# taz.de -- Debatte Koalition vor der Sommerpause: Eine Regierung, die sich zu einig ist
       
       > Schwarz-Gelb scheitert, weil alle drei Parteien nur über Finanz- und
       > Sozialpolitik streiten wollen. Zukunftsthemen wie Bildung und Energie
       > blendet die Koalition aus.
       
       Am 27. September 2009 glaubten Angela Merkel und Guido Westerwelle, jeweils
       für sich die Bundestagswahl gewonnen zu haben. "Mein Verständnis war es und
       ist es", sagte Merkel vor den CDU-Anhängern in der Berliner Parteizentrale,
       "dass ich die Bundeskanzlerin aller Deutschen sein möchte."
       
       Das war der Satz des Abends, das war der Plan. Merkel wollte die
       Popularität, die sie als Kanzlerin der großen Koalition gewonnen hatte, im
       Bündnis mit der FDP nicht aufs Spiel setzen. Sie wollte keine scharfe
       Konfrontation der politischen Lager, die nach ihrer Analyse stets zu einer
       linken Mehrheit im Land führen würde. Sie wollte eine Politik machen, wie
       die Mehrheit der Deutschen sie sich laut Umfragen wünscht:
       Wirtschaftsfreundlich und gleichzeitig sozial, sicherheitsorientiert und
       gleichzeitig liberal.
       
       Westerwelle wollte das nicht. Er interpretierte die Leihstimmen für die
       FDP, mit denen CDU-Anhänger das Ende der großen Koalition herbeigewählt
       hatten, als Votum gegen die Konsenspolitik. Merkel wollte ihn ins Leere
       laufen lassen, das war der zweite Teil ihres Plans, und speiste die FDP bei
       den Koalitionsvereinbarungen mit Formelkompromissen ab.
       
       Die Erwartung, die CDU könnte dem Niedergang ihres Koalitionspartners
       unbeteiligt zusehen, davon vielleicht sogar profitieren: sie hat sich
       bislang nicht erfüllt. Dazu trugen mehrere Faktoren bei, vorhersehbare wie
       unvorhersehbare. Zu den unvorhersehbaren zählten das völlige Versagen der
       nordrhein-westfälischen CDU im Wahlkampf und der plötzliche Rücktritt eines
       Bundespräsidenten, der auf schwarz-gelbem Ticket ins Amt gekommen war.
       Langfristig mag es für die Regierung sogar günstig sein, das Gespenst aus
       Westerwelles Wohnzimmer vertrieben und einen neuen Konsenspräsidenten
       installiert zu haben. Kurzfristig war die Rochade ein Desaster, schon weil
       sie das politische Management überforderte.
       
       Der Umstand, dass eine Regierung mit miserablen Umfragewerten in ihre erste
       Sommerpause geht, ist für sich genommen nichts Neues. Schon in den vier
       vollen Amtsperioden Helmut Kohls hielten die meisten Beobachter eine
       Wiederwahl zu diesem Zeitpunkt für ausgeschlossen, weshalb man es dem
       Exkanzler kaum verübeln kann, dass er die Prognosen auch beim vierten Mal
       ignorierte. In der rot-grünen Regierungszeit trat im ersten Drittel der
       Legislatur jeweils der SPD-Vorsitzende zurück, zunächst Oskar Lafontaine
       und dann Gerhard Schröder. Zudem mag die von Wahlperiode zu Wahlperiode
       größer werdende Delle in den Umfragen auch der wachsenden Beweglichkeit der
       Wähler zuzuschreiben sein. In Zeiten wachsender Fortschrittsskepsis und
       schwindender Verteilungsspielräume haben sich in ganz Europa die Chancen
       der Regierungen auf eine auch nur einmalige Wiederwahl drastisch
       verringert.
       
