# taz.de -- Lesebühne mal ganz anders: Nicht lesen, performen!
       
       > Bücherbattles, Büchersprints – Bücher werden transmedial gedacht,
       > geschrieben und gelesen. Ein statisches Medium wird schnell, interaktiv
       > und leichter zugänglich.
       
 (IMG) Bild: Bücherbattler mit Requisiten: Mikro, Buch, Computer, Gras.
       
       Draußen rauscht auf Augenhöhe die Hochbahn vorbei, den Blick dorthin gibt
       die nach außen geneigte Fensterfront frei. Man fühlt sich wie in einem
       Raumschiff, wobei die Inneneinrichtung mit den dunkelroten Tapeten an eine
       Hotellounge der 50er Jahre erinnert. Eine Frau steht vorn an einem Tisch
       mit Leselampe.
       
       Zu Computerrhythmen performt sie singend und sprechend antike Verse: „Da wo
       Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“ Es geht um Odysseus und die
       Verlockungen der Sirenen. Vorgetragen nicht aus Homer, sondern aus Adornos
       „Die Dialektik der Aufklärung“.
       
       Die Odyssee dauert sieben Minuten. Dann verstummen die Rhythmen, der
       Moderator schaltet sich ein: „Danke, Vanessa!“ Das Publikum jubelt. Ein
       mutiger Beitrag in einem Klub am Kottbusser Tor, dem sozialen und
       kulturellen Epi-Zentrum Berlin-Kreuzbergs.
       
       Antike Mythen sind zwar Klassiker, aber doch schwere Kost am späten
       Mittwochabend bei einem Bücherbattle. Gerungen wird um die beste
       Buchvorstellung. Alles ist erlaubt, in sieben Minuten. Wer gewinnt,
       entscheidet am Ende das Publikum qua Applausstärke.
       
       Ein Bücherbattle ist die Verbindung von Literatursalon und Hip Hop-Battle,
       von Muße und Tempo. Vergilbte Seiten verwandeln sich in Performances und –
       möglicherweise schon bald – in ein digitales Gut. „Vielleicht gibt es
       zukünftig auch Audio-Files zum Anhören im Netz“, sagt Andreas Müller, der
       sich die Veranstaltung ausgedacht hat. Das alte, vermeintlich statische
       Medium Buch wird in einen neuen Aggregatzustand befördert. Vom Papier ins
       Netz, vom Einzelautor zum Kollektiv, vom Text zum Kontext.
       
       ## Nicht schreiben - kollaborieren und sprinten!
       
       „Die Zukunft des Buches ist open und collaborative“, postulierte der von
       Müller als Special Guest geladene Adam Hyde vor dem Battle auf der Bühne.
       Hyde stammt aus Neuseeland, er ist ein Opensource-Aktivist, der Buchsprints
       initiiert. Dafür hat er eine eigene freie Editing-Software entwickelt. Bei
       einem Buchsprint schreiben einige Personen gemeinsam in einer Zeitspanne
       von drei Stunden bis fünf Tagen ein Buch.
       
       Wichtig sei, so Hyde, dass sich vorher keiner der Schreiber Gedanken über
       das Buch gemacht hat. Alle Personen sind über das Internet verbunden und
       befinden sich dennoch an einem Ort, um direkt miteinander zu kommunizieren.
       Jeder findet sich in den wechselnden Rollen des Schreibenden, Redigierenden
       und des Layouters wieder. Das Endergebnis ist ein druckfähiges pdf. Für
       Hyde ist das Buch ein Prozess. Auch der klassische Einzelautor sei immer
       von seinem Leben und den Menschen darin inspiriert. Sie alle wirken am Buch
       mit.
       
       „Das Format Bücherbattle funktioniert auch ganz gut offline“, sagt Andreas
       Müller. Eine Sneak Preview im Kino stellte er sich vor, als er auf die Idee
       kam. Ein Trailer mit Best-Of-Szenen aus Büchern, aus der Not heraus: „Ich
       schaff das alles nicht zu lesen, was ich lesen will“, sagt Müller.
       
       ## Battlen mit Beschneidungsszenen
       
       Der Bücherbattle ist mehr als eine beschleunigte Variation der klassischen
       Lesebühne. Er spiegelt das, was im Netz passiert. Der User, der im Netz den
       Like-Button drückt, darf hier im Publikum applaudieren und johlen. Der
       Nutzer, der im Netz einen Text kommentiert und verlinkt, ist der, der beim
       Battle das Buch vorstellt.
       
       Jeder Battle-Teilnehmer erzählt zu seinem Buch eine kleine persönliche
       Geschichte: warum er sich das Buch gekauft, unter welchen Umständen er es
       gelesen und was er daraus gelernt hat. So liest eine Teilnehmerin aus dem
       ungeahnt aktuellen Forscherbericht über die Beschneidung junger männlicher
       Aborigines aus einem wissenschaftlichen Buch der 60er Jahre mit dem Titel
       „Liebesleben der Naturvölker.“
       
       Am Ende gewinnt den Battle nicht die originellste Performance, sondern eine
       gut ausgesuchte, einfach vorgelesene Passage aus dem Buch, das vermutlich
       dem größten Teil des Publikums bekannt war: Sven Regeners Roman „Neue Vahr
       Süd“ und der verunglückte Sprung des Frank Lehmann über die Hecke.
       
       Der nächste Bücherbattle findet am 26.September 2012 um 20 Uhr im "Monarch"
       statt, Skalitzer Str. 134, Berlin-Kreuzberg. Info:
       [1][www.buecherbattle.de]
       
       27 Jul 2012
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.buecherbattle.de/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Nancy Waldmann
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Jochen Schmidt
       
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       "Kollaboration".