# taz.de -- Bettler über Nächstenliebe: "Ich glaube nur, was ich sehe"
       
       > Walter Reinhardt ist Bettler in München. Obwohl soviel los ist, dass er
       > seine Beine kaum ausstrecken kann, gibt`s nicht mehr in die Kasse.
       > Christen seien halt wie Fußballfans.
       
       Herr Reinhardt, Sie sitzen hier inmitten des größten christlichen Treffens
       der letzten Jahre und haben eine Spendenschale vor sich. Wieviel Geld haben
       Sie heute in die Kasse bekommen? 
       
       Walter Reinhardt: Sie sehen es ja selbst, um die 1,70 Euro.
       
       Ist das mehr oder weniger als sonst? 
       
       Es ist zumindest nicht mehr als sonst. Ich kann das ganz gut vergleichen.
       Ich sitze ja jeden Tag hier, an dieser Stelle, an dieser Tür.
       
       An Ihnen laufen doch heute Tausende von Menschen vorbei. Müsste das
       christliche Laufpublikum nicht spendabel sein? 
       
       Ich hab auch gedacht, dass vielleicht mehr reingeht als sonst, aber nix
       ist. Hier kommen heute mindestens 20 mal so viele Leute vorbei wie an
       normalen Tagen, ich kann ja die Füße gar nicht richtig ausstrecken bei
       diesem Auflauf. Aber eins kann ich sagen: Im Hinblick auf meine Kasse sind
       die Kirchenleute nicht anders als die 1860- und Bayern-Fans. Wenn die hier
       unterwegs sind, kommt zumindest nicht weniger in die Kasse als heute.
       
       Sie sagen, die christlichen Passanten sind geiziger als die 1860-Fans? 
       
       Nein, das sage ich nicht. Ich bin auch nicht sauer darüber, wenn mir
       niemand was gibt, dazu ist ja keiner verpflichtet. Aber das Phänomen ist
       das gleiche. Die Leute passen auf, dass sie in der Masse nicht auf mich
       treten. Aber nur weil mehr Menschen an mir vorbei gehen, bedeutet das nicht
       mehr Geld. Es ist sogar das Gegenteil der Fall.
       
       Wieso das denn? 
       
       Meine Stammkunden bleiben weg. Viele derjenigen, die mir regelmäßig helfen,
       kommen bei diesem Massenauflauf gar nicht in die Innenstadt. Das ist
       natürlich Geld, was mir fehlt.
       
       Heute sind es nur 1,70 Euro. Zweifeln sie da nicht ziemlich an der
       Nächstenliebe und dem christlichen Glauben? 
       
       Och, ich habe meinen eigenen Glauben. Ich bin auch öfter mal in der Kirche,
       aber ich glaube nur, was ich sehe. Heute sehe ich viele Menschen. Und dass
       nicht mehr in der Kasse ist als sonst.
       
       13 May 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Martin Kaul
       
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