# taz.de -- Nach der Loveparade-Katastrophe: Alle Warnungen ignoriert
       
       > Die Bilanz von Duisburg: 19 Tote, über 500 Verletzte, immer mehr Vorwürfe
       > - und keiner, der Verantwortung übernimmt. Die Staatsanwaltschaft
       > ermittelt wegen fahrlässiger Tötung.
       
 (IMG) Bild: Am Tag zwei nach der Katastrophe dominiert die Trauer in Duisburg.
       
       Während in Duisburg die Vorbereitung für die Trauerfeier laufen, geraten
       die Stadtoberen und der Veranstalter der Loveparade, bei der 19 Menschen
       starben, immer stärker unter Druck. Schon im Vorfeld sollen gravierende
       Mängel beim Sicherheitskonzept offenbar geworden sein. Doch die
       Verantwortlichen ignorierten offenbar alle Warnungen.
       
       So soll ein internes Dokument existieren, aus dem eindeutig hervorgeht,
       dass der Alte Güterbahnhof, auf dem das Event stattfand, nur für 250.000
       Menschen zugelassen war. "Die maximale Personenzahl, die sich gleichzeitig
       auf dem Veranstaltungsgelände aufhalten darf, wird […] auf 250.000 Personen
       begrenzt", zitiert Spiegel Online das Dokument in einem Schreiben eines
       Sachbearbeiters der Unteren Bauaufsicht im Duisburger Rathaus, das an die
       Berliner Lopavent GmbH, den Ausrichter der Loveparade, gerichtet war.
       
       Kurz vor der Tragödie hatten Stadt und Veranstalter die Gesamtzahl der
       Teilnehmer noch stolz auf rund 1,4 Millionen geschätzt. Inzwischen geben
       sie keine Angaben mehr heraus. Aus dem Schreiben geht zudem hervor, dass
       der Sachbearbeiter die Organisatoren von der Vorschrift befreit hatte, die
       vorgeschriebenen Breiten der Fluchtwege einhalten zu müssen.
       
       Aus Sicht von Deutschlands führendem Konzertveranstalter Marek Lieberberg
       führten die Profilierungssucht der Stadt Duisburg und eine amateurhafte
       Organisation zu der Katastrophe. Sie sei "Ergebnis eines verhängnisvollen
       Zusammenwirkens von völlig überforderten Behörden und inkompetenten
       Organisatoren, die weder mit derartigen Großveranstaltungen vertraut noch
       in der Lage waren, auf Notsituationen zu reagieren". Das Konzept mit einem
       einzigen Ein- und Ausgang sei "eine Todesfalle" gewesen. Offenbar hätten
       die Verantwortlichen der Stadt "die Veranstaltung um jeden Preis haben
       wollen und haben sich deshalb offensichtlich über alle notwendigen
       Sicherheitserwägungen hinweggesetzt".
       
       Ihre Vorwürfe bekräftigte die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG). "Ich
       habe vor einem Jahr Duisburg als ungeeignet für die Loveparade abgelehnt
       und bin dafür als Spaßverderber und Sicherheitsfanatiker beschimpft
       worden", sagte der Bundesvorsitzende Rainer Wendt. "Aber die
       Verantwortlichen waren besessen von der Idee, etwas für diese gebeutelte
       Stadt zu tun."
       
       Die Toten seien "Opfer materieller Interessen eines Veranstalters, der
       unter dem Deckmäntelchen der ,Kulturhauptstadt 2010' " Druck ausgeübt habe,
       kritisierte der stellvertretende NRW-Landesvorsitzende Wolfgang
       Orscheschek. "Vor dem drohenden Szenario eines irreparablen Imageschadens
       für die Region und die Stadt" seien die Duisburger Stadtoberen "dermaßen in
       die Enge getrieben wurden, dass sie zum Ereignis Loveparade, trotz
       eindringlicher Warnungen aus dem Sicherheitsbereich, nur Ja sagen konnten."
       
