# taz.de -- Biograf über "Jahrhundertreporter": "Er war ein Künstler"
       
       > Eine Biografie über den Journalisten Ryszard Kapuscinski schockt Polen:
       > Der "Jahrhundertreporter" ging frei mit den Fakten um. Sein Biograf
       > Domoslawski zerstört eine Legende - und verteidigt sie.
       
 (IMG) Bild: Damals hatte er noch kein Glaubwürdigkeitsproblem: Ryszard Kapuscinski im Juni 1989 zwischen Kämpfern in Angola
       
       taz: Herr Domoslawski, mit Ihrer Biografie "Kapuscinski - Non-fiction"
       zerstören Sie die Legende des "Jahrhundertreporters" Ryszard Kapuscinski.
       War das Ihre Absicht? 
       
       Artur Domoslawski: Nein. Am Anfang stand einfach nur Neugierde. Kapuscinski
       und ich - wir kannten uns gut. In den letzten zehn Jahren seines Lebens war
       ich oft bei ihm zu Hause. Wir sprachen über unsere gemeinsame Leidenschaft
       - Lateinamerika, und über Reisepläne. Kapuscisnki faszinierte mich als
       Mensch und als Reporter. Nach seinem Tod wollte ich ihn noch besser
       kennenlernen, seinen Weg verfolgen und das Geheimnis seines Ruhms
       begreifen.
       
       Um ihn dann zu zerstören? 
       
       Mir war schon zu seinen Lebzeiten aufgefallen, dass in Polen ein Idealbild
       von Kapuscinski entstanden war, das kaum etwas mit ihm zu tun hatte. So
       blieb er auch nach dem Fall des Kommunismus ein überzeugter Linker,
       kritisierte den Kapitalismus und erst recht den Neoliberalismus. Da das dem
       Mainstream in Polen widersprach, ignorierten seine Leser das einfach.
       Kapuscinski war übrigens auch gegen den Krieg im Irak und forderte eine
       genaue Ursachenanalyse des Terroranschlags auf das World Trade Center 2001
       in New York. Während des Irakkriegs kritisierte er dann die Medien als viel
       zu laute Kriegstrommeln. Das Interview führte damals ich mit ihm. Mich
       interessierte dieser wahre Kapuscinski hinter der Legende des
       Jahrhundertreporters.
       
       Nun ist aber der Mythos vom weltberühmten Reporter zerstört. War
       Kapuscinski ein Lügner oder ein Hochstapler? 
       
       Weder noch. Er war ein Schriftsteller. Sicher hat er zunächst als
       Korrespondent für die Polnische Presseagentur gearbeitet. Aber in den
       Büchern, die er später über die Reisen durch Afrika, Südamerika und die
       Sowjetunion schrieb, überschritt er die Grenze zur Schriftstellerei. Er war
       ein Künstler. Er liebte es, zu experimentieren. In seinen "literarischen
       Reportagen" erfand er Anekdoten, Nebenschauplätze oder Figuren.
       Schriftsteller dürfen das.
       
       Warum wurde er dann in all den Jahren "Reporter" genannt? Hatte denn
       niemand zuvor seine Geschichten überprüft? 
       
       Nein. Jedenfalls nicht in Polen.
       
       Warum nicht? 
       
       Kapuscinski war bereits zu Lebzeiten ein Mythos. Kritik an der einen oder
       anderen Unstimmigkeit hätte wie Erbsenzählerei gewirkt. Sicher gab es schon
       zu Lebzeiten Kapuscinskis Gerüchte, dass er es mit der Faktentreue nicht
       allzu genau nahm, aber das ganze Ausmaß habe wohl ich erst entdeckt. Mich
       hat das zunächst auch verstört, denn wir diskutierten in den letzten Jahren
       immer wieder über unsere gemeinsame Leidenschaft für Lateinamerika. Als
       Reisende und Reporter und wie mir schien, auch als Meister und Schüler.
       
       Kapuscinski hat aber auch eine Legende über seinen Vater erfunden. Wozu? 
       
       Die Legenden folgen keinem einheitlichen Muster. Beim Vater, der angeblich
       im Zweiten Weltkrieg aus sowjetischer Gefangenschaft hatte fliehen können
       und so dem sicheren Tod in den Wäldern von Katyn entging, handelte es sich
       offensichtlich um ein Schutzschild. Er sollte Kapuscinski vor der
       polnischen Rechten schützen. Deren erniedrigende Attacken gegen
       Altkommunisten erlebte Kapuscinski bei seinen Freunden.
       
       Und wie war das mit der Che-Guevara-Legende? 
       
       Diese Legende diente seinem Ruhm. Auf den Klappentexten seiner Bücher
       stand, dass Kapuscinski den kubanischen Revolutionshelden persönlich
       kannte. Kapuscinski selbst hat das nie behauptet, den Fehler aber auch
       nicht korrigiert. Diese Legende sollte wohl auch seine Glaubwürdigkeit als
       Lateinamerika-Kenner erhöhen.
       
       Vielleicht wäre es besser gewesen, man hätte ihm den Titel
       "Reiseschriftsteller des zwanzigsten Jahrhunderts" zuerkannt? 
       
