# taz.de -- Streit um Islam: Unter Hasspredigern
       
       > In Deutschlands Zeitungen tobt eine Debatte über "Islamkritiker" wie
       > Henryk M. Broder. Dabei stellen sich zwei Fragen: Wer hat die
       > Deutungshoheit? Und wer hat wirklich Ahnung?
       
 (IMG) Bild: Für manche ein Feindbild: der Neubau der Moschee in Köln.
       
       BERLIN taz | Ist Henryk M. Broder ein Hassprediger? Das Schweizer Plebiszit
       für ein Minarettverbot hat mit einer gewissen Verzögerung auch in
       Deutschland eine Debatte in Gang gebracht. Sie dreht sich um
       antimuslimische Ressentiments und prominente Islamgegner wie Henryk M.
       Broder und Necla Kelek. Darüber streiten sich die Feuilletons der Republik
       derzeit in ungewöhnlich scharfem Ton, wobei die Fronten quer durch so
       manches Verlagshaus und so manche Zeitungsredaktion gehen.
       
       Den Auftakt machte in der Zeit Thomas Assheuer, der Henryk M. Broder und
       Ayaan Hirsi Ali einen "Aufklärungsfundamentalismus" vorwarf, weil sie das
       Schweizer Minarettverbot begrüßten. Ihm folgte Claudius Seidl in der
       Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, der die von Broder, Hirsi Ali und
       Kelek betriebene Gleichsetzung von Islam und Islamismus als Demagogie
       kenntlich machte.
       
       Und in der Süddeutschen schrieb deren Feuilletonchef Thomas Steinfeld, dass
       die Beschwörung westlicher Werte offenbar "ihre eigenen Hassprediger"
       hervorbringe, die der autoritären Vision einer "Zwangsmodernisierung" der
       Muslime nachhingen - ein Konzept, das übrigens schon im Nahen Osten nicht
       aufgegangen sei, wo die autoritären Regimes den radikalen Islamismus ja
       gerade erst hervorgebracht hätten.
       
       Die Antwort der Angegriffenen ließ nicht lange auf sich warten. In der
       Frankfurter Allgemeinen warf Necla Kelek ihren Kritikern vor, keine Ahnung
       vom "System Islam" zu haben. "Dass der Islam Glaube und Politik ist,
       überfordert offensichtlich die Vorstellungskraft vieler Westeuropäer",
       schrieb sie. Und Henryk M. Broder mutmaßte im Berliner Tagesspiegel, der
       Grund für die Vorwürfe gegen ihn wie gegen Kelek sei, dass ihnen beiden
       angeblich der "Stallgeruch" des deutschen Feuilletons fehle. Dass sich
       ausgerechnet Broder nun plötzlich als verfolgte Unschuld geriert, ist schon
       absurd. Schließlich vergeht kaum ein Tag, an dem er nicht in irgendeiner
       Talkshow, im Spiegel, auf Spiegel Online, im Tagesspiegel oder in der Welt
       zu Wort kommt - demnächst soll er in der ARD sogar eine eigene Sendung
       bekommen.
       
       Mit ihrem Mantra, der Islam sei eine Religion der Gewalt und der
       Intoleranz, haben sich die Bestsellerautoren Kelek und Broder einen Namen
       gemacht, viel Geld verdient und Preise eingeheimst. Da sollten doch ein
       paar Nachfragen erlaubt sein: etwa, worauf die beiden sendungsbewussten
       Publizisten ihr Urteil stützen - außer auf ein Potpourri willkürlich
       zusammen getragener Fakten und Halbwahrheiten, die sie in ein ideologisch
       festgezurrtes Weltbild fügen. Für wen die beiden eigentlich sprechen außer
       für sich selbst - und für jene Zeitungen, die so gerne ihre Texte drucken,
       sowie jenes Publikum, das ihnen dankbar applaudiert. Und nicht zuletzt, auf
       welchem Wege sie ihr Projekt einer "Eindämmung" des Islam gerne umgesetzt
       sehen möchten.
       
