# taz.de -- Textsprint: Von null auf Buch in 120 Stunden
       
       > Mit fünf Mitstreitern hat Adam Hyde in nur fünf Tagen ein Buch
       > verwirklicht - von der Idee bis zur Druckversion. Ein Beispiel für "Free
       > Culture" und "Kollaboration".
       
 (IMG) Bild: Laser in Berlin: Licht-Installation der Transmediale.
       
       BERLIN taz | Fünf Tage, sechs Menschen und eine Software: Für Adam Hyde
       reicht das aus, um ein Buch von der Idee bis zur druckfertigen Version
       entstehen zu lassen. Klingt irre? Das glauben auch viele Verleger, sagt
       Hyde und schüttelt die kleingelockte graue Haarmähne. "Die glauben das
       nicht einmal, wenn man ihnen das fertige Werk unter die Nase hält", sagt er
       und fuchtelt mit einem kleinen weißen Bändchen in der Hand herum. Es ist
       das Buch, das Hyde und seine Mitstreiter vom 18. bis 22. Januar geschrieben
       haben - und das sie am Samstag auf dem Transmediale-Festival für Kunst und
       digitale Kultur in Berlin präsentierten. "Booksprint" nennt Hyde es.
       
       Ein konventioneller Verlag braucht für einen solchen Vorgang Monate für
       Idee, Verhandlungen mit den Autoren, Planung, Redigat, Drucklegung und
       alles andere. Hyde hat es es spartanischer versucht: Zur Transmediale
       mietete er in Berlin einen Raum, lud fünf Menschen ein, die er für
       inhaltlich fit und teamfähig hielt, und bat sie, mit ihm ein Buch zu
       schreiben. "Kollaborative Zukunft" solle der Titel sein, gearbeitet werden
       solle mit einer von ihm entwickelten freien Software. "Ich habe gedacht, er
       spinnt, das wird nie etwas", sagt die Spanierin Marta Peirano. Als
       Journalistin wisse sie, wie lange und hart in Redaktionen Dinge
       totdiskutiert würden. Trotzdem hat sie sich auf Hydes Experiment
       eingelassen - auch wenn es dafür abgesehen von Spesen kein Geld gab. Und
       wurde nach 120 Stunden davon überrascht, dass es geklappt hat.
       
       Es ist nicht das erste Mal, dass Organisator Adam Hyde innerhalb von
       wenigen Tagen ein Buch aus dem Nichts stampfen ließ. Er hat sich in den
       vergangenen Jahren auf Blitzbuchprojekte spezialisiert, schon 16
       Booksprints hinter sich. Ließ ein Handbuch für das Betriebssystem Linux
       innerhalb von zwei Tagen entstehen, schraubte in seiner niederländischen
       Firma "Floss Manuals" an einer Software, die den Weg vom Text zum
       druckfertigen Manuskript möglichst widerstandsfrei gestalten soll. Und
       wollte jetzt mehr als nur eine Bedienungsanleitung: Für die Transmediale
       sollte eine Art Gemeinschaftsessay entstehen, ein "spekulativ-narratives
       Werk", wie er es nennt.
       
       Der "Collaborate Future Booksprint" ist im häufig arg verkopften Konzept
       des Berliner "Transmediale"-Festivals für Kunst und Kultur, das meist in
       Zukünftigkeiten schwelgt, eines der handfesteren Projekte. Eine
       Demonstration am lebenden Objekt und kulturpolitisches Statement zugleich.
       Denn der Booksprint zeigt, was sich hinter schwammigen Begriffen wie
       "Kollaboration" und "Free Culture" versteckt.
       
       Beides sind Themen, die bei der Transmediale hinter jeder zweiten Säule
       lauern. Kollaboration, sagt der irische Kommunikationsforscher Alan Toner,
       ist eines der großen Themen der Kunstszene. Neu daran ist natürlich nicht,
       dass Leute zusammenarbeiten - sondern wie Kollaboration im digitalen
       Zeitalter funktioniert: anonym, über teils große Distanzen und vage
       Netzwerke. Bislang habe sich niemand bemüßigt gefühlt, einmal genauer zu
       definieren, was Kollaboration hier eigentlich sei. Und genau diese Lücke
       füllten Hyde, Toner und ihre Mitstreiter im Booksprint-Buch.
       
       Ähnlich wie bei der Online-Enzyklopädie Wikipedia ist hier kein geniales
       Individuum, sondern ein Kollektiv am Werk. Ohne die Gruppe hätte hier
       nichts funktioniert, wer also welchen Absatz beigesteuert hat, kann man bei
       Interesse irgendwo im Anhang des Buches nachlesen, ebenso wie jede Menge
       Details zum Entstehungsprozess. Denn die Booksprinter haben ja nicht nur
       über Kollaboration theoretisiert, sondern sie durchlebt, vom
       Post-it-Brainstorming übers Sushirollen bis zum Redigieren ihrer Texte. Mit
       einer Gruppe von Leuten, die sich zuvor nicht kannten, der vom Israeli bis
       zum Iren alle möglichen Nationalitäten und vom Mediendesigner bis zum
       NGO-Aktivisten alle möglichen Berufsbilder angehörten.
       
       Am ersten Tag haben sie ein Inhaltsverzeichnis für ihr Buch gemeinsam
       erarbeitet - und am nächsten Tag begonnen, loszuschreiben. "Ich habe 50,
       100 Wörter geschrieben - und dann sind wir schon wieder in irgendeine
       Diskussion eingestiegen", sagt Toner. Wer sein Kapitel fertig getextet
       hatte, begann sofort, Textschnipsel seines Tischnachbarn zu lektorieren.
       Lange Streitereien habe es nicht gegeben, sagt Hyde, einfach, weil allen
       bewusst gewesen sei, wie wenig Zeit sie nur zur Verfügung hatten.
       
