# taz.de -- Frankreich streikt: Die Schlacht um die Rente
> Die französischen Gewerkschaften kämpfen für die Rente mit 60. Die ist
> für viele Franzosen das Herzstück ihres Sozialstaats. Die Regierung aber
> will das Rentenalter anheben.
(IMG) Bild: Stahlarbeiter bei einer Renten-Demonstration am 27.Mai 2010 in Marseille.
"Es geht für uns um viel", sagt Gewerkschaftsführer Bernard Thibault. Auf
dem Spiel steht vielleicht nicht nur die Verteidigung des sauer erkämpften
Rechts, mit 60 in Rente gehen zu können. Auf dem Spiel steht auch die
Glaubwürdigkeit der französischen Gewerkschaftsverbände, die gestern
geschlossen mit einem Aktionstag gegen die Rentenreformpläne der Regierung
mobilisierten. Je nach Umfrageinstitut wollen 57 bis 63 Prozent der Leute
am gesetzlichen Rentenalter 60 festhalten. Dieses ist in ihren Augen ein
Symbol des französischen Sozialmodells. Wenn es falle, sei nichts mehr vor
dem Sozialabbau sicher.
62 Prozent der Befragten erklärten laut Le Parisien sogar, sie seien
bereit, zur Verteidigung dieser Errungenschaft aus dem Jahre 1983 auf die
Straße zu gehen. Längst nicht alle von ihnen hielten allerdings Wort.
Immerhin beteiligten sich Zehntausende an den Kundgebungen. Der Unterricht
fiel in vielen Schulen ganz oder teilweise aus. Ebenso mussten zahlreiche
Flüge abgesagt werden. Nur schwach betroffen von Ausständen war der
öffentliche Verkehr, denn die Regierung hatte den Beschäftigten der
staatlichen Bahngesellschaft versprochen, sie seien von der
Verschlechterung der Ruhestandsbedingungen nicht betroffen.
Auch für die Regierung war der gewerkschaftliche Protesttag ein Test. Sie
weiß, dass diese Reform in der Bevölkerungsmehrheit schlecht ankommt und zu
einer sozialpolitischen Kraftprobe werden dürfte. Aus diesem Grund wird die
öffentliche Meinung schon seit Wochen mit häppchenweise servierten
Indiskretionen auf die Sanierungsmaßnahmen zur Finanzierung der
Altersvorsorge eingestimmt. Die Staatsführung geht davon aus, dass das
Stimmungsbarometer im internationalen Kontext der Krise und der Angst vor
einer neuen Rezession mehr auf Resignation als auf Rebellion zeigt. Trotz
der breiten Ablehnung einer Erhöhung des Rentenalters von 60 auf 62, 63
oder 65 Jahre will sie noch im Herbst ihre Vorlage im Parlament im
Eilverfahren durchbringen. Bis dahin lässt sie sich so wenig wie möglich in
die Karten schauen.
Die Gewerkschaften, denen eine Mitbestimmung versprochen worden war, fühlen
sich heute von diesem "Lügenpoker", so die Zeitung Midi Libre, an der Nase
herumgeführt. Der Regierung ist es so gelungen, das Rentenalter 60 im
europäischen Vergleich zur unhaltbaren "Anomalie" und die Anhebung zum
Sachzwang zu machen. In Wirklichkeit scheiden die französischen
ArbeitnehmerInnen im Durchschnitt vor dem 59. Lebensjahr aus dem
Berufsleben aus, und mehr als ein Drittel der 55- bis 65-Jährigen sind vor
ihrem Ruhestand nicht mehr erwerbstätig.
Die sozialistische Opposition macht die Debatte zur Rettung des
Rentenalters 60 zu einer politischen Auseinandersetzung in Hinblick auf die
Präsidentschaftswahlen von 2012. Parteichefin Martine Aubry verspricht
vollmundig, bei einem Wahlsieg der Linken werde das gesetzliche Rentenalter
wieder auf 60 gesenkt. Sie schlägt als Alternative vor, die Finanzierung
der Altersvorsorge durch eine zusätzliche Besteuerung des Kapitals und der
höchsten Einkommen und eine Erhöhung der seit 1979 fixierten
Arbeitgeberbeiträge zu sichern.
Staatspräsident Nicolas Sarkozy schiebt die Schuld an der Misere kurzerhand
seinem sozialistischen Vorgänger François Mitterrand in die Schuhe: "Wenn
ich daran denke, was François Mitterrand angerichtet hat, als er das
gesetzliche Rentenalter von 65 auf 60 Jahre gesenkt hat! Heute hätten wir
viel weniger Probleme, wenn er das hätte bleiben lassen."
28 May 2010
## AUTOREN
(DIR) Rudolf Balmer
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