# taz.de -- 100 Jahre Odenwaldschule: Gefeiert wird nicht
> Die Odenwaldschule kämpft mit vielen Missbrauchsvorwürfen. Am Samstag
> begeht sie ihren 100. Geburtstag. Mittlerweile sind alle Beteiligten
> heillos überfordert.
(IMG) Bild: 100 Jahre Odenwaldschule – kein Anlass zum Feiern.
Es war einmal eine renommierte, private, kuschelige Schule. Das Kuschelige
ist ihr und einigen der Schüler zum Verhängnis geworden. Lehrer, die das
Gefüge eines Schulsystems, das alles besser und schöner machen wollte, und
ihre Position darin ausnutzten und ihre Schüler missbrauchten. Die
Odenwaldschule in der südhessischen Provinz befindet sich im freien Fall,
es ist die Geschichte eines Niedergangs.
Wie kann eine Schule mit so etwas umgehen? Immerhin hat die Odenwaldschule
eine Pressesprecherin, die meistens ans Handy geht. Die auch was erzählt,
dann aber leider sagt, man dürfe es nicht aufschreiben, und die immer
wieder betont, dass die Schule eben eine Schule und sie schlichtweg
überfordert sei.
Mit der Überforderung steht sie nicht alleine da. Die ehemaligen Schüler
wissen nicht mehr, mit wem sie (nicht) sprechen sollen. Aus der
Hilflosigkeit heraus schreiben sie E-Mails, die die Schule anklagen.
Verschickt an die Schulleitung und einen Haufen Journalisten.
Die Schulleitung kommt kaum hinterher, Presseanfragen zu neuen Details zu
beantworten. Die Journalisten wissen auch nicht mehr so genau, wie sie über
die Odenwaldschule schreiben sollen und ob es überhaupt noch jemand lesen
will. Und die Politik ruft einen Runden Tisch zusammen, an dem über ein
Phänomen gesprochen wird, das nicht neu ist und bei dem es nichts Neues zu
entscheiden gibt.
Was kann man fordern? Die Schule zu schließen oder sie zumindest
umzubenennen und umzustrukturieren, scheint der letzte Ausweg – zu dicht
sind die Vorwürfe, zu unübersichtlich die Verflechtungen und zu
unwahrscheinlich ist die Rehabilitierung. Es gibt Forderungen nach einem
Tribunal, bei dem die Opfer ein Forum bekommen und die Täter an den Pranger
gestellt werden sollen. Aber ob die Opfer wirklich ein Forum wollen und ob
es ihnen in irgendeiner Weise helfen würde, erscheint mehr als fraglich.
Es gibt Opfer, die erzählen wollen und denen es hilft, das, was ihnen
angetan wurde, öffentlich auszusprechen und anzuklagen. Sie haben das aber
schon getan und ihr Forum sind die Medien. Alle anderen wollen oder können
nicht öffentlich über das Unrecht, was Gerold Becker und Co veranstaltet
haben, sprechen. Das ist mehr als verständlich und verdient respektvolle
Zurückhaltung.
Der Wunsch, die Täter an den Pranger zu stellen, ist ebenfalls verständlich
und verdient beharrliches Nachhaken. Aber auch größte Vorsicht. Immer
wieder tauchen neue Namen auf, werden Menschen in einen Zusammenhang
gestellt, der Schlimmes erahnen, aber nichts Konkretes wissen lässt. Auch
der falsche Vorwurf des Missbrauchs kann Leben zerstören.
Jetzt ist das Ereignis da, das dazu geführt hat, dass die Missbrauchsfälle
überhaupt zum zweiten Mal in die Öffentlichkeit gelangen und diskutiert
werden. Die Odenwaldschule wird 100 Jahre alt. Feiern ist unangebracht. Gar
nichts zu tun ebenfalls. Die Schule wählt einen Kompromiss – eine
Podiumsveranstaltung zur Geschichte des Missbrauchs am Freitag und die
Eröffnung einer Ausstellung am Samstag.
Zur Podiumsdiskussion sind prominente Ehemalige eingeladen, vielleicht um
in Erinnerung zu rufen, was die Schule alles Gutes hervorgebracht hat. Ein
Missbrauchsopfer, das zuvor ebenfalls eingeladen war, beschwert sich bei
Schulleitung und Presse, dass die Schule ihn wieder ausgeladen hätte. Diese
sagt, das sei so nicht gemeint gewesen – wieder bleiben Fragen zurück und
der Eindruck, dass hier Gemüter hochkochen. Und zwar von Menschen, die
schon längst nicht mehr wissen, wo es langgeht.
16 Apr 2010
## AUTOREN
(DIR) Frauke Böger
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