen zu kreieren. Nachdem der
       ebenfalls "rufende" "Kaiser" durch "Führer" aktualisiert worden war, fand
       die Hymne in nahezu alle einschlägigen Sammlungen vom "SS-Liederbuch" über
       "Junge Gefolgschaft" bis zu "Die Wehrmacht singt - Soldatenlieder mit
       Klavierbegleitung" Eingang. Oft wurde sie sogar selbst zum Sammlungs-Titel.
       
       Dieser größte Erfolg Schröders im "Dritten Reich", das muss betont werden,
       war unfreiwilliger Natur: Den "Führer" fügte nicht Schröder, der später
       deutlich unter den "immer finsterer werdenden Zeiten" litt, sondern der
       Komponist Heinrich Spitta in den Kehrvers ein. Aber inwiefern sind die
       grobschlächtigen Propaganda-Reime der einzelnen Strophen (siehe Kasten) mit
       der "Einheit von klassischer Dichtung und christlichem Ethos" kompatibel,
       für die Schröder etwa im "Kindler" so belobigt wird? Schröders Werk gilt
       gemeinhin als die Synthese von humanistischer Tradition und
       protestantischer Gläubigkeit schlechthin - und fand in einigen Facetten
       nichtsdestoweniger seinen festen Platz in den täglichen Morgenfeiern der
       HJ. Transparenz über dieses Sowohl-als-auch herzustellen gäbe mehr
       Aufschluss über die Vitalität und Funktionsfähigkeit des "Dritten Reiches",
       als es durch einseitige Entlastungen oder "Brandmarkungen" möglich wäre.
       
       Immerhin ist klar, dass "RAS", wie Schröder in seiner Stiftung kurz und
       bündig genannt wird, kein Rassist war. Die "Arier"-Ideologie
       charakterisierte er als "Wonne aller Hohlköpfe". Er versuchte, vergeblich,
       einer jüdischen Freundin zu helfen und formulierte in seiner berühmten
       Pfingstpredigt von 1945 in bemerkenswerter Deutlichkeit: "Was ist von
       unserer, der Christen Seite geschehen, um dem Blutwahn der mit den höchsten
       Ämtern und Titeln des Reiches Bekleideten zu entgehen? Gegenüber unserer
       eigenen, längst weltkundigen Schande haben wir die Augen zugekniffen."
       
       In Bezug auf Schröders Verknüpfungen mit dem "Dritten Reich" blieben die
       Augen auch weiterhin zumeist geschlossen - die Öffentlichkeit ging mit dem
       Dichter weit weniger kritisch um als dieser mit sich selbst. Schröder galt
       nach 1945 als "großer alter Mann der Literatur", man benötigte ihn als
       moralische Instanz, die die NS-Zeit völlig unbeschadet überstanden habe.
       Bundespräsident Theodor Heuss wollte Schröder mit "Land des Glaubens,
       deutsches Land" zum Dichter der neuen Nationalhymne machen, T.S. Eliot und
       Albert Schweitzer schlugen ihn 1955 / 56 für den Literaturnobelpreis vor.
       Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung wählte Schröder zum
       Ehrenvorsitzenden. Daneben blieb er bis zu seinem 80. Geburtstag
       Vorsitzender der Bremer Literaturpreis-Jury.
       
       Die in Schröders Ägide vorgenommenen Preisvergaben zeichnen sich dadurch
       aus, dass Autoren des Exils - in auffälligem Gegensatz zu denen der
       "Inneren Emigration" - chancenlos blieben. Auch die Auszeichnung Paul
       Celans versuchte Schröder zu verhindern. Dass sie dann zeitgleich mit der
       Feier seines 80. Geburtstags erfolgte, empfand der Preis-Patron als
       persönlichen Affront.
       
       Es scheint, dass Schröder dem nach ihm benannten Preis schon zu Lebzeiten
       nicht nur Nutzen gebracht hat. Und während sich die Literaturwissenschaft
       in den vergangenen Jahrzehnten recht wenig mit dem Dichter beschäftigte,
       sind seine Verse in der rechtsradikalen Szene bemerkenswert präsent - wie
       man anhand diverser Nazi-Internetforen nachvollziehen kann.
       
       Taugt Schröder noch als Patron des Bremer Literaturpreises? Angesichts der
       hier skizzierten politischen Ambivalenzen Schröders könne man die Frage
       durchaus stellen, sagt Barbara Lison, Bibliotheksdirektorin und
       Geschäftsführerin der Schröder-Stiftung. Über einen etwaigen
       Forschungsauftrag zur näheren Klärung müssten allerdings zunächst die
       Stiftungsgremien und letztlich der Senat entscheiden. Die Stiftung selbst
       verfüge über keinerlei Kapazitäten.
       
       Immerhin wurde für die zur Zeit in Bremen stattfindende "Literarische
       Woche", als deren Höhepunkt der Literaturpreis verliehen wird, bereits ein
       unfreiwillig prophetischer Titel gewählt: "Der Mann in der Krise".
       
       Schröders "Deutscher Schwur" avancierte zur Hymne von HJ und SA. Trotzdem
       sollte er nach dem Krieg die neue Nationalhymne dichten Immerhin ist klar,
       dass "RAS" kein Rassist war. Die Arier-Ideologie galt ihm als "Wonne aller
       Hohlköpfe"
       
       21 Jan 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Henning Bleyl
       
       ## TAGS
       
 (DIR) 1914
       
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 (DIR) Hier, 1914: Heimatfront Bremen
       
       Universität, Bürgerschaft und Bremer Evangelische Kirche beschäftigen sich
       intensiv mit der regionalen Weltkriegs-Geschichte. Eine von reichsweit zwei
       kritischen Zeitungen erschien in Bremen.
       
 (DIR) Doppelte Spurensuche: Der Weg des Flügels
       
       Die jüdische Pianistin Henny Bromberger, in Minsk ermordet, war ein
       Mittelpunkt des Bremer Kulturlebens. So wie nach dem Krieg Rudolf Blaum,
       der vehement für die Rückführung von Beutekunst kämpfte. Beide hatten einen
       Bechstein - möglicherweise dasselbe Instrument.