# taz.de -- Pressefreiheit in Venezuela: Ein Land vor dem Blackout
       
       > Drei Jahre nach Entzug der terrestrischen Lizenz ist der venezolanische
       > Fernsehsender RCTV am Ende, der einzige verbliebene Oppositionskanal
       > Globovisión bangt ums Überleben.
       
 (IMG) Bild: Ein venezuelanischer Student protestiert im Januar 2010 gegen Chavez Umgang mit RCTV.
       
       Bevor er beginnt, der bissige Blick auf Politik und Gesellschaft,
       distanziert sich RCTV erst einmal per Schrifttafel von den Begriffen,
       Meinungen und Kommentaren der beteiligten Personen. Dann aber legt die
       Moderatorin los. Berenice Gómez, klein und quirlig, trägt heute Jeans und
       eine lila gemusterte Rüschenbluse. Sie klappt ihren Fächer auf und springt
       mit den Augen von dem einen Teleprompter zum anderen. Sie faucht. Auf dem
       Bildschirm hinter ihr erscheint ein Junge mit einem Gewehr in der Hand, ein
       Plakat der Armeehochschule. Kinder an der Waffe, das findet Gómez gar nicht
       gut, sie brüllt: "Sein Hitler: Chávez". In Venezuelas Medien ist so ein
       Vergleich nichts Ungewöhnliches.
       
       Gómez ist seit 35 Jahren Journalistin. Und sie ist wütend: "Dieser Kanal
       wird von der Regierung geschlossen, weil er aufzeigt, dass die Regierung
       regierungsunfähig ist." Sie klatscht mit der einen Hand auf die andere.
       "Aber ohne Widerspruch gibt es doch keine Nachrichten!" Was Gómez noch
       nicht weiß an diesem Nachmittag Anfang Mai: Ein paar Tage später wird "Los
       Chismes de la Bicha" ohne auch nur ein Abschiedswort nach sechs Jahren
       abgesetzt. RCTV sendet nur noch auf einigen Karibikinseln, die verbliebene
       Nachrichten- und eine Interviewsendung werden auch von einem
       kolumbianischen Satellitensender ausgestrahlt. Das wars.
       
       Schatten seiner selbst 
       
       Radio Caracas Televisión, der älteste und einst erfolgreichste private
       TV-Sender Venezuelas, existiert nur noch als Schatten seiner selbst. Als
       RCTV vor genau drei Jahren die Ausstrahlung über Antenne einstellen musste
       und die Frequenz einem neuen staatlichen Sender übertragen wurde, gab es
       international einen Aufschrei und Proteste gegen die "Schließung". Die
       venezolanische Regierung betont seitdem, die Nichtverlängerung der
       Sendelizenz sei ein ganz normaler Vorgang bei einem Kanal, der seiner
       sozialen Verantwortung nicht nachkomme.
       
       RCTV reduzierte sein Personal um mehr als die Hälfte und sendete über
       Kabel, Satellit und Internet weiter. Er verlegte seinen Sitz nach Miami, um
       nicht den nationalen Bestimmungen zu unterliegen. Dazu gehört etwa, dass
       Ansprachen des Präsidenten auf allen Kanälen live übertragen werden müssen.
       Doch weil auch der neue RCTVi hauptsächlich aus Venezuela berichtete, wurde
       er weiter als nationaler Kanal eingestuft und Ende Januar aus dem Kabelnetz
       verbannt. Von den einst 3.000 Mitarbeitern sind jetzt noch rund 200 übrig,
       die Werbeeinnahmen sind weggebrochen - ein Zuschussgeschäft.
       
       Der Niedergang von RCTV passt in die Strategie der Regierung Chávez, die
       mediale Vorherrschaft im Land zu erlangen. "Die Regierung will entscheiden,
       was die Leute sehen können", sagt William Echeverría, Präsident des
       Journalistenverbandes CNP. "Aber es sollte eine große Auswahl geben; dann
       kann jeder selbst entscheiden, was er sich anschauen will." RCTV will noch
       nicht aufgeben, sondern sich neu erfinden. Details will Vizedirektor
       Oswaldo Quintana am Telefon nicht nennen. Er ist gerade auf der ganzen Welt
       unterwegs, um auszuhandeln, wie der Neustart aussehen wird.
       
       Präsident Hugo Chávez und die privaten Medien haben schon lange ein
       gespanntes Verhältnis. Für Chávez sind sie Oligarchen und "Feinde der
       Revolution". Viele private Medien ihrerseits unterstützten 2002 offen die
       Putschisten, die Chávez für 48 Stunden aus seinem Amt entfernten. Auch
       RCTV.
       