       Der ehemalige Bochumer Polizeipräsident Thomas Wenner hat gegen den
       Veranstalter, die Berliner Lopavent des McFit-Geschäftsführers Rainer
       Schaller, aber auch gegen Duisburgs OB Sauerland und Beamte der Stadt
       inzwischen Anzeige erstattet. Nach seiner Auffassung hätte eine solche
       Veranstaltung nie stattfinden dürfen. Als amtierender Polizeipräsident
       hatte Wenner 2009 die für Bochum geplante Loveparade aus Sicherheitsgründen
       abgesagt. "Städte wie Bochum und Duisburg mit ihren engen Bahnhöfen sind
       dafür nicht geeignet", sagte er der Bild.
       
       Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) warnte hingegen vor verfrühten
       Schuldzuweisungen. "Wir machen den entscheidenden Fehler nicht, jetzt
       besserwisserisch zu sein und zu sagen, was man alles hätte machen müssen,
       um die Situation zu verhindern", sagte der GdP-Vizebundesvorsitzende Hugo
       Müller der taz. Scharf kritisierte er "selbst ernannte Sicherheitsexperten,
       die jetzt schon meinen zu wissen, wer die Verantwortung für die Tragödie zu
       tragen habe". Sie handelten "in höchstem Maße scheinheilig und
       unverantwortlich". Notwendig sei jetzt eine sachliche und vorurteilsfreie
       Untersuchung. "Vorab kann festhalten werden, dass die eingesetzten
       Polizisten vor Ort besonnen gehandelt und hunderte von Personen gerettet
       haben", lobte Müller seine Duisburger Kollegen. Augenzeugenberichte
       widersprechen allerdings dieser Darstellung.
       
       Auf jeden Fall wird die Duisburger Polizei nicht länger mit den
       Untersuchungen der Geschehnisse befasst sein. "Die Duisburger Polizei wird
       die Ermittlungen an eine andere Polizeibehörde abgeben, um neutrale
       Ermittlungen zu gewährleisten", kündigte ein Sprecher des
       nordrhein-westfälischen Innenministeriums an. Die Staatsanwaltschaft
       ermittelt wegen fahrlässiger Tötung.
       
       Inzwischen will OB Sauerland seinen Rücktritt nicht mehr ausschließen. "Ich
       werde mich dieser Frage stellen, das steht außer Frage", sagte Sauerland.
       Zunächst müsse es jedoch darum gehen, die schrecklichen Ereignisse vom
       Samstag aufzuarbeiten. "Dann werden wir auch diese Frage beantworten",
       versprach er. Der CDU- Politiker war am Sonntag von Trauernden ausgebuht,
       beschimpft und mit Müll beworfen worden. Nach neuen Erkenntnissen hat sich
       die Zahl der Verletzten inzwischen auf 511 erhöht. Wie der Sprecher der
       Duisburger Staatsanwaltschaft, Rolf Haferkamp, mitteilte, wurden 42
       Menschen auch zu Wochenbeginn weiter in Kliniken behandelt, ein Opfer
       schwebte noch in Lebensgefahr.
       
       Trotz der Tragödie halten die Organisationen der Kölner Gay Games an ihren
       Planungen fest. "Wir werden jetzt natürlich unsere Sicherheitskonzepte noch
       einmal sehr kritisch überprüfen", sagte Michael Lohaus, Kopräsident der
       Kölner Gay Games. "Aber ich weiß, dass wir sehr gut aufgestellt sind." Das
       einwöchige internationale Breitensport-Festival für schwule und lesbische
       Sportler, das am Samstag von Außenminister Guido Westerwelle (FDP) eröffnet
       werden soll, ist nach der Loveparade die nächste größere Veranstaltung in
       Deutschland.
       
       Erwartet werden 10.000 Teilnehmer und bis zu einer Million Besucher. "Die
       Sicherheit solcher Großveranstaltungen ist immer eine gemeinsame
       Kraftanstrengung der Organisatoren mit den Behörden", sagte Lohaus. "Bei
       den Gay Games hat diese Abstimmung bereits vor Jahren begonnen." Zusammen
       mit Experten seien dabei auch mögliche Gefahren durchgespielt und Szenarien
       entwickelt worden.
       
       26 Jul 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) P. Beucker
 (DIR) A. Wyputta
       
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