# taz.de -- Duisburg nach der Loveparade: Im Trauertunnel
       
       > Eine Woche nach der Katastrophe, die 21 Tote und über 500 Verletzte
       > forderte, findet die Trauerfeier statt. In Duisburg herrscht nach der
       > Loveparade Entsetzen.
       
 (IMG) Bild: "Entschuldigung für das Versagen der Gehirne der Entscheidungsträger": Gedenktafel im Tunnel zum Veranstaltungsgelände.
       
       DUISBURG taz | In dem Tunnel, der zum alten Duisburger Güterbahnhof führt,
       erinnert nichts mehr daran, dass er vor einer Woche der einzige Zugang zur
       größten Technoparty der Welt war. Der Tunnel, den sie jetzt "Todestunnel"
       nennen, ist zu einem Ort des Gedenkens geworden. "24. 7. 10 - Nichts ist
       mehr so, wie es einmal war", steht auf einem schwarzen Banner. Trotz
       einiger hundert Menschen, die sich an diesem Donnerstag hier eingefunden
       haben, ist es still. Unzählige Grablichter brennen, dazwischen liegen
       Bilder der Toten, Trauerbriefe, Plüschtiere und Keramikengel. Aus
       Teelichtern sind Kreuze, ineinander verschlungene Herzen oder die Zahl 21
       geformt. Zwischen Blumen liegen handgeschriebene Schilder. "Wir wollten
       zusammen feiern, und nicht um unser Leben kämpfen" ist da beispielsweise zu
       lesen.
       
       An der Stelle am Tunnelausgang, an der die Besucher zu Tode getrampelt und
       gequetscht wurden, ragt ein großes, weißes Kreuz in den Himmel. An der
       Absperrung davor wehen Flaggen der Länder, aus denen die Verunglückten
       stammen: Spanien, Deutschland, Australien, Italien, Niederlande,
       Bosnien-Herzegowina. Hier verharren die Menschen im stillen Gebet, weinen,
       umarmen und trösten sich gegenseitig. Für einige sind die Eindrücke noch zu
       überwältigend, sie brechen zusammen und müssen von Rettungssanitätern
       behandelt werden.
       
       Auch für André Druch sind die Erinnerungen an die Loveparade noch zu
       schmerzhaft; er muss das Gespräch zwischenzeitlich abbrechen, an die
       frische Luft, eine Zigarette rauchen. Der Bochumer Student war gemeinsam
       mit zwei Freunden in dem Kessel, in dem 21 Personen zu Tode gequetscht
       wurden. Plötzlich seien sie mitten in der panischen Masse gewesen, nichts
       ging mehr.
       
       "Alle haben um Hilfe geschrien", schildert er die Situation "und es wurde
       immer enger". Dennoch hätten die Ordner sie immer weiter nach vorne
       geschickt und Polizisten zugeschaut. Zu dieser Zeit habe bei ihm eine
       Todesangst eingesetzt: "Denn wir konnten nicht mehr vor oder zurück,
       Menschen um uns herum bekamen keine Luft mehr." Druch und seinen Freunden
       gelang es, auf einen Container zu steigen und an einem Kabel nach oben zu
       klettern. Erst zu Hause sei ihnen klar geworden, was gerade um sie herum
       geschehen sei. Seitdem schaut er sich alle Sendungen zu dem Thema an, liest
       alle Nachrichten dazu. Als wolle Druch sich immer selbst versichern, dass
       er es aus der Panik rausgeschafft hat.
       
       In die Trauer über die Katastrophe mischt sich immer mehr Zorn auf die
       politisch Verantwortlichen, zuallererst auf den Duisburger
       Oberbürgermeister Adolf Sauerland. Dessen Pressesprecherin Anja Huntgeburth
       sagt, dass sie eigentlich nichts sagen kann. "Wir sind Gegenstand
       staatsanwaltlicher Ermittlungen. Alles, was eine Stadt sagt, kann gegen uns
       verwendet werden", lautet ihre Begründung.
       
       Hunderte Menschen demonstrieren an diesem Tag vor dem Duisburger Rathaus
       und fordern den Rücktritt des CDU-Oberbürgermeisters. Sauerland hat dies
       stets abgelehnt, obwohl inzwischen auch Ministerpräsidentin Hannelore Kraft
       oder der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, Wolfgang Bosbach
       (CDU), ihm diesen Schritt mehr oder minder offen nahegelegt haben.
       
       "Ich weiß, dass Sie von mir Antworten erwarten. Ich kann Ihnen diese heute
       nicht geben. Aber ich werde Ihnen diese geben, sobald sie vorliegen", ist
       auf der [1][Homepage des Bürgermeisters] zu lesen. An der Trauerfeier am
       Samstag, zu der auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und Staatspräsident
       Christian Wulff erwartet werden, wird er nicht teilnehmen. Er wolle, wie er
       Mitte der Woche wissen ließ, durch seine Anwesenheit nicht provozieren.
       