       Sender wie Televen und Venevisión sind danach zurückhaltender geworden -
       und bekamen ihre Lizenz verlängert. Sie achten nun peinlich genau darauf,
       genügend Regierungspositionen im Programm zu haben. Den Sprechern beider
       Seiten gleichlang das Mikrofon hinhalten, ohne kritische Fragen zu stellen:
       Das sei doch nur noch Verlautbarungsjournalismus, sagen Kritiker. Aber es
       schadet auf jeden Fall nicht, wenn man weiter Werbung vom Staat bekommen
       will.
       
       Der einzige TV-Sender, der jetzt noch einen klaren Oppositionskurs fährt,
       ist Globovisión. Er hat seinen Sitz ein Stück weg von der Innenstadt. Das
       Gebäude ist von einer hohen Mauer umgeben, Elektrozaun und Stacheldraht,
       Überwachungskameras. Es sieht aus wie eine Burg. Der Schutz ist auch nötig,
       denn der Sender muss immer wieder Angriffen standhalten. Der heftigste
       ereignete sich im August 2009, als 30 bewaffnete Chávez-Anhänger den Sender
       überfielen und Tränengasgranaten abfeuerten. Weniger sichtbar sind der
       politische und juristische Druck: Bußgelder, Verfahren der Medienaufsicht,
       Prozesse. Und im Jahr 2015 läuft die Lizenz aus.
       
       Die Reichweite des Nachrichtensenders Globovisión ist gar nicht so groß,
       vor allem nicht außerhalb der Stadt, aber er bestimmt die Medienagenda
       stark mit. Für die Chavistas ist Globovisión der Gegner schlechthin. Sein
       Programm nennen sie "Medienterrorismus".
       
       Klima der Angst 
       
       Bei der Redaktionskonferenz ist von alldem nichts zu spüren. Die meisten
       tippen auf ihren Blackberrys herum, eine Journalistin zieht ihre
       Augenbrauen nach. Auf zwei kleinen Flachbildschirm laufen staatliche
       Sender, auf dem großen das eigene Programm. Plötzlich schauen alle hin,
       breaking news: Der Oppositionspolitiker Oswaldo Álvarez Paz wird nach gut
       sieben Wochen aus dem Gefängnis entlassen. Er wird unter anderem der
       "öffentlichen Anstiftung zu Kriminalität" beschuldigt. In einer
       Globovisión-Sendung hatte er Venezuela als einen Hort des Drogenhandels
       bezeichnet und Anschuldigungen zitiert, die Regierung arbeite mit der
       kolumbianischen Farc-Guerilla zusammen. Auch Senderchef Guillermo Zuloaga
       wurde unlängst festgenommen - wenn auch nur für ein paar Stunden -, weil er
       Falschinformationen verbreitet habe. Er hatte gesagt, dass die Regierung
       Medien schließt. Beide Verfahren laufen noch.
       
       In Venezuela ist ein Klima aufgezogen, das vielen Journalisten nicht
       behagt. Zum einen sind da die Gesetze, die die Arbeit einschränken. Es kann
       bestraft werden, wenn Nachrichten gesendet werden, die die öffentliche
       Ordnung stören oder die Sicherheit des Staates gefährden. Der
       Interpretationsspielraum dabei ist groß. Zudem ist es schwierig geworden zu
       recherchieren, bedauert die Reporterin Beatriz Adrián, die seit zwölf
       Jahren bei Globovisión arbeitet. Vor einem Jahr hat sie die Gehälter der
       Abgeordneten öffentlich gemacht. Seitdem hat sie keinen Zugang mehr zum
       Parlament. Der Präsident und seine Minister beantworten selten Fragen, ihre
       Sprecher braucht man gar nicht anzurufen, weil sie sich sowieso nicht
       zurückmelden. Globovisión bekommt zudem zu vielen Pressekonferenzen gar
       keine Einladung oder wird nicht hereingelassen.
       
       Beatriz Adrián, 36, sitzt draußen im Café, umgeben von Grünpflanzen. Ein
       gemütlicher Ort; ihr Arbeitsalltag ist oft genau das Gegenteil. Adrián
       wurde wie viele ihre Kollegen schon auf der Straße angegriffen: "Sogar im
       staatlichen Fernsehen beleidigen sie dich persönlich und nennen deine
       Adresse." In der medialen Auseinandersetzung haben beide Seiten längst die
       Grenzen des Anstands aus den Augen verloren. Und viele Journalisten
       überlegen aus Angst nun viel genauer, was sie veröffentlichen. Das kann
       bedeuten, dass sie besser recherchieren. Meistens aber bedeutet es
       Selbstzensur.
       
       Die Unsicherheit belastet Beatriz Adrían. Sie hat sich schon überlegt, ob
       sie nicht ihren Traumberuf aufgeben soll. Aber daran zu denken, das
       schmerzt sie. Denn eigentlich, sagt sie, wolle sie doch nur guten
       Journalismus machen.
       
       28 May 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sebastian Erb
       
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