# taz.de -- Kolumne Bestellen und versenden: Endlich kastriert: Mängelwesen Mann
       
       > Der Männlichkeitswahn kommt als Männerkrise wieder. Die Folgen: Eine
       > Dauerproblematisierung von Männern, Vätern und Jungs und eine Unmenge an
       > Literatur dazu.
       
       Wohl wegen des matriarchalischen Milieus, in dem ich aufwuchs, befand sich
       in der siebten Klasse auf meinem Mäppchen ein Button mit dem Slogan "Runter
       mit dem Männlichkeitswahn!". Eine Weile schien es, als hätte sich diese
       antisexistische und protofeministische Forderung historisch erfüllt.
       
       Gerade in diesen Wochen ist allerdings nicht zu übersehen, dass der
       Männlichkeitswahn als Männlichkeitskrise wiederkehrt und die
       Dauerproblematisierung von Männern, Vätern und Jungs selbst wahnhafte Züge
       annimmt.
       
       Die gute alte Midlife Crisis scheint sich biografisch entgrenzt zu haben,
       persönliche Larmoyanz und öffentliche Krisendiagnose dürften sich dabei
       wechselseitig verstärken.
       
       Eine Unzahl von Publikationen widmet sich jedenfalls rechtzeitig zur
       Herbstbuchmesse dem Mängelwesen Mann. Die Häufung von Büchern mit der
       entsprechenden Geschlechtsangabe im Titel ist augenfällig:
       
       "Sprechende Männer: Das ehrlichste Buch der Welt", "Die Männer-Bibel:
       Meditationen auf dem Weg zur Freiheit", "Alles, was ein Mann können muss:
       Das Buch für alle Fälle", "Mann sein für Anfänger", "Neue Männer - muss das
       sein?" usw. Vorboten dieser Konjunktur waren vor einigen Wochen ein
       Männerheft des Süddeutsche Zeitung-Magazins und ein Väterheft des
       Zeit-Magazins.
       
       "Der Mann von heute muss sich gefallen lassen, dass er infrage gestellt
       wird", hieß es im Editorial des SZ-Magazins, während Zeit-Magazin-Autor
       Matthias Kalle bei den neuen Vätern "Geschichten voller Selbstzweifel" und
       "Hilflosigkeit" vernahm.
       
       ## Kleiner Mann
       
       Problem, Problem: Kleiner Mann - was tun? Natürlich führt kein Weg zurück,
       weder zu einem regressiven, noch zu einem aufgeklärten Patriarchat. Der
       neue Männer/Väter-Diskurs bewegt sich auf dem Boden der Emanzipation, mehr
       oder weniger versteckt bringt er aber ein Leiden an den modernen Freiheiten
       zum Ausdruck: Wäre es nicht schön, wenn wieder alles geordnet wäre?
       
       Die Sehnsucht nach klaren Konturen und Kompetenzen ist unüberhörbar, wenn
       etwa Matthias Kalle schreibt: "Mütter regulieren die Gefühlswelt der
       Kinder, Väter ermutigen."
       
       Zwanghaft ironisiert wird die ersehnte Eindeutigkeit in Büchern wie "Alles,
       was ein Mann können muss" von Oliver Kuhn. Darin gibt es Tipps für den
       "weltgewandten Mann", den "Gentleman" oder auch den Mann, der "kämpfen und
       siegen" will.
       
       Ernster meint es das SZ-Magazin, wenn es prominente und semiprominente
       Frauen und Männer die Kernkompetenzen des neuen Vaters erklären lässt:
       Fahrradfahren beibringen, Bestrafen und Loben, bei der Studienwahl beraten
       etc.
       
       ## Dikriminierungen und Zuteilungen
       
       Was den neuen Männerdiskurs im Innersten zusammenhält, ist die Suche nach
       Entlastung für den angeblich verunsicherten und überforderten Mann.
       Wohlfeil wird die Veränderung der Rollenbilder anerkannt, um dann vom
       Mannsein zu retten, was zu retten ist. Ideologisch forsch versuchen das
       Matthias Franz und André Karger in dem gerade erschienenen Reader "Neue
       Männer - muss das sein?".
       
