# taz.de -- Der Wandel des Darkrooms: Eine Woche im Ficken 3000
       
       > Plötzlich war Licht in den Darkrooms: Die hermetischen Orte der schwulen
       > Parallelkultur werden inzwischen bestaunt von Touristen. Verfall oder
       > Strukturwandel? Die Geschichte einer Woche im Dunkeln
       
 (IMG) Bild: It´s all about sex.
       
       Es gibt einen Ort, an dem man jeden Abend Sex haben könnte. Ohne zu zahlen.
       Ohne zu grüßen. Den Darkroom. Darkrooms waren lange eine schwule
       Errungenschaft, die bei all denen, die nie einen Fuß hineingesetzt haben,
       auf theoretisches Interesse stieß. Einer davon ist in einer Neuköllner
       Schwulen-Bar mit dem schlichten Namen "Ficken 3000". Vor dem Millennium
       hieß die Bar "Ficken 2000".
       
       Doch es war nicht die Umbenennung, die diesen lange kriselnden Laden neu
       erschuf, sondern die Gentrifizierung des Viertels, in dem er sich befindet.
       Studenten und Studentinnen treffen sich nun im Darkroom, um zu feiern. Das
       Ambiente wird Kulisse. Anhand des Darkrooms kann man sehr gut den
       alltäglichen Strukturwandel von Subkultur und Mainstreamgesellschaft
       erzählen.
       
       Darkrooms, jene subkulturelle Erscheinungsformen aus den Achtzigern, die
       sich trotz Aids-Krise einigermaßen - wenn auch als Ort unbegrenzter
       Glückseligkeit und Freiheit beschädigt - hatten retten können, haben sich
       im schwulen Alltag längst überlebt. Schwule verabreden sich zwecks
       körperlichen Austauschs längst über Internet-Communities und haben es kaum
       mehr nötig, in die Gettos zu gehen. Die einst hermetische Szene hatte sich
       schon in den Neunzigern geöffnet, Schnittstellen waren entstanden in den
       Sub- und Nachtkulturen Berlins - das "Ostgut" etwa, dessen
       Nachfolgeinstitution "Berghain" nun Touristen aus der ganzen Welt anzieht.
       Auch die Darkrooms des "Berghain" werden bestaunt und besichtigt - und
       selten genutzt. Und wie ist es im "Ficken 3000"?
       
       Allein mit einem Bier in diesem Lokal an einem Montag. Die Einrichtung
       erinnert an Intercity-Bistros aus den Achtzigern. Auf Bildschirmen laufen
       Pornos; an die Decke sind CDs genagelt, die keiner mehr braucht.
       Erinnerungen kommen hoch an den ersten Besuch eines Darkrooms in den
       Neunzigern. Das klopfende Herz, die Angst, nie wieder zurück zu können.
       Coming-out - herauskommen -, bedeutete: hineingehen.
       
       An einem Montag im "Ficken 3000" ist es im Darkroom kalt und still. Es
       riecht nach muffigem Berliner Keller, ein wenig Licht spenden die sich
       sexuell mühenden Pornodarsteller auf den Bildschirmen. Gibt es den Darkroom
       überhaupt noch oder ist er bloß eine Legende, an der zuletzt die
       Jungschriftstellerin Helene Hegemann herumstrickte, womöglich ohne je einen
       betreten zu haben?
       
       Wer an einem Dienstag ins "Ficken 3000" kommt und die Treppe hinabsteigt,
       wird ihn in alter Pracht erleben. Dienstags ist "2 for 1", zwei Biere zum
       Preis von einem. Der Laden ist voll. Nach Mitternacht trifft man im
       Darkroom auf so viel Leben, dass der Atem stockt. Der Geruch des Kellers
       vermischt sich mit Männerschweiß und der Sexdroge Poppers. Geräusche kommen
       aus den dunklen Verschlägen, die auf eine nicht-diskursive Verhandlung von
       Sexualität verweisen.
       
       Sind zwei Männer ineinander verschlungen, stehen rasch fünf um sie herum,
       wollen teilhaben, manche dürfen, andere werden abgewiesen. Sie flanieren
       weiter durch die Gänge und hoffen auf ein Gegenüber. Ansonsten ist es
       still, im Darkroom wird nicht gesprochen. Nicht gelacht. Und die Stimmen
       der besten Freundinnen, die oben in der Bar sitzen und schrill
       aufkreischen, stören ein wenig. Das Intimste wird hier unten im Keller
       öffentlich, gnädig bedeckt nur von der schummerigen Dunkelheit. Was hier
       geschieht, wird nicht nach außen dringen. Es ist abgespalten, Teil einer
       unausgesprochenen, doch überlieferten Verschwörung. Als wäre die Zeit
       stehen geblieben.
       
       Doch noch bis vor kurzem war im "Ficken 3000" mittwochs Licht im Darkroom.
       Auf der Sitzbank, auf der an Dienstagen Jungs mit heruntergelassenen Hosen
       gesessen hatten, saßen nun junge Studentinnen und betrachteten
       Video-Installationen. Mittwochs war SLUM, ein gemeinsames Projekt des
       Performancekünstlers Tennessee Claflin und des Schriftstellers Travis
       Jeppesen, beide Amerikaner. Nach dem Vorbild von Zürichs "Cabaret Voltaire"
       und New Yorks "Jackie 60" hatten die beiden das "Ficken 3000" in eine
       Performance-Lounge verwandelt, der Darkroom wurde Kulisse, während oben in
       der Bar wechselnde Resident-DJs mit Elektro, Noise und
       "Avantgarde-Seltsamkeiten" beschallten. SLUM erleuchtete den Darkroom.
       Sexualität wurde Diskurs und im Licht der Post-Porno-Video-Installationen
       sah man nun all jene Flecken auf den schwarzen Wänden, die man doch nie
       sehen wollte.
       
