# taz.de -- Kommentar Afghanistan-Dokumente: Entscheidend ist der Zeitpunkt
       
       > Vieles von dem, was die Öffentlichkeit in diesen Tagen erschüttert, ist
       > im Kern nicht neu: Die Lage ist in Afghanistan verzweifelt.
       
       Das Interessanteste steht oft im Detail. Angesichts der Fülle der nun
       veröffentlichten Geheimdokumente zum Krieg in Afghanistan wird es lange
       dauern, bis alle Papiere ausgewertet sind. Schon jetzt aber lässt sich
       sagen: Vieles von dem, was die Öffentlichkeit in diesen Tagen erschüttert,
       ist im Kern nicht neu.
       
       Militärische Geheimakten sind nicht vonnöten für die Information, dass
       Pakistan ein schwieriger Verbündeter ist und dass es dort Sympathien für
       Islamisten auch in einflussreichen Kreisen gibt. Die Lektüre öffentlicher
       Analysen von Landeskennern genügt. Gleiches gilt für die Tatsache, dass
       Drogen eine wichtige Rolle im Afghanistan-Krieg spielen. Sowie für die
       Einschätzung, dass Mitglieder der afghanischen Regierung korrupt und
       unzuverlässig sind.
       
       Und die Todeslisten? In Kriegen werden Gegner häufig gezielt gejagt. Das
       Vorgehen ist vom Völkerrecht unter bestimmten, allerdings präzise
       gezogenen, Grenzen sogar gedeckt, wenn es sich um Feinde in einem
       militärischen Konflikt handelt. Anders ist die Lage bei Straftätern, auch
       bei Terroristen. Die dürfen internationalem Recht zufolge nur dann
       absichtlich getötet werden, wenn sie selbst gerade im Begriff sind, eine
       Gewalttat zu verüben. Was einer der Gründe dafür ist, dass die USA von
       einem "Krieg" gegen Al Quaida sprechen. Es vergrößert ihren
       Handlungsspielraum.
       
       In Deutschland stellt sich die Lage bekanntlich etwas anders dar. Das
       Grundgesetz erlaubt Militäroperationen eigentlich nur innerhalb eines sehr
       eng definierten Rahmens. Auch wenn das Bundesverfassungsgericht diesen
       Rahmen seit den 90er Jahren bis zur Bedeutungslosigkeit hin gedehnt hat -
       Verteidigungsminister und Kommandeure dürfen den Text der Verfassung noch
       immer nicht dem Restmüll überantworten. Sie können das Risiko nicht
       ausschließen, dass irgend jemand beim Verfassungsgericht doch mal den
       genauen Wortlaut im Grundgesetz nachliest. Deshalb nennen deutsche
       Politiker den Krieg, der ein solcher ist, so ungern beim Namen.
       
       Die Jagd auf "Köpfe" einer Rebellenbewegung kostet regelmäßig zivile Opfer.
       Bei dem Versuch, Gegner in ihrem privaten Umfeld zu töten, sterben -
       natürlich - häufig Kinder. Die Öffentlichkeit, übrigens nicht nur in
       Deutschland und nicht nur im Zusammenhang mit Afghanistan, entzieht sich
       einer schmerzlichen Debatte über Legitimität und Konsequenzen eines solchen
       Vorgehens mit dem psychologisch nachvollziehbaren Trick, entsprechende
       Meldungen ganz einfach nicht zu glauben, so lange sie nicht von der eigenen
       Seite bestätigt sind - also von den "Guten".
       
       Was die "Guten" nicht bestätigen: das ist Propaganda. Weltweit, übrigens.
       Ein Krieg, in dem die Bevölkerung nicht glaubt, dass die eigenen Soldaten
       die "Guten" sind und einen gerechten Kampf führen, kann nicht einmal ein
       totalitäres Regime führen oder gar gewinnen.
       
       Die "Guten" in Afghanistan: Aus Sicht westlicher Länder ist das die Nato.
       Die wird den Teufel tun, eigene Fehler häufiger als nötig einzuräumen.
       Schließlich lässt sich Geheimhaltung in keinem anderen politischen Bereich
       so leicht rechtfertigen wie bei militärischen Fragen. Wer möchte schon für
       den Tod von Soldaten oder sonst jemandem verantwortlich sein?
       
       Nur konsequent ist deshalb auch die Reaktion auf die Veröffentlichung der
       Papiere. Zu dementieren war da offenbar nichts mehr. Nun ist also angeblich
       die Sicherheit der Truppen gefährdet. Plan B. Nicht Neues seit der
       Spiegel-Affäre von 1962. "Landesverrat" als Vorwurf geht immer - und sei es
       nur, um Zeit zu gewinnen.
       
       Zeit brauchen die Verantwortlichen dringend. Der reizvolle Stempel "geheim"
       erweckt - weltweit - die Aufmerksamkeit bislang gleichgültiger Gruppen der
       Bevölkerung. Die komprimierte Zusammenfassung der Lage bestätigt Bekanntes:
       dass die Lage in Afghanistan verzweifelt ist. Wenn nicht gar hoffnungslos.
       Die Diskussion über den Krieg wird das beflügeln. Unabhängig vom
       Nachrichtenwert des jeweils einzelnen Dokuments.
       
       Der Wert der Veröffentlichung liegt deshalb schon jetzt in der Bündelung
       von Fakten, zeitgleich in internationalen Medien. Propaganda und Politik
       ist nicht mehr nur den Politikern überlassen - allein der Zeitpunkt einer
       Veröffentlichung kann politisch bedeutsam sein. US-Präsident Obama kämpft
       derzeit im Kongress für seine neue Afghanistan-Strategie.
       
       27 Jul 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bettina Gaus
       
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