       Obwohl es sich bei den Herausgebern keineswegs um fundamentalistische
       Männerrechtler handelt, beschweren sie sich im Vorwort über "vielfältige
       Diskriminierungen" und "diffamatorische Zuteilungen".
       
       Zugleich legen sie den heterosexistischen Kern aktueller Männerbilder
       offen: Den Jungs und Männern würden ihre "aggressiven Impulse" durch ein
       "Erziehungsmatriarchat" gewissermaßen abtrainiert, was nicht zuletzt
       sexuelle Unsicherheit zur Folge habe.
       
       Gegen diese Erziehung zum Weicheiertum hilft offenbar nur die
       Renaturalisierung von Geschlechterrollen - jeder Identitätswandel stößt
       nach dieser Logik auf natürliche Grenzen.
       
       ## Historische Täterrolle
       
       Abgesichert wird diese Argumentation mit verschwurbelten Theorie-Eskapaden:
       "Jenseits der gängigen Zuschreibungen der dichotomen Kategorien von Täter
       und Opfer ist der neue Mann einer, der sich reflexiv zu seiner gewordenen
       historischen Täterrolle verhält und diese auf seine primäre Opferhaftigkeit
       zu beziehen vermag.
       
       Im vorgängigen Riss der Existenz finden die Geschlechter ihren gemeinsamen
       spannungsreichen Nicht-Grund und entdecken ihre je eigene Verantwortung."
       
       Primäre Opferhaftigkeit?! Einfacher sagt es Walter Hollstein, der in seinem
       Beitrag zu dem Band sinngemäß behauptet, dass das "männliche Prinzip" (!)
       von fiesen Feministinnen und flexiblen Karrierefrauen unterminiert würde,
       was bei den Männern "Selbsthass und Schuldgefühle" verursache.
       
       Mit anderen Worten: Der neue, immer noch weiße und heterosexuelle
       Krisenmann ist das Ergebnis einer schmerzvollen Kastration und deswegen auf
       der rastlosen Suche nach Vollständigkeit. Da der ganze Mann aber
       unerreichbar bleiben muss, werden wohl auch in Zukunft noch ganz viele neue
       Männerbücher erscheinen.
       
       10 Oct 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Aram Lintzel
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Männerrechtler auf dem Kreuzzug: Harte Kerlchen
       
       Eine antifeministische Bewegung versucht, ihre KritikerInnen mit Klagen
       ruhigzustellen. Vor Gericht zieht sie meist den Kürzeren.
       
 (DIR) Der Buchmessen-Blog: Auf nach Frankfurt
       
       taz-Autor Detlef Kuhlbrodt war schon in den 1980er Jahren als
       Standmitarbeiter auf der Frankurter Buchmesse. Ab Mittwoch wird er von dort
       bloggen.
       
 (DIR) Kolumne Bestellen und Versenden: Der romantische Konjunktiv
       
       Hans Magnus Enzensberger, der Daniel Düsentrieb des Kulturbetriebs: Es gibt
       gerade eine Art Enzensberger-Offensive – und man begegnet ihm mit Milde.
       
 (DIR) Kolumne Bestellen und Versenden: Generalverdacht der Antideutschen
       
       Die Antideutschen haben bei den Linksradikalen an Einfluss verloren.
       Spätestens jetzt zur Fußball-WM wird die antideutsche Option aber wieder
       hinreichend Resonanz finden.
       
 (DIR) Kolumne Zuviel-Schreiberei: Das Dath-Kontinuum
       
       Dietmar Dath ist ein manischer Vielschreiber. Da gehen Entgleisungen wie
       die in "Maschinenwinter. Wissen, Technik, Sozialismus" auch mal unter.
       
 (DIR) Kolumne Thinktanks: Im Geiste des Panzers
       
       Das rot-grün-rote Institut Solidarische Moderne hat das Format Thinktank
       unter veränderten Vorzeichen auf die Agenda gesetzt. Was ein Thinktank ist
       - und was nicht.
       
 (DIR) Kolumne Bestellen und versenden: Halbierte Neokons
       
       Schwarz-gelb kommt so verspätet wie einst rot-gelb. Und auch die erste
       Angstattacke war schnell verflogen.