# taz.de -- Facebook als Pausenhof: Das Gefühl, gesehen zu werden
> Soziale Netzwerke sind postmoderne Pausenhöfe: Wir suchen dort nach Nähe
> - und verbringen doch mehr Zeit denn je allein vor dem Rechner. Glücklich
> macht das nicht.
(IMG) Bild: Analoger Pausenhof: Berliner Schüler posieren zum Safer Internet Day.
BERLIN taz | Wir sind alle Künstler. Ein Künstler arbeitet mit dem, was die
Welt ihm gibt. Er bearbeitet Stoffe, Dinge, Materialien und Farben. Seine
Grenze ist die Welt und das, was sie ihm zum Bearbeiten bietet. Und sein
eigener Horizont.
Das Leben hält für uns ebenfalls Materialien bereit, und es ist an uns,
diese zu einem Kunstwerk, zu einer Lebensgeschichte zu formen. Die
Materialien, die wir angeboten bekommen, scheinen unendlich. Und
gleichzeitig scheint sich unser Horizont zu verengen, auf uns selbst. Das
sagt zumindest Zygmunt Baumann in seinem jüngsten Buch, "Wir
Lebenskünstler".
Unsere Möglichkeiten sind unbegrenzt, die Wahlfreiheit ist grenzenlos.
Genau das ist es, sagt Baumann, was uns auf uns selbst zurückwirft und uns
zum Mittelpunkt allen Strebens werden lässt. Denn alle Motivation, alles
Streben, muss und darf aus uns selbst heraus kommen, und mit jeder
getroffenen Entscheidung verwerfen wir tausend andere Möglichkeiten. Die
Konsequenzen müssen wir selber tragen.
Jetzt sind wir dran, unser Leben zu einem Kunstwerk zu machen, es
auszufüllen - Glück und Überforderung zugleich.
In dieser immensen Freiheit, die wir gewinnen, suchen wir Nähe und
Solidarität, Gemeinschaft und Anerkennung. Und die Freiheit, unser Leben zu
gestalten, führt uns mitunter zu seltsamen Verhaltensweisen. Eins der uns
von der Welt zu Verfügung gestellten Materialien ist das Internet. Dort
scheinen wir Nähe und all das geboten zu bekommen, was wir suchen - in
virtuellen Netzwerken mit virtuellen Freunden, etwa bei Facebook.
Facebook gibt uns das Gefühl, gesehen und bewundert zu werden. Es ist der
postmoderne Pausenhof, auf dem wir unsere Beziehungen pflegen wie
Grundschulkinder. Nur ohne die überrumpelnde Offenheit und Ehrlichkeit, die
Kinder noch haben.
Wer auf dem Pausenhof allein in der Ecke steht und nicht mit den anderen
Kindern Fangen spielen darf, ist ein Verlierer. Wessen Pinnwand bei
Facebook nicht regelmäßig vollgeschrieben wird mit Lob, Aufmunterung und
Witzchen, der ist es auch.
Facebook ist ein faszinierendes Phänomen, es überrumpelt aber nicht. Und
spontane Offenheit und Ehrlichkeit sind dort fehl an Platz; wer sein
Innenleben dort zu offen artikuliert, wird belächelt - zu Recht, dafür ist
Facebook nicht der richtige Ort. Dass es dennoch dazu verleitet, zeifen die
vielen Liebesschwüre und Rachedrohungen, die zu lesen im Grunde den größten
Spaß bereitet.
Baumann meint, wir haben den Sinn dafür verloren, Ziele zu verfolgen, die
nichts mit unserer eigenen Reproduktion oder mit Konsum zu tun haben.
Gleichzeitig sehnen wir uns danach, diesem Zustand zu entgehen, und nehmen
dankbar jedes Angebot an, das uns scheinbar davor bewahrt.
Facebook wirbt damit, Kontakt zu anderen Menschen und Gemeinschaften
herzustellen - das, was den Kindern auf dem postmodernen Pausenhof zu
fehlen scheint, auch wenn nicht klar ist, wie diese Gemeinschaften aussehen
müssten, damit sie die Freiheit, die ihr höchstes Gut ist, nicht verlieren.
Was sie aber wirklich finden, sind standardisierte Identitäten, sorgsam
ausgewählte Einblicke in Ereignisse und Gedanken, an denen eine wirkliche
Teilhabe nicht stattfindet - ebenso gestatten auch sie selbst keine
wirkliche Teilhabe. Was Facebook gibt, ist noch mehr Zeit allein vor dem
Rechner.
Baumann ruft dazu auf, das eigene Leben als Kunstwerk zu begreifen. Das
heißt, dass wir ständig neu denken müssen und die Materialien, die wir zur
Verfügung haben, neu betrachten und ihnen mitunter eine neue Rolle oder
eine neue Bedeutung zumessen müssen. Und das wiederum heißt, dass wir
mitunter destruktiv sein, zerstören müssen, um Neues zu schaffen. Der Quit
Facebook Day mag Anlass dazu geben. Baumann hat auf Facebook über 7.500
Fans.
31 May 2010
## AUTOREN
(DIR) Frauke Böger
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