# taz.de -- Missbrauchs-Skandale: Ministerien ringen um Runden Tisch
> Im Skandal um sexuellen Missbrauch an katholischen Einrichtungen streiten
> Justizministerium und Familienministerium um die Durchführung eines
> Runden Tisches. Weitere Fälle kommen an die Öffentlichkeit.
(IMG) Bild: Auch Regensburger Domspatzen betroffen: Der Missbrauchsskandal zieht weite Kreise.
BERLIN apn/dpa/rtr/taz | Das FDP-geführte Bundesjustizministerium beharrt
im Skandal um sexuellen Missbrauch an katholischen Einrichtungen auf einem
eigenen Runden Tisch. Das von den CDU-Ministerinnen Kristina Schröder und
Annette Schavan einberufene Gremium ersetze nicht das Vorhaben des
Justizministeriums zu einem Runden Tisch mit Vertretern der Kirche und den
Betroffenen, um die Missbrauchsfälle aufzuarbeiten, sagte der
parlamentarische Staatssekretär im Justizministerium, Max Stadler (FDP),
der "Berliner Zeitung". In dieser Runde müsse geklärt werden, ob die Opfer
eine finanzielle Entschädigung erhalten. Zudem müssten alle Themen
besprochen werden, die die Justiz betreffen, sagte Stadler.
Dazu zähle die Frage, inwieweit staatliche Behörden von der katholischen
Kirche bei Verdachtsfällen eingeschaltet würden. Der FDP-Politiker
plädierte zudem für längere Verjährungsfristen für die Entschädigung von
Missbrauchsopfern, die derzeit drei Jahre beträgt. Diese Frist sei zu kurz.
"Das Bundesjustizministerium strebt eine Verlängerung der zivilrechtlichen
Verjährung an", sagte der parlamentarische Staatssekretär.
Familienministerin Schröder und Bildungsministerin Schavan hatten am Montag
erklärt, einen Runden Tisch einzurichten, an dem unter anderen Vertreter
der Familienverbände, von Schulen und Internaten sowie Kirchen teilnehmen
sollen. Das Gremium soll sich unter anderem damit beschäftigen, welche
Hilfe Opfer benötigen und wie Prävention möglich ist.
Eine Teilnahme zugesagt hatte auch die Deutsche Bischofskonferenz. Noch
Ende Februar hatte deren Vorsitzender Robert Zollitsch jedoch den Vorschlag
von Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger für einen Runden
Tisch abgelehnt. Ein "staatlicher" Tisch hätte "wenig Sinn", hatte er
erklärt.
Immer mehr Verdachtsfälle
In Deutschland werden indes immer mehr Verdachtsfälle auf sexuellen
Missbrauch von Kindern und Jugendlichen bekannt. Die Leipziger Volkszeitung
berichtet von einem ersten Fall in Sachsen. Nach Angaben eines ehemaligen
Bewohners des Eilenburger Ernst-Schneller-Heims für sogenannte
erziehungsauffällige Kinder ist es dort in den Jahren 1970 bis 1980 täglich
zu sexuellen Übergriffen gekommen. So hätten sich die Kinder zum Beispiel
nackt ausziehen und zum Duschraum laufen müssen. Dabei seien einzelne
Kinder geschlagen und auch teilweise im Intimbereich berührt worden.
Nach der Wiedervereinigung hatte die Caritas das Heim 1994 übernommen. Der
heutige Leiter sagte der Zeitung, er könne die aktuellen Vorwürfe nicht
ausschließen, und erklärte sich bereit, für eventuelle Opfer zur Verfügung
zu stehen.
Auch im hessischen Hofheim gibt es in einem Caritas-Kinderheim Vorwürfe des
sexuellen Missbrauchs und der Kindesmisshandlung. Beim Caritasverband
Frankfurt, der Träger des Heims Vincenzhaus ist, meldeten sich drei
ehemalige Heimkinder, die den Vorwurf erheben, in den 50er und 60er Jahren
misshandelt und missbraucht worden zu sein, wie die Caritas am Mittwoch
mitteilte. Es sei inzwischen klar, dass es sich nicht um einen Einzelfall
handele, sagte Sprecherin Christine Hartmann-Vogel
Im Bistum Mainz besteht der Verdacht, dass es in einem ehemaligen Konvikt
in Bensheim zu Missbrauch gekommen ist. Bis zum Ende der 70er Jahre soll es
Misshandlungen und Übergriffe durch zwei Täter gegeben haben, wie das
Bistum am Mittwoch mitteilte. Im Raum steht demnach der Verdacht des
sexuellen Missbrauchs durch einen früheren Leiter der Einrichtung, der 1979
aus dem Dienst des Bistums ausschied. Jugendliche sollen zudem wegen
"nichtiger Anlässe massiv geprügelt" worden sein.