       Sicher erhöht der Titel "Schriftsteller" seinen Rang als Autor. Aber noch
       fällt es mir schwer, mich vom "Reporter" Kapuscinski zu lösen. Ich bin mit
       diesem Reportermythos groß geworden. Es würde auch bedeuten, dass wir,
       seine Zeitgenossen, einen Fehler zugeben müssten - den Fehler, ihn auf den
       Podest des "Jahrhundertreporters" gehoben zu haben. Das ist bitter und tut
       weh. Wir müssten ihn nun wieder von diesem Denkmal herunterholen.
       
       Kapuscinskis Witwe ist gegen Ihr Buch gerichtlich vorgegangen. Sie wollte
       sein Erscheinen verhindern. Was stört sie so? 
       
       Sie erwartete offensichtlich, dass ich den Reportermythos bestätige und
       keine kontroversen Themen anspreche. Ich wollte aber nie über die Rezeption
       seiner Bücher im Ausland schreiben, sondern eine Biografie. Hätte ich etwas
       verschweigen sollen, um den Mythos zu retten? Mir war der Mensch
       Kapuscinski wichtig. Mit all seinen Stärken und Schwächen. Kapuscinski war
       kein Heiliger. Aber wer sagt, dass er das sein musste?
       
       Wladyslaw Bartoszewski, Polens ehemaliger Außenminister, vergleicht Ihr
       Buch mit einem Bordellführer. 
       
       Ich erwähne in meiner Biografie kein einziges Bordell. Das Kapitel über
       Kapuscinskis Liebesleben ist eines der kürzesten. Zehn Seiten von rund 600.
       Dieser Vorwurf fällt auf Bartoszewski zurück. Er beleidigt Kapuscinski,
       nicht mich. Ich weiß nicht, warum er dies tut. Wahrscheinlich hat er das
       Buch nicht mal in der Hand gehabt.
       
       Jüngere Polen wie der Schriftsteller Andrzej Stasiuk loben die Biografie.
       Haben wir es mit einem Generationenkonflikt zu tun? 
       
       Auf den ersten Blick wirkt die Diskussion so. Wichtiger aber scheint das
       Wissen um die Vergangenheit zu sein. Im Kommunismus musste man lügen, um
       die Wahrheit sagen zu können.
       
       Wie meinen Sie das? 
       
       Als Kapuscinski das Buch "König der Könige" schrieb, publizierte er die
       einzelnen Kapitel in der Wochenzeitung Kultura als Fortsetzungsbericht
       unter dem seltsamen Titel "Ein bisschen Äthiopien". Damals lasen fast alle
       diesen Text als Allegorie des kommunistischen Systems in Polen. Der
       äthiopische Kaiser Haile Selassie schien eigentlich Polens Parteichef
       Edward Gierek zu sein, die Hofschranzen in Äthiopien die ZK-Mitglieder in
       Polen. Hätte Kapuscinski damals zugegeben, dass sein Text auch nur
       teilweise fiktional war, hätte die Zensur ihn kassiert. Denn damit wäre
       klar gewesen, dass es sich in Wirklichkeit um eine Allegorie des Systems in
       Polen handelte.
       
       Wie wurde dieses Buch denn im Westen gelesen? 
       
       Als es 1983 in den USA erschien, wurde das Buch als großartige Reportage
       rezipiert, also als Tatsachenbericht. Dass sich die äthiopischen
       Hofschranzen völlig untypisch der Sprache des Barocks bedienten, ging bei
       der Übersetzung verloren. Gebildete Polen konnten aber Sätze aus den Werken
       des polnischen Nationaldichters Adam Mickiewicz erkennen. "König der
       Könige" ist ein eindeutig literarisches Werk.
       
       Pinkelte das Hündchen von Haile Selassie tatsächlich den Untertanen auf die
       Schuhe? 
       
       Das Hündchen gab es, die Geschichte aber war erfunden. Es ist möglich, dass
       sie auf einem Gerücht basierte. Der Hof war hermetisch abgeriegelt, es
       drang nichts nach außen. Der Historiker Harold Marcus sagt, dass die
       Geschichte aufgrund der Rolle, die ein Hund in der äthiopischen Kultur
       spielt, völlig undenkbar ist. Sich von einem Hund bepinkeln zu lassen, wäre
       einer unglaublichen Erniedrigung gleichgekommen. Ein äthiopischer
       Literaturprofessor hingegen meinte, dass dies möglich war. Wahr oder
       unwahr? Als literarische Metapher ist die Geschichte sicher wahr. Sie sagt
       viel über die Verhältnisse am Hof von Haile Selassie aus.
       
       Die polnische Reportageschule ist durch Ryszard Kapuscinski weltberühmt
       geworden. Ist es damit nun vorbei? 
       
       Das ist tatsächlich ein ernstes Problem. Wir müssen in Polen von neuem
       diskutieren, was eigentlich eine Reportage von einer Erzählung
       unterscheidet. Bei der literarischen Reportage haben sich im Lauf der Zeit
       die Grenzen hin zur Belletristik verschoben. Die "schöne Geschichte" hat
       die Oberhand gewonnen über die Fakten. Das darf natürlich nicht sein. Der
       Journalist ist der Wahrheit verpflichtet. Das Buch löste einen Schock aus:
       Unser großes Vorbild, der Jahrhundertreporter Kapuscinski, war in
       Wirklichkeit ein Schriftsteller. Das nimmt ihm nichts von seinem Ruhm. Nur
       für uns Journalisten in Polen beginnt nun eine neue Epoche. Ohne
       Kapuscinski.
       
       11 Mar 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gabriele Lesser
 (DIR) Gabriele Lesser
       
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