       Trotzdem gibt es entscheidende Unterschiede gegenüber den Krisen der
       rot-grünen Regierungszeit. Sie liegen auch im instabilen Charakter eines
       Dreierbündnisses, in dem die CSU mittlerweile als völlig eigenständige
       Kraft operiert. Das größere Problem ist aber, so paradox es klingt, dass
       alle drei Koalitionspartner sich für die gleichen Themen interessieren, für
       die sogenannten harten Fragen der Finanz- und Sozialpolitik. Für die FDP
       ist die Durchsetzung der Kopfpauschale im Gesundheitswesen so wichtig wie
       für die CSU deren Verhinderung. Westerwelles Steuersenkungen kann die CDU
       wiederum nicht zustimmen, ohne eigene Projekte damit zu torpedieren. Man
       könnte auch sagen: Das sogenannte bürgerliche Lager ist, im Positiven wie
       im Negativen, noch immer unglaublich staatsfixiert.
       
       Das war bei Rot-Grün anders, dort gab es eine klare Aufteilung von
       Interessensphären. Die Grünen fokussierten sich auf gesellschaftspolitische
       Projekte, die den Haushalt entweder überhaupt nicht oder allenfalls gering
       belasteten. Ob es nun der Atomausstieg war oder die Homo-Ehe, die doppelte
       Staatsangehörigkeit oder selbst der Ausbau der erneuerbaren Energien: auf
       all diesen Feldern gab es zwar harte Debatten, aber keines dieser Projekte
       torpedierte zentrale Vorhaben der SPD (sofern es die überhaupt gab). Sogar
       die starke Förderung der Wind- oder Solarbranche fiel im Vergleich zu den
       Sozialetats kaum ins Gewicht. Umgekehrt schauten die Grünen weitgehend
       unbeteiligt zu, wie sich die SPD über sozialpolitische Fragen zerfleischte,
       über die sich ihre postmaterialistische Klientel kaum zu erregen vermochte.
       Dass diese Aufteilung am Ende für die SPD ein schlechtes Geschäft war,
       sollte wiederum dem Materialisten Westerwelle zu denken geben.
       
       Die eigentliche Bewährungsprobe steht der Regierung im Herbst noch bevor.
       Dann geht es um die beiden großen Zukunftsthemen: Bildung und Energie. Auf
       beiden Feldern ist, anders als in der Gesundheitspolitik, Nichtstun keine
       Option. In beiden Fällen ist aber eine Lösung nach jetzigem Stand überhaupt
       nicht absehbar. Bei der Bildungspolitik hat der Bundesrat am Freitag auf
       seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause noch einmal eindrucksvoll
       demonstriert, dass die Länder zu konstruktiven Beiträgen auf ihrem
       zentralen Kompetenzfeld keineswegs bereit sind - und sich nur dann in
       Trippelschritten vorwärts bewegen, wenn der Bund dafür bezahlt.
       
       Noch verfahrener ist die Lage bei der Energiepolitik. Über den Streit um
       verlängerte Atomlaufzeiten haben die meisten Akteure in der Koalition
       völlig vergessen, worum es doch eigentlich geht: um den Ausbau der
       erneuerbaren Energien. Das Umweltdesaster im Golf von Mexiko und die
       Prognosen über stark steigende Ölpreise haben die Dringlichkeit des Themas
       noch einmal vor Augen geführt.
       
       In den vergangenen Wochen gab es viel Erregung über wenig Substanz. Dass
       die schwarz-gelbe Regierung ihre eigene Agenda nicht durchzusetzen vermag,
       muss nicht unbedingt ein Schaden sein - weder aus Sicht ihrer Kritiker noch
       aus der Perspektive einer CDU-Chefin, die so gern die Kanzlerin aller
       Deutschen bliebe. Ihr Scheitern kann die Koalition nur abwenden, wenn sie
       wie einst Schröder ideologischen Ballast abwerfen kann. Das ist eine
       Strategie mit hohem Risiko, wie das historische Beispiel zeigt. Aber es ist
       ihre einzige Chance.
       
       9 Jul 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralph Bollmann
       
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