Die Zahl der Missbrauchsopfer im katholischen Kinderheim "Vinzenzwerk" in
Münster ist weiter gestiegen. "Es haben sich weitere Opfer telefonisch
gemeldet", sagte die Heimleiterin Mechtild Knüwer. Die ehemaligen Bewohner
wollten jedoch nicht an die Öffentlichkeit gehen oder sich bei der Polizei
melden. Die Fälle hätten sich in den 50er und 60er Jahren ereignet.
Auch am Alosiuskolleg in Bad Godesberg rechnet man mit Bekanntwerden
weiterer Missbrauchsfälle. Anfang Februar waren Vorwürfe von 30 ehemaligen
Schülern bekannt geworden. Seitdem seien ehemalige Jahrgänge der 1950er und
1960er Jahre angeschrieben worden und es sei mit Rückmeldungen zu rechnen,
erklärte das Kolleg in einem Zwischenbericht am Dienstag. Fünf der
beschuldigten Patres seien inzwischen verstorben, ein 82-Jähriger lebe
heute demenzkrank in einem Pflegeheim.
Familienministerin Schröder will neues Kinderschutzgesetz
Bundesfamilienministerin Schröder kündigte zudem an, mit schärferen
Auflagen bei der Anstellung von Erziehern Kinder besser vor Missbrauch
schützen zu wollen. Derzeit werde ein neues Kinderschutzgesetz erarbeitet,
nach dem Jugendämter oder freie Träger von Bewerbern ein erweitertes
Führungszeugnis verlangen könnten, sagte die CDU-Politikerin dem
"Wiesbadener Kurier" vom Mittwoch. "Denn leider wissen wir, dass sich Täter
ganz gezielt Berufe aussuchen, in denen sie mit Kindern arbeiten können",
sagte die Ministerin zur Begründung. Darüber hinaus müssten alle Fachkräfte
und Eltern sensibilisiert werden, um möglichem Missbrauch rechtzeitig
vorbeugen oder Missbrauchsfälle schneller erkennen zu können.
Für den Herbst kündigte die Ministerin einen Aktionsplan zum Schutz von
Kindern vor sexueller Gewalt und Ausbeutung an. Darin seien ihr Schutz auch
im Internet, eine bessere Unterstützung der Opfer sowie "eine optimierte
Arbeit mit den Tätern" vorgesehen.
Schröder nimmt katholische Kirche in Schutz
Die CDU-Politikerin nahm die katholische Kirche gegen Vorwürfe in Schutz,
die Aufarbeitung von Skandalen um sexuellen Missbrauch in ihren
Einrichtungen zu behindern. "Ich habe den Eindruck, dass sich die
katholische Kirche heute sehr um Aufklärung bemüht", sagte Schröder. Zudem
sei es falsch, eine Institution herauszugreifen und an den Pranger zu
stellen. Misshandlungen und Missbrauch, Fehler im Umgang mit den Tätern
oder unterlassene Hilfe für die Opfer seien leider nicht nur in kirchlichen
Einrichtungen zu beklagen.
Am Vortag hatte sich auch der Vatikan gegen entsprechende Vorhaltungen von
Bundesjustizministern Sabine Leutheusser-Schnarrenberger verwahrt. Die
deutsche Bischofskonferenz habe entschieden auf alle Missbrauchsfälle
reagiert und dabei die Interessen der Opfer in den Vordergrund gestellt,
sagte Vatikan-Sprecher Federico Lombardi.
Am Freitag wird der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Erzbischof Robert
Zollitsch, zu Gesprächen bei Papst Benedikt XVI. erwartet, in deren
Mittelpunkt die Missbrauchs-Skandale stehen dürften. Auch der Bruder des
Papstes, Georg Ratzinger, hat Gewalt gegen Chorknaben der ihm unterstellten
Regensburger Domspatzen zugegeben, nach eigenen Angaben von sexuellem
Missbrauch aber nichts gewusst.
10 Mar 2010
## ARTIKEL ZUM THEMA
(DIR) Missbrauchsskandel Odenwaldschule: "Verstörend und unheimlich"
Die Stimmung in der hessischen Odenwaldschule ist aufgewühlt. Doch die
Lehrer trauen der Leiterin zu, den sexuellen Missbrauch an Schülern radikal
aufzuklären.
(DIR) Missbrauch an Internaten: Erstmals auch Nonnen beschuldigt
Weitere Fälle von sexuellem Missbrauch. Politik und Institutionen
diskutieren über Verjährung, Entschädigung und Aufarbeitung. In den
Niederlanden sind erstmals auch Nonnen beschuldigt.
(DIR) Sexueller Missbrauch an Schülern: Internatsschulen planen Krisentreffen
Nach der Entdeckung neuer Fälle stellen Pädagogen das "System
Internatsschule" in Frage. In der Odenwaldschule wird über den Charakter
der baldigen 100-Jahr-Feier nachgedacht.
(DIR) Kolumne jüdische Geistliche: Orthodoxie und sexuelle Verfehlung
Trunkene Bischöfin, pädophiler Priester, islamistischer Terrorist ... und
schwuler Rabbi. Auch im Judentum kennt man Wollust-Skandale. Die haben viel
mit Männerbünden zu tun.