# taz.de -- Kolumne Thinktanks: Im Geiste des Panzers
       
       > Das rot-grün-rote Institut Solidarische Moderne hat das Format Thinktank
       > unter veränderten Vorzeichen auf die Agenda gesetzt. Was ein Thinktank
       > ist - und was nicht.
       
 (IMG) Bild: "Tank" bedeutet, übersetzt aus dem Englischen, auch "Panzer".
       
       Und wieder einmal sind die Parteien schuld. Statt von einer am Gemeinwohl
       orientierten Koalition würden wir von den Partikularinteressen von CDU, CSU
       und FDP regiert, so die Klage der Kommentatoren. Doch wie authentisch und
       ursprünglich sind diese angeblichen Egoismen eigentlich? Aufgrund welcher
       Ratschläge "positionieren" sich die Parteistrategen, wer versorgt sie mit
       ideologischem Stoff? Ist das nicht der Job der sogenannten Thinktanks?
       
       Könnte man meinen. Weil deren Personal aber selten zu sehen ist - weder
       handelt es sich um die subtil nach vorne gebeugten Souffleure in der
       zweiten Reihe noch um die Verfasser sogenannter "Sprechzettel" -, geben sie
       Anlass zu verschwörungstheoretischen Projektionen. Während der Bush-Ära war
       oft vom militärisch-politischen Einfluss der "neokonservativen Thinktanks"
       die Rede, und manch einer hält hierzulande die Initiative Neue Soziale
       Marktwirtschaft für die Einflüsterer der FDP-"Steuern runter!"-Propaganda.
       Überhaupt stellt man sich unter Thinktanks eher rechts angesiedelte
       Umschlagplätze für Herrschaftswissen vor.
       
       Jedoch hat das rot-grün-rote Institut Solidarische Moderne, dessen Vorstand
       sich kürzlich das erste Mal traf, das Format Thinktank unter veränderten
       Vorzeichen auf die Agenda gesetzt - schließlich wollen deren Gründer die
       "Hegemonie des Neoliberalismus" brechen. Da trifft es sich gut, dass bei
       dem rührigen Diskursverlag diaphanes gerade ein handlicher, kleiner Reader
       über Thinktanks erschienen ist, Untertitel: "Die Beratung der
       Gesellschaft".
       
       So politisch unheimlich, weil unfassbar Thinktanks sein mögen: Die
       Herausgeber Thomas Brandstetter, Claus Pias und Sebastian Vehlken verpassen
       ihnen ein geradezu utopisch anmutendes Image. Thinktanks fungierten als
       "Medium der Zeitverzögerung" und "Reservoirs von Anachronismen". Ja, sie
       könnten sogar "Orte subversiver Taktiken" sein, schließlich entstehe hier
       ein "interventionistisches Wissen". Nicht nur wegen des militärischen
       Ursprungs der Thinktanks, auch angesichts der arg angestaubten deutschen
       Thinktank-Landschaft, in der neben der Initiative Neue Soziale
       Marktwirtschaft Organisationen wie die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige
       Politik oder der Bürgerkonvent Politik beraten wollen, klingt die
       "Epistemologie der Beratung" der diaphanes-Autoren reichlich euphemistisch,
       ja fast haltlos euphorisch.
       
       Und je weiter man in dem Bändchen liest, desto mehr kommt es einem so vor,
       als könnten Thinktanks zu realpolitischen Relaisstationen für die
       avancierte politische Theoriebildung von Denkern wie Alain Badiou, Giorgio
       Agamben oder Jacques Ranciere umgedeutet werden. In den
       diskurstheoretischen Analysen und historischen Untersuchungen werden sie
       als schillernde Möglichkeitsräume beschrieben, als Orte, an denen das
       politisch ganz Andere vorbereitet werden könnte. Hatte nicht schon Herman
       Kahn, der legendäre Mitgründer des Hudson-Instituts, in den Sechzigerjahren
       vom "Denken des Undenkbaren" gesprochen, das in Thinktanks stattfinde?
       
       Darüber hinaus wurden dort offenbar frühzeitig "flache Hierarchien"
       erprobt. In einem Abschnitt über die RAND Corporation, den 1946 zur
       Beratung der Streitkräfte der USA gegründeten Urtypus des modernen
       Thinktanks, heißt es über die alltägliche Arbeit im Tank: "Sie verband sich
       mit einer besonderen akademischen Lebensform, zu der offene Bürotüren,
       avantgardistische Kunst, Meetings auf dem Fußboden, stillschweigend
       tolerierte Homosexualität, exzentrische Hobby oder selbst eine
       trotzkistische Vergangenheit gehörten."
       
       War der erste Thinktank also postfordistisch avant la lettre? Was die
       Autoren des Buchs nicht sagen: Die Atmosphäre bei der RAND Corporation
       deutet an, dass die postfordistische Zwanglosigkeit im Kontext des
       Militärischen entstanden ist, Individualisierung und neue Freiheiten also
       ursprünglich mit dem Kommando verbunden sind. Die Geburt der neoliberalen
       Regierungstechniken aus dem Geiste des Panzers/Tanks: Da muss es nicht
       wundern, dass der Appell zu Eigenverantwortung und Selbstbestimmung heute
       oft genug als Disziplinarmaßnahme erfahren wird.
       
       Umso seltsamer, dass diese ambivalente Genealogie in der beliebten
       deutschen Übersetzung von Thinktank zur "Denkfabrik" vereindeutigt wird.
       Auch die Gründer des Instituts für Solidarische Moderne hantieren in
       Interviews mit diesem Begriff. Dabei klingt das kein bisschen nach
       kreativer Abhängökonomie, sondern viel eher nach klassischer
       Charlie-Chaplin-Moderne, nach Ideenproduktion am Fließband und
       Brainstorming nach der Stechuhr. Aber vielleicht verrät genau das ja etwas
       über die Realität des zeitgenössischen Kreativarbeiters?
       
       9 Mar 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Aram Lintzel
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Kolumne Bestellen und versenden: Endlich kastriert: Mängelwesen Mann
       
       Der Männlichkeitswahn kommt als Männerkrise wieder. Die Folgen: Eine
       Dauerproblematisierung von Männern, Vätern und Jungs und eine Unmenge an
       Literatur dazu.
       
 (DIR) Debatte Musikfeuilleton: Pop ist tot, es lebe der Pop
       
       Manche Enden sind endlos, Kritik, Ideologie, Postmoderne etc. sind im
       Feuilletondiskurs schon unzählige Male für tot erklärt worden. Jetzt war
       mal wieder der Pop dran.