       Während eine Woche nach der Massenpanik Veranstalter, Stadtverwaltung und
       Polizei sich gegenseitig die Verantwortung zuschieben und die
       Staatsanwaltschaft noch gegen unbekannt wegen fahrlässiger Tötung
       ermittelt, ist die Stimmung in Duisburg ganz klar: "Kein Geld der Welt ist
       Menschenleben wert, Herr Sauerland", hat jemand auf ein Stück Pappe
       gekritzelt und zwischen Sonnenblumen in den Tunnel gelegt. "Sauerland und
       Schaller sind Verbrecher" ist auf einer Plakatwand zu lesen, daneben steht:
       "Ein Menschenleben ist wichtiger als ,Einfach gut aussehen'." Gemeint ist
       der Loveparade-Veranstalter Rainer Schaller, der mit diesem Slogan für
       seine Fitnesskette McFit wirbt.
       
       Eine Bürgerinitiative hat im Tunnel ein Kondolenzbuch ausgelegt, vor dem
       die Menschen Schlange stehen. Eigentlich sollte es schon am Mittwoch
       geschlossen werden. "Aber die Leute werden einfach nicht weniger", sagt
       Hildegard Jansen, eine der Helferinnen, die an der Mahnwache Stellung
       halten, und fügt hinzu: "Solange die Leute kommen, bleibt das Buch hier."
       Die Krankenhaus-Seelsorgerin sitzt auf einem Klappstuhl neben dem
       Kondolenzbuch. Wer sie ansprechen will und Rat braucht, kann das gerne tun;
       wer es nicht will, darf es auch lassen.
       
       Dirk Oberhagemann sei von Anfang an klar gewesen "dass hier etwas Schlimmes
       passieren wird". Der 41-jährige Katastrophenforscher ist Koordinator der
       Studie "Risiko Großveranstaltung: Planung, Evakuierung und
       Rettungskonzepte", die das Bundesforschungsministerium vor einem Jahr in
       Auftrag gegeben hat. Deswegen wollte er zu Forschungszwecken im
       Tunnelbereich filmen - wie schon so oft auf Großveranstaltungen in
       Deutschland. Er bat den Veranstalter der Loveparade - die Lopavent GmbH,
       deren Geschäftsführer Rainer Schaller ist - um eine Dreherlaubnis. Diese
       Bitte wurde abgelehnt. "Der Tunnel sei ein sehr sensibler Punkt. Dort
       wollen wir keine Externen haben", habe es zur Begründung geheißen, erzählt
       Oberhagemann und ist sich sicher: "Die wussten genau, dass hier ein heikler
       Punkt ist. Deshalb sollte ich nicht dabei sein." Trotzdem fuhr er nach
       Duisburg und beobachtete die Loveparade aus dem 14. Stock eines Hochhauses.
       "Das vorgelegte Zu- und Abstromkonzept wäre zu keinem Zeitpunkt
       realisierbar gewesen", sagt er der taz.
       
       Michael Schreckenberg, Verkehrsforscher von der Universität Duisburg-Essen,
       hat das Sicherheitskonzept für die Loveparade begutachtet. Auf Anfragen der
       taz reagiert er nicht. In den ersten Tagen nach dem Unglück hatte er noch
       in Interviews zynische Sätze wie diesen von sich gegeben: "Tunnel hin,
       Tunnel her: Es ist überprüft worden, dass die Kapazität für die
       Menschenmenge pro Stunde ausreichend ist." Nur das "Fehlverhalten
       Einzelner", aber keine Panik wollte der Panikexperte erkennen.
       
       André Druch wird wütend, wenn er so etwas hört. "Wer nicht vor Ort war,
       kann das nicht beurteilen", sagt er. "Neben mir waren Menschen, die
       umgefallen sind. Und da soll man nicht von einer Massenpanik sprechen?" Der
       28-Jährige hat mit seinen Freunden Anzeige gegen den Veranstalter und gegen
       die Polizei wegen unterlassener Hilfeleistung erstattet.
       
       Auch Manuel Lippka war mittendrin, als die Menschen in tödliche Panik
       verfielen. Dem 30-jährigen Schweißer aus Hude sei zunächst überhaupt nicht
       bewusst gewesen, welche Katastrophe sich gerade um ihn herum abspiele. Es
       sei eng gewesen, die Menschen unruhig, und auch die Krankenwagen haben ihn
       nicht weiter beunruhigt. "Das gehört einfach zur Loveparade dazu", so Hude,
       der schon zwölfmal auf der Loveparade war. Irgendwann habe sich der Stau
       aufgelöst, und Hude fuhr heim. "Erst im Auto habe ich von dem Unglück
       erfahren", und da begann die Aufarbeitung der Eindrücke. Seitdem wird er
       die Schreckensbilder nicht mehr los, sieht immer wieder, wie Menschen um
       sich schlagen, andere treten, um zu entkommen.
       
       Auf der Trauerfeier am Samstag in der Salvatorkirche, die in mehreren
       Kirchen der Stadt und im Duisburger Stadion auf Leinwänden übertragen
       werden soll, wird André Druch den Oberbürgermeister nicht vermissen:
       "Niemand fühlt sich verantwortlich", sagt der junge Mann. "Das ist ein Hohn
       für die Opfer."
       
       30 Jul 2010
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.adolf-sauerland.de/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Cigdem Akyol
       
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       überfordert, die Polizei reagierte mit Verzögerung. Bundespräsident Wulff
       legt OB Sauerland den Rücktritt nahe.
       
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