# taz.de -- Die Zukunft der Musikkritik II: Geschmäcklerischer Schmu
       
       > Können Plattenrezensionen unabhängig von Erscheinungsterminen und
       > Anzeigen sein? Ist die Popkritik zum geschmäcklerischen Schmu verkommen?
       > Der Debatte zweiter Teil.
       
 (IMG) Bild: Ob es für die Musikkritik ebenso zu spät ist, wie für die Musikkassette?
       
       Kunst braucht Kritik. Die Abwesenheit von Kritik schränkt die Kunst in
       ihren Möglichkeiten ein, sie wird ärmer. Dies gilt für Popmusik genauso wie
       für Literatur.
       
       Feinde der Moderne wollen die Kunst, ganz gegen den ihr innewohnenden
       steten Wandel, auf einem bestimmten Niveau einfrieren. Um dies zu
       erreichen, untersagen sie, wie die Nazis, Kritik, und ersetzen diese durch
       "Kunstbetrachtung". Solche ist allerdings nur in autoritären Regimen en
       vogue. Der Kapitalismus hat gegen die Wandelbarkeit von Kunst nichts
       einzuwenden, im Gegenteil, so kann er Kunst besser verwerten. Allerdings
       braucht es dafür die Warenförmigkeit der Kunst. Also muss die Kritik hinter
       die Konsumentenberatung zurückweichen.
       
       Beratung ist auch der Popkritik, wie jeder Kritik, eigen. Kritiker selbst
       sind kleine Diktatoren, sie wollen ihre Leser - ganz im Sinne der
       sittlichen Aufklärung - zu gutem Geschmack erziehen. Zum Glück jedoch sind
       sich Kritiker selten einig. Konsumentenberatung dagegen will nur Angebote
       unterbreiten, es ist eine subtile Form von Werbung. Sie spricht von
       "mündigen Konsumenten" und leugnet ihre Verführbarkeit. Nicht selten nun
       wird für Konsumentenberatung von Firmen bezahlt - und sei es indirekt, in
       Form einer Anzeigenschaltung. Die, die die Anzeigenbudgets der Firmen
       verwalten, achten sehr darauf, dass ihre Produkte "angemessene" Erwähnung
       finden. Lob wird dabei nicht unbedingt verlangt. Bekanntlich ist jede
       Erwähnung schon Produkt-Promotion.
       
       Sie will zügig verkauft sein. In den meisten Musikmagazinen und Feuilletons
       wird darum kein Album besprochen, das älter ist als acht Wochen. Denn, so
       die Rechtfertigung der Redaktionen, das Produkt sei ja schnell wieder aus
       den Läden verschwunden. iTunes hin. Amazon her. So unterwirft sich
       professionelle Popkritik Marktgesetzen. Ihre direkte Abhängigkeit von der
       Tonträger-Industrie ist vielen sogenannten Popkritikern dabei gar nicht
       bewusst. Wie stets im Kapitalismus erscheint das, was für den Warenfluss
       notwendig ist, denen, die es vertreten müssen, wie ein Naturgesetz. So
       kommt es, dass Popkritik zum geschmäcklerischen Schmu verkommen ist. Das
       Musikmagazin Spex, es ist noch immer Leitmedium all jener, die die
       schriftliche Auseinandersetzung mit Popmusik suchen, hatte in den
       Achtzigern, als sie noch "Musik zur Zeit" anpreisen wollte, die Unart,
       manche Platten Monate vorm Erscheinungstermin zu besprechen. Das machte sie
       zum Kultgegenstand, man war mit Spex der Zeit sogar ein Stück voraus. Doch
       die Kritik blieb termingebunden. Die Unart haben peu à peu alle anderen
       Musikmagazine kopiert, der Distinktionsgewinn ging verloren. Das
       Elektronikmagazin De:Bug immerhin konnte ihn nochmals anbieten, als es mit
       beeindruckender Wut nahezu jede Neuerscheinung auf dem Sektor
       "elektronische Tanzmusik" rezensiert hat. Auch das funktionierte nicht
       lang.
       
       Plattenkritiken können auch eine eigene Kunstform sein, wie Dietmar Dath in
       seinem Heftchen "The Shramps" aufgezeigt hat, in dem er fiktive Platten in
       Form eines selbstreferenziellen Gebrabbels rezensierte, in dem allein die
       Bandnamen und die Albumtitel einen Link zur Außenwelt setzten. Spex hat nun
       die kleinen Kritiken durch ein "Pop Briefing" ersetzt und die langen Texte
       zuvor in "Storys" umgewandelt. Wolfgang Frömberg insinuierte am 30. März an
       dieser Stelle, ökonomische Gründe seien der Grund für die Umstellungen. Er
       hat, wenngleich sich Spex-Chefredakteur Max Dax heftig dagegen verwahrt,
       recht. Doch nicht so, wie er glaubt. Mit der Orientierung an
       Veröffentlichungsterminen hat sich professionelle Popkritik freiwillig zum
       Sklaven der Musikindustrie gemacht. Und sie hat über Jahre hinweg ihre
       Leser zum Konsumverhalten erzogen.
       
       Nun mögen Letztere, die auch die Popkritik konsumieren, keine
       wohlabgehangenen Meinungen zu Platten "von gestern" mehr lesen.
       
       Konsumunabhängige Popkritik ist unerwünscht. Spex hat eine Konsequenz
       daraus gezogen. Solange sich die Popkritik nicht weiter von
       Erscheinungsterminen und Anzeigen löst, hat ein kritisches Popverständnis
       außerhalb der Fanzines keinen Ort.
       
       9 Apr 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jörg Sundermeier
       
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