       Denn die "westlichen Freiheitswerte", die Kelek und Broder so vehement
       verteidigen, sollen für gläubige Muslime nur eingeschränkt gelten. Beide
       haben sich zum Beispiel gegen den Bau der Moschee in Köln ausgesprochen,
       wobei Broder eine Art Tauschgeschäft vorschlug: Erst wenn im saudischen
       Riad Kirchtürme und bauchfreie Tops zugelassen wären, solle man bei "uns"
       Moscheen und Minarette erlauben. Das nannte Claudius Seidl ganz treffend
       einen "Rassismus, der sich seiner selbst nur nicht bewusst ist".
       
       Die große Popularität, die Necla Kelek als "Islamkritikerin" in Deutschland
       genießt, beruht dabei auf einem doppelten Missverständnis. Ihre Fans und
       Verehrer glauben, in ihr eine "authentische Stimme" gefunden zu haben, die
       den Islam aus persönlich schmerzhafter Erfahrung heraus kenne und nun quasi
       "von innen" heraus kritisiere.
       
       Das ist zwar Quatsch, schließlich ist ja auch ein Deutscher nicht allein
       aufgrund seiner Herkunft schon ein Experte für das Christentum oder die
       Geschichte Europas. Doch im Fall von Necla Kelek, Seyran Ates, Ayaan Hirsi
       Ali oder dem Ägypter Hamed Abdel-Samad, dem neuen Shootingstar der
       populären "Islamkritik", verfängt dieser Authentizitätsmythos, der durch
       ein geschicktes Biografiemarketing gefüttert wird. Von ihren Bewunderern
       wird ihnen deshalb eine größere Kompetenz und Autorität zugesprochen als
       vielen Wissenschaftlern und Experten.
       
       Eine eigene Ideologie 
       
       Hinzu kommt das Missverständnis, Necla Kelek & Co würden eine unbequeme
       oder gar unterdrückte Meinung über den Islam vertreten. Dabei ist ihre
       Meinung nicht nur für viele Deutsche sehr bequem, können sie sich doch in
       ihren Vorurteilen bestätigt fühlen. Doch auch für Muslime bieten sie wenig
       Neues. Denn die Ansicht, für die Rückständigkeit der Muslime sei vor allem
       der Islam verantwortlich zu machen, ist in den meisten islamischen Ländern
       seit der Kolonialzeit nur allzu bekannt. Diese Überzeugung brachte
       Staatslenker wie den türkischen Staatsgründer Kemal Atatürk, den Schah von
       Persien oder arabische Generäle wie Gamal Abdel Nasser einst dazu, für ihre
       Länder eine möglichst weitreichende Säkularisierung und Verwestlichung von
       oben anzustreben.
       
       Wer die Türkei kennt, der kennt deshalb auch den paternalistischen Tonfall,
       mit dem Necla Kelek über religiöse Muslime spricht. In diesem Ton spricht
       das alte, säkulare Bürgertum in Ankara, Izmir oder Istanbul über das
       einfache Volk, das es für einen einfältigen und religiös verblendeten Pöbel
       hält, den es am liebsten von der Demokratie ausschließe würde. Und dieser
       Herrschaftsdiskurs ist auch in arabischen Ländern verbreitet, nicht wenige
       Diktatoren verteidigen damit ihre Vormachtstellung. Wer diesen Snobismus
       für subversive Religionskritik hält, der weiß nichts von der muslimischen
       Welt.
       
       In Europa mischt sich dieser säkulare Überlegenheitsdiskurs mit alten, tief
       sitzenden Ängsten vor dem Islam. Nicht zufällig hat ein großer Teil der
       hiesigen "Islamkritik" weniger Ähnlichkeiten mit moderner, rationaler
       Religionskritik als mit der christlichen Islampolemik des Mittelalters, die
       im Islam lange Zeit nicht mehr als eine gefährliche Häresie erblickte.
       Unter dem Eindruck der muslimischen Einwanderung nach Europa ist aus diesem
       Ressentiment in den letzten Jahren einer eigene Ideologie erwachsen, die
       vor allem in rechten Internetblogs wuchert und deutliche Parallelen zum
       klassischen Antisemitismus aufweist, wie der Antisemitismusforscher
       Wolfgang Benz festgestellt hat.
       
