# taz.de -- Kapuscinskis-Skandal-Biografie: Dichtung und Wahrheit in Polen
       
       > Der polnische Journalist Kapuscinki war bekannt für seine literarischen
       > Reportagen. Nun kratzt ein ehemaliger Kollege mit der skandalösen
       > Biografie "Kapuscinski - Non fiction" an seinem Ruf.
       
 (IMG) Bild: Alles selbst erlebt? Ryszard Kapuscinski, 1986.
       
       Ryszard Kapuscinski war ein Meistererzähler. Die literarischen Reportagen
       des Polen faszinieren bis heute. Doch darf ein Journalist lügen, um so
       einer übergeordneten Wahrheit zum Sieg zu verhelfen? Darf er Personen und
       Orte erfinden, um seine Reportage in eine Allegorie der Macht zu
       verwandeln? In Polen haben diese Fragen einen Skandal ausgelöst, galt
       Kapuscinski doch als "Jahrhundertreporter". Doch Artur Domoslawski, auch er
       ein renommierter Journalist, sagt nun in seiner Biografie "Kapuscinski -
       Non fiction", dass der Reporter der Wahrheit verpflichtet sei, der
       Schriftsteller hingegen nicht. Kapuscinski sei ein Schriftsteller gewesen.
       
       Schon vor seinem Erscheinen hat das Buch in Polen eine erbitterte Debatte
       ausgelöst. Dabei bezweifelt niemand, dass die von Domoslawski zu Tage
       geförderten Fakten nicht stimmen könnten. Kapuscinski hat mit der
       polnischen Stasi zusammengearbeitet, war lange Zeit ein überzeugter
       Kommunist, ging in Zeiten der Zensur und der Reiseverbote viele Kompromisse
       mit der Macht ein, um als Auslandskorrespondent der Polnischen
       Presseagentur arbeiten zu dürfen. Er war privilegiert. Das hatte seinen
       Preis. Domoslawski reiste aber auch den Reportagen Kapuscinskis hinterher,
       fuhr nach Lateinamerika und Afrika, sprach mit den Menschen, die in
       Kapuscinskis Büchern eine wichtige Rolle spielen. Wenn diese dann immer
       wieder die preisgekrönten Reportagen als "Märchen aus Tausendundeiner
       Nacht" bezeichnen, stellt sich unweigerlich das Gefühl des
       Betrogenwordenseins ein.
       
       Dagegen ist Kapuscinskis Witwe Sturm gelaufen. Und gegen die Passagen über
       das Privatleben ihres Mannes. Dass Erotik im Leben des Weltreisenden eine
       große Rolle gespielt haben dürfte, konnten die Leser ahnen. Kapuscinski
       selbst hat nie darüber gesprochen. Im erzkatholischen Polen hätte ihn dies
       seinen Ruf als moralische Autorität gekostet. Alicja Kapuscinska, die all
       die Jahre treu an seiner Seite gestanden hat, sieht sich nun durch die
       Biografie bloßgestellt. Mit aller Macht versuchte sie, das Buch zu
       verhindern, zog vor Gericht, drohte Verlegern in Polen und im Ausland,
       informierte Freunde der Familie. Als Polens früherer Außenminister
       Wladyslaw Bartoszewski ihr solidarisch zur Seite sprang und die Biografie
       mit einem "Bordellführer" verglich, war der Skandal perfekt.
       
       Das Gericht hat sich davon nicht beeindrucken lassen. Da die Witwe dem
       Biografen keine Fehler nachweisen konnte, gaben die Richter das Buch frei.
       Seitdem ergreifen immer mehr Intellektuelle das Wort, vor allem
       Schriftsteller und Journalisten. Denn durch die "Kapuscinski - Non
       fiction"-Biografie steht das Selbstverständnis eines ganzen Berufsstands in
       Polen auf der Kippe. Ist Faktentreue tatsächlich notwendig? Kann die
       übergeordnete Wahrheit nicht darauf verzichten? Was unterscheidet die
       Textgattung "Reportage" von einer "Erzählung"? Kapuscinski selbst hat nie
       geleugnet, dass er die Realität wie einen Steinbruch für seine Erzählungen
       nutzte. Und wenn er eine seiner Flunkergeschichten erzählte, tat er dies
       immer mit dem entwaffnend offenen Lächeln, das ganz klar sagte: "Ihr wollt
       belogen werden, also tue ich es."
       
       3 Mar 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gabriele Lesser
       
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