# taz.de -- Interview Christa Goetsch zu Schwarz-Grün: "Eine extrem unruhige Zeit"
       
       > Schulpolitik nach der Klatsche vom Volk, Schwarz-Grün nach dem
       > angekündigten Rücktritt von Ole von Beust. Hamburgs grüne Zweite
       > Bürgermeisterin zieht eine Bilanz.
       
 (IMG) Bild: An ihr hängt die Zukunft von Schwarz-Grün: Die Zweite Bürgermeisterin Christa Goetsch.
       
       taz: Frau Goetsch, beim Volksentscheid über die Schulreform vor zwei Wochen
       haben Sie eine Niederlage erlitten. Warum sind Sie immer noch im Amt? 
       
       Christa Goetsch: Die Frage des Rücktritts muss sich jeder in so einer
       Situation stellen. Inhaltlich können wir aber einen Großteil unserer
       Vorstellungen umsetzen. Unser grünes Programm "Neun macht klug" hat neun
       Bausteine, davon wurde einer, das längere gemeinsame Lernen, abgelehnt. Für
       die Realisierung der anderen sehe ich mich weiterhin in der Verantwortung.
       
       Sie interpretieren den Volksentscheid so, dass Sie zu acht Neunteln
       erfolgreich waren? 
       
       Nein, ein wichtiger Teil unserer Schulreform kann jetzt nicht umgesetzt
       werden. Das ist eine Niederlage. Viele andere Verbesserungen können und
       werden wir aber umsetzen. Deshalb habe ich für mich die Entscheidung
       getroffen, nicht zurückzutreten.
       
       Hat der Rücktritt von Bürgermeister Ole von Beust am Tag des
       Volksentscheids den Blick von Ihnen abgelenkt? 
       
       Über seinen Rücktritt hat der Bürgermeister selbst entschieden. Wir Grüne
       sind darüber nicht glücklich, auch nicht über den Zeitpunkt. Wir werden
       jetzt damit umgehen müssen.
       
       Sie stehen dazu, während andere sich vom Acker machen? 
       
       Das muss jeder selbst entscheiden. Gescheitert am Volkswillen ist der
       "Baustein" sechsjährige Primarschule.
       
       War es ein Fehler, es überhaupt zu versuchen? 
       
       Nein. Das längere gemeinsame Lernen hat inhaltliche pädagogische Gründe. Es
       ging darum, die frühe Trennung der Kinder zu durchbrechen und damit ein
       gerechteres Schulsystem zu erreichen. Das ist nicht gelungen.
       
       Gab es Fehler bei der Vermittlung? 
       
       Wir haben es nicht geschafft, zu überzeugen und zu begeistern. Dabei hat
       vieles eine Rolle gespielt. Zum Beispiel ist die Angst vor Neuem bei vielen
       Eltern vorhanden, und eine lang anhaltende Kampagne hat das verstärkt.
       
       Es gab früh Warnungen davor, die Gymnasien anzutasten. Warum haben Sie
       nicht darauf gehört? 
       
       Es ging nie darum, die Gymnasien anzutasten oder gar abzuschaffen, sondern
       auch sie - beispielsweise durch individualisierten Unterricht - weiter zu
       entwickeln. Die Idee war: Wir wollten die qualitative Verbesserung der
       Schule mit der strukturellen Veränderung verbinden. Nachdem wir jetzt das
       längere gemeinsame Lernen nicht umsetzen können, bleibt die Frage, wie wir
       alle Jugendlichen besser qualifizieren und die Zahl der Bildungsverlierer
       senken können. Die Gerechtigkeitsfrage bleibt doch bestehen.
       
       Warum war die nicht vermittelbar? 
       
       Da spielt einiges zusammen. Wir haben sehr sachlich und fachlich
       argumentiert, auf der anderen Seite waren hohe Emotionen im Spiel. Dagegen
       haben wir leider nicht erfolgreich angearbeitet.
       
       Sie haben wiederholt die frühe Aufteilung der Kinder nach der vierten
       Klasse als Fehler bezeichnet. Gilt das noch? 
       
       Natürlich. Aber der Volksentscheid ist eine klare Ansage. Ich bin als
       Senatorin verpflichtet, das umzusetzen.
       
       Macht Ihnen das Probleme? 
       
       Ich sehe es als meine Aufgabe an, dafür zu sorgen, dass die Ungerechtigkeit
       des Systems durch andere Verbesserungen abgemildert wird: durch den Ausbau
       von Ganztagsschulen, durch die neuen Stadtteilschulen, den Ausbau der
       Sprachförderung, die verbindliche Berufsorientierung und anderes mehr. All
       dies hilft, auch den Jugendlichen mit schlechten Startchancen zu
       vernünftigen beruflichen Perspektiven zu verhelfen.
       
       Ein Beispiel? 
       
       Wir haben in Hamburg ein neues Modell für den Übergang von der Schule zum
       Beruf entwickelt. Jeder Schüler, der es braucht, bekommt ab der achten
       Klasse einen Betreuer zur Seite gestellt, der ihn so lange begleitet, bis
       er eine Ausbildung aufgenommen hat. Das ist bundesweit einmalig und soll
       "Risikoschülern" helfen, Fuß zu fassen.
       
       Was ist daran noch originär grüne Schulpolitik? 
       
       Alles. Unser Programm "Neun macht klug" von 2002 enthält klare Aussagen:
       Erfolgreiche Schulen sind Ganztagsschulen, sie öffnen sich zum Stadtteil,
       achten auf Qualität und Leistung, sie fördern, statt die Schüler
       sitzenbleiben zu lassen. Erfolgreiche Schulen sind auch demokratische
       