       Diese Parallelen lassen sich an mehreren Punkten festmachen: Da ist zum
       einen das Angstbild von der demografischen Unterwanderung, dass der
       Bundesbanker Thilo Sarrazin (SPD) auf die prägnante Formel brachte, die
       Türken eroberten Deutschland "genauso, wie die Kosovaren das Kosovo erobert
       haben: durch eine höhere Geburtenrate". Dieses Szenario gipfelt in der
       Schreckensvision einer kulturellen Überfremdung, der "Islamisierung
       Europas".
       
       Wie Deutschland im Jahre 2067 aussehen könnte, malte sich Broder einmal auf
       Spiegel Online aus: "Der Bundespräsident heißt Mahmoud Watan-Sadr,
       Pornokinos und Strip-Bars sind verboten", während Kirchtürme nicht höher
       als Moscheen gebaut werden dürfen. War aber sicher nur ein Witz. Und im
       Hintergrund lauert natürlich eine Verschwörung - wobei sich die Paranoiker
       noch uneins sind, ob die Drahtzieher hinter der "Islamisierung" nun in
       Saudi-Arabien (Necla Kelek), in der ägyptischen Muslimbruderschaft (Udo
       Ulfkotte) oder in der "Organisation der Islamischen Konferenz" (Thierry
       Chervel im Perlentaucher) zu finden sind.
       
       Mehr Empirie bitte 
       
       Diesen Wahnvorstellungen zugrunde liegt die Idee, der Islam sei eine quasi
       unveränderliche Kultur und Muslime bildeten eine eigene Menschengattung,
       eine Art "Homo islamicus". Dieser "ewige Muslim", wie ihn seine Gegner
       zeichnen, unterdrückt seit jeher Frauen und hat eine Affinität zu jeder
       Form von Gewalt.
       
       Die Vorstellung, erst im islamistischen Terror komme der Islam zu sich
       selbst, ist zwar so töricht wie die Ansicht mancher Islamisten, in den
       Kreuzzügen oder im Irakkrieg habe das Christentum seinen reinsten Ausdruck
       gefunden. Sie ist aber offenbar so fest im europäischen Bewusstsein
       verankert, dass es kaum noch jemandem auffällt, wenn Henryk M. Broder die
       Jugendgewalt an der Rütli-Schule und den Terror der Hamas beides zusammen
       mal eben auf den Islam zurückführt.
       
       Was bräuchte die Islam-Debatte, damit sie sich nicht ständig im Kreis der
       immer gleichen Vorurteile dreht? Mehr Empirie. Denn die meisten Umfragen,
       wissenschaftlichen Studien und statistischen Daten über Muslime in
       Deutschland widerlegen die vielen Klischees, die Islamgegner wie Necla
       Kelek und Henryk M. Broder so gerne pflegen. Mehr Expertise. Viel zu oft
       werden Wissenschaftler, die sachlich zum Thema Integration und Islam
       arbeiten, von Broder und seinen Freunden mit Häme überzogen.
       
       Nicht wenige von ihnen sind deshalb mit ihren Wortmeldungen vorsichtiger
       geworden. Und mehr Pluralismus: Die meisten Muslime in Deutschland haben
       kein Problem damit, ihren persönlichen Glauben mit dem Grundgesetz oder dem
       Leben in Deutschland in Einklang zu bringen. Sie sollten in diesen Debatten
       mehr Gehör finden, gerade weil sie nicht bloß einer interessierten
       Öffentlichkeit nach dem Mund reden. Denn schließlich geht es angeblich um
       sie.
       
       4 Feb 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniel Bax
       
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