       Dazu beigetragen hat sicher auch, dass alle Autoren das Interesse am Thema
       Kollaboration und an liberalerem Umgang mit Urheberrecht teilten. Und doch
       war man sich nicht in allen Punkten einig. "Vieles, was jetzt im Buch
       steht, geht mir persönlich nicht weit genug. Ich glaube zum Beispiel nicht
       an den Sinn des Copyrights", sagt Hyde. "An manchen Punkten habe ich hart
       gekämpft. Aber verloren." Die Booksprinter sehen ihr Buch ohnehin nur als
       einen ausgedruckten Status quo ihrer Arbeit. Schon bei der Präsentation
       beim Transmediale-Festival motivieren sie alle Zuhörer, sich einzumischen,
       sich auf der Plattform von Hydes Firma anzumelden und das Buch online zu
       ergänzen. Denn als fertig betrachten sie es nicht.
       
       Arbeit als Prozess, Glaube an Schwarmintelligenz - darin unterscheiden sich
       die Netzkreativen von heute deutlich von ihrer Vorgängergeneration. Ideen
       wie diese spielen auch in den Vorträgen von Suchmaschinenguru Conrad
       Wolfram und Science-Fiction-Vorbild Bruce Sterling auf der Transmediale
       eine Rolle. "In Zukunft und Gegenwart werden die nützlichsten Dinge von
       Gemeinschaften kreiert werden, nicht von Firmen", sagt etwa Toner.
       Software, an der Hunderte und Tausende mitprogrammieren, würde Microsoft
       über kurz oder lang nur so hinwegfegen, das sei ein ganz einfacher
       evolutionärer Prozess. Das Booksprint-Projekt sendet noch eine andere
       Botschaft aus. Hyde führt damit nüchtern besehen die Buchverlage, die
       Monate und jede Menge Geld in ein Werk investieren, vor. In der
       Musikbranche wird schon seit Jahren die Rolle von Labels in Frage gestellt.
       Hyde beginnt jetzt, die Buchbranche das Fürchten zu lehren.
       
       Die Software, mit der das Buch erstellt wurde, ist frei. Keiner der Autoren
       wurde mit lebensunterhaltssicherndem Honorar versorgt. Lektoriert haben sie
       sich gegenseitig. Und dafür gibt es das Buch jetzt als kostenfreien
       Download im Netz, mit einer sogenannten Creative-Commons-Lizenz. Das kann
       man als Kampfansage gegen verkrustete Verlage begreifen, als
       selbstausbeuterischen Wahnsinn oder einfach als Versuch, Wissen online
       schnell und kostenfrei zugänglich zu machen.
       
       Wichtig ist für Hyde und seine Mitstreiter der "Free Culture"-Gedanke, der
       dahinter steht. Statt digitale Kopien im Netz kostenpflichtig zu machen,
       verschenken sie PDF-Versionen, erlauben anderen Netznutzern, mit ihrem Text
       weiterzuarbeiten, und verkaufen einzig das gedruckte Bändchen ihres Textes.
       "Creative Commons" heißt die NGO, die sich seit Jahren weltweit für solche
       und andere Varianten im digitalen Urheberrecht starkmacht. Deren
       Vizepräsident Mike Linkvaser war ein weiterer von Hydes fünf
       Booksprint-Autoren.
       
       Mit "Free Culture"-Ansätzen, mit Kulturgültern unter
       Creative-Commons-Lizenzen verändert sich das Netz. Hin zu mehr
       Kollaboration und Austausch, sagten die einen, hin zu noch weniger
       Geldverdienen und dem Sterben von Geschäftsmodellen, meinen andere. Doch es
       gibt auch Beispiele, wie Künstler mit verschenkten Netzinhalten Geld
       verdienen.
       
       Der bekannte Science-Fiction-Autor Cory Doctorow etwa, der jedes seiner
       Bücher als Gratis-Download zur Verfügung stellt und trotzdem auf
       Bestsellerlisten der New York Times landet. Die bislang unbekannte
       US-Filmemacherin Nina Paley, die ihren Animationsfilm "Sita Sings the
       Blues" mit Creative-Commons-Lizenz im Netz kostenlos anbot - und damit
       55.000 US-Dollar mit Spenden, DVD-Verkäufen und Leihgebühren aus Kinos
       verdiente. Auch auf der Transmediale gab es diverse
       Urheberrechtsdiskussionen und Workshops, die zeigen, wie aktuell
       Urheberrechtsfragen gerade für Künstler sind.
       
       Auch Hyde hofft, dass seine Booksprints zukunftsweisend sind, dass er bald
       mit der von ihm entwickelten Software und Expertise Geld verdienen kann.
       Als Dienstleister für alle, die an einem unkomplizierten Wege zu einem
       inhaltlich sehr speziellen Buch sind. Zunächst will er aber noch etwas
       Neues probieren: einen Booksprint, bei dem ein Autorenteam in wenigen Tagen
       einen Roman schreiben soll. "Keine Chance, nicht in der kurzen Zeit", sagt
       sein Mitstreiter, der Kommunikationswissenschaftler Toner, haut leicht auf
       den Tisch im Berliner Transmediale-Café und beginnt, wild zu diskutieren.
       "Warte es einfach ab", antwortet Hyde.
       
       Das Buch [1]["Collaborative Future"]
       
       8 Feb 2010
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.booki.cc/collaborativefutures
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Meike Laaff
       
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