       Plötzlich aber war Licht da. SLUM gibt es nicht mehr, die neuen Besucher
       indes bleiben.
       
       Donnerstags ist der Darkroom im "Ficken 3000" noch einmal Selbstzweck.
       Sitzt man allein mit einem Bier in der Ecke, kann man ältere Männer im
       Atatürk-Look beobachten, die im Schutze der Dunkelheit hineinhuschen und,
       ohne ein Getränk zu bestellen, im Keller verschwinden. Der junge, wohl
       ebenfalls türkischstämmige Mann mit dem offenen, langen Haar und den
       schmalen Hüften, der sich so ungeniert effeminiert gibt, wird sich später
       das Haar zusammenbinden und festen, männlichen Schrittes zu McDonalds
       gehen.
       
       Freitags wird am DJ-Pult eine Playlist aktiviert, die sich anhört, als sei
       sie beim Discounter Kik gekaufter Euro-Trash. Je später die Stunde, desto
       mehr Besucher verirren sich in das "Ficken 3000", sie kehren heim in ihren
       Kiez. Erwachsen gewordene Schwule, sie waren bei Geburtstagsfeiern von
       Kollegen, waren schön essen mit Freunden. Und kommen dann doch noch auf ein
       Getränk ins "Ficken 3000".
       
       Ein kurzer Abstecher in die Parallelgesellschaft, um sich zu entspannen von
       den Gesprächen über Kinder, Wirtschaftskrise, Fußball-WM. Um etwas
       auszuleben, über das in der Mitte der Gesellschaft explizit zu reden nicht
       opportun ist. Helle Flecken auf schwarzen Sperrholzwänden, Geräusche,
       Gerüche. Es ist ein Ball der Heimkehrer aus den vielen, längst
       differenzierten Welten städtischen Lebens. Hinein in ein Dunkel, in dem es
       kein "Wir" mehr gibt und daher auch keine "Anderen". Nur noch "Ichs" ohne
       klar umrissene Identität. Unten im Keller begegnen sie sich kurz, hautnah.
       Dann gehen sie weiter.
       
       Am Samstag bietet ein junger albanischer Fliesenleger aktive Penetration
       als Gegenleistung für ein Becks. Er ist nach Berlin gekommen, um Geld für
       seine Familie zu Hause in Albanien zu verdienen. Prostitution findet er
       okay. Er kommt öfters ins "Ficken3000", findet es aber eklig, dass sich die
       Männer dort unten im Keller küssen.
       
       Am Sonntag ist im "Ficken 3000" die "Pork"-Party. Veranstaltet wird sie von
       Tennessee Claflin, der vor kurzem auch SLUM gemacht hat. Er sitzt mit einer
       Schweinemaske an der Kasse, drei Euro Eintritt. Claflin hat früher in New
       York als Stricher gearbeitet. Die Diseuse Molly Nillson steht an der Stange
       und singt "Meanwhile in Berlin", das "Ficken 3000" ist voll, die Tür steht
       offen, auch draußen auf dem Bürgersteig stehen Menschen herum - junges
       Kreuzköllner Volk.
       
       "Das ,Ficken 3000' müsste Unesco-Weltkulturerbe werden", sagt einer der
       älteren Stammgäste. Er kommt fast jeden Tag, er kommt auch, wenn Pork-Party
       ist. Er freut sich, dass Leben in den Laden gekommen ist. Eine Koreanerin
       steigt hinab in den Darkroom, nur um mal zu gucken. Sie lacht
       verschüchtert.
       
       Weil die Tür so weit offen steht, wagt sich ein junger Mann herein. Ein
       Ingenieur aus Nürnberg, auf Dienstreise in Berlin. Er hat zwei Kinder, ein
       neues Haus, einen Audi A 6 als Firmenwagen, "mit Tankkarte". In der Provinz
       ist er angekommen in einer Welt, die gar nicht mehr gentrifiziert werden
       muss. Sein Leben soll nun wie auf Schienen laufen. Nur einen Mann hat er
       noch nie geküsst. Er möchte es probieren und findet heraus, dass eine
       Männerzunge rauer ist als die einer Frau. "Danke für diese Erfahrung", sagt
       er zum Abschied. Und: "Mein Vater würde mich umbringen, wenn er das gesehen
       hätte." In den Darkroom geht er nicht. Eine Entgleisung möchte und kann er
       sich nicht erlauben.
       
       Es gibt sie noch, die Darkrooms von Berlin. Es sind Post-Darkrooms, in
       Betrieb zwar, aber bestaunt von Touristen. Die finden den Schmutz exotisch.
       Beflecken aber wollen sie sich nicht an diesen dunklen Orten, die
       allmählich von Licht beschienen werden und auf diese Weise verschwinden.
       
       19 Jun 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Martin Reichert
 (DIR) Martin Reichert
       
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