# taz.de -- Sexualtherapeut über Missbrauch: "Pädophile werden gerne Pädagogen"
       
       > Menschen mit pädophilen Neigungen kann man behandeln, aber nicht heilen,
       > sagt der Sexualtherapeut Christoph Joseph Ahlers. Die meisten Täter aber
       > seien gar nicht pädophil.
       
 (IMG) Bild: Eine ganz normale Reihenhaussiedlung mit ganz normalen Einwohnern.
       
       taz: Herr Ahlers, die Meldungen über sexuellen Kindesmissbrauch reißen
       nicht ab. Verwundert Sie, was da jetzt alles so bekannt wird? 
       
       Christoph Joseph Ahlers: Überhaupt nicht. Allen, die sich auf dem Gebiet
       auskennen, ist lange klar, dass es mehr sexuellen Kindesmissbrauch gibt,
       als gemeinhin bekannt wird. Aber so überfällig die Diskussion über
       sexuellen Kindesmissbrauch auch in der katholischen Kirche und den
       Internatsschulen ist, sie sollte nicht hier stehen bleiben.
       
       Warum betonen Sie das so? 
       
       Wenn man die Zeitungen liest, gewinnt man den Eindruck, sexueller
       Kindesmissbrauch, Kirche und Internate seien quasi Synomyme. Das ist eine
       verzerrte Darstellung. Wenn man das Gesamtphämomen betrachtet, ist der
       Anteil der Kirche an den gesamten Fällen von sexuellem Kindesmissbrauch
       gering. In Deutschland werden jährlich viele tausend Taten begangen. Mit
       der Fokussierung auf die katholische Kirche entlastet sich die Gesellschaft
       von dem Blick auf sich selbst.
       
       Geht es etwa konkreter? 
       
       Der mediale Diskurs, den wir zurzeit erleben, trägt nur bedingt zur
       Vorbeugung von sexuellem Kindesmissbrauch bei, weil die Suche nach den
       Ursachen immer auf besondere Gruppen gerichtet wird: die Priester oder die
       Pädophilen. Dabei wird das Gros der Taten in der gesellschaftlichen Mitte
       begangen, in Familien, überwiegend von Nicht-Priestern und
       Nicht-Pädophilen. Darüber hinaus wird in den allermeisten Berichten nicht
       zwischen Pädophilie und sexuellem Kindesmissbrauch unterschieden. Es
       herrscht also obendrein Begriffsverwirrung.
       
       Bitte klären Sie uns auf. 
       
       Die überwiegende Mehrzahl von sexuellem Missbrauch wird von nichtpädophilen
       Tätern begangenen. Man spricht von sogenannten Ersatzhandlungstätern: der
       Onkel Robert und der Stiefvater Klaus. Lediglich circa ein Drittel der
       Täter von sexuellem Kindesmissbrauch ist pädophil. Nicht jeder sexuelle
       Kindesmissbraucher ist pädophil und nicht jeder Pädophile wird zum Täter.
       Aber das ist für viele Menschen schon zu kompliziert.
       
       Haben Sie eine Vermutung, warum dieser Unterschied von der Öffentlichkeit
       so wenig zur Kenntnis genommen wird? 
       
       Wenn man es täte, müsste man ein Feindbild auflösen, das sich auf die
       Formel beschränkt: die Kinderschänder.
       
       Schätzungen zufolge sind 1 bis 3 Prozent der männlichen Bevölkerung
       pädophil. Ist Pädophilie heilbar? 
       
       Nein. Die sexuelle Ansprechbarkeit durch vorpubertäre Kinderkörper ist in
       der Persönlichkeitsstruktur verankert. Sie lässt sich therapeutisch nicht
       löschen oder ins Gegenteil verkehren, aber erfolgreich behandeln. Ein
       Pädophiler kann lernen, für sein sexuelles Verhalten Verantwortung zu
       übernehmen, indem er keine Kinder missbraucht. Diese Personen behandeln wir
       im sogenannten "Präventionsprojekt Dunkelfeld" an der Berliner Charité.
       Diese Leute, die Hilfe suchen, um keine Täter zu werden, verdienen
       Anerkennung und Respekt. Die bekommen sie in unserer Gesellschaft nicht.
       
       Wie verhält es sich mit Pädophilen, die nicht zu einer Therapie bereit sind
       und zum Täter werden? 
       
       Es gibt Pädophile, die sind der Überzeugung, dass sexuelle Kontakte
       zwischen Erwachsenen und Kindern okay sind und dass nur die Gesellschaft
       ein Problem damit hat. Wir nennen diese Gruppe die Pädosexualisten. Sie
       haben kein Problembewusstsein und missbrauchen Kinder im wortwörtlichen
       Sinne sexuell. Dieser Gruppe muss die Gesellschaft natürlich mit allen
       Mitteln des Strafrechts Einhalt gebieten.
       
       Fühlen sich Pädophile vom Priesteramt besonders angezogen ? 
       
       Das ist denkbar. Ein Mensch, der zum Beispiel pädophil empfindet, kann
       niemandem davon erzählen. Andernfalls würde er von der Gesellschaft
       ausgegrenzt. Als katholischer Priester stellt er etwas dar und ist den
       sozialen Erwartungsdruck los. Er muss sich nicht mehr fragen lassen: Was
       ist mit dir? Hast du keine Freundin? Oder bist du schwul? Als katholischer
       Geistlicher kann er sagen, in meinem Leben gibt es keinen Sex. Das ist
       natürlich Augenwischerei, aber für Menschen mit mit problematischer
       Sexualpräferenz möglicherweise eine große Entlastung.
       
       Soll das heißen, dass Pädophilie bei Priestern überproportional vertreten
       sind? 
       
       Nein, das wissen wir nicht. Diese Hypothese müsste man untersuchen. Genauso
       wie die gegenteilige Hypothese, dass der Zölibat möglicherweise vor
       sexuellem Kindesmissbrauch schützt, weil er womöglich Personen eine Art
       Korsett gibt, die befürchten ansonsten sexuelle Übergriffe zu begehen.
       
       Wie verhält es sich in anderen Berufsgruppen, die mit Kindern zu tun haben? 
       
       Personen mit pädophiler Sexualpräferenz wählen gerne pädagogische Berufe.
       Aber es wäre unzulässig zu sagen, sie tun das, um Kinder zu missbrauchen.
       Pädophile erleben Kinder als ganzheitliche Beziehungspartner. Sie lieben
       sie. Deswegen ist die Hingabe, mit der sie die Erziehungsarbeit machen,
       häufig besonders groß. Darin liegt auch die besondere Gefahr.
       
       Wie müsste die Debatte über sexuellen Missbrauch weitergehen? 
       
       Wir müssen uns um den Bereich kümmern, wo der meiste Missbrauch geschieht,
       nicht nur sexueller, auch sozialer: die Familie. Das ist die Botschaft, die
       ganz schwer auszuhalten ist, weil sie die Verantwortung auf uns alle lenkt.
       
       Wie könnte eine Gesellschaft ihre Kinder besser vor sexuellem Missbrauch
       schützen? 
       
       Durch eine Entstigmatisierung der Sexualpräferenz. Das bedeutet, wer
       pädophil ist, ist nicht automatisch ein Kinderschänder, um die Medien zu
       zitieren. Wir erkennen diese Personen als Patienten an, statt sie pauschal
       zu dämonisieren. Das könnte dazu beitragen, dass mehr Pädophile vorbeugende
       therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen, um keine Täter zu werden.
       
       Wie könnte man die Kinder stärken? 
       
       Es werden vor allem Kinder Opfer sexueller Übergriffe, die zu Hause nicht
       genug Liebe und Aufmerksamkeit bekommen. Je geborgener und wertgeschätzter
       Kinder aufwachsen, desto besser sind sie gegen sexuelle Übergriffe gefeit.
       Selbstbewusste Kinder können sich stärker abgrenzen und gegebenenfalls
       widersetzen, auch bei Missbrauch in ihrem persönlichen Umfeld.
       
       18 Mar 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Plutonia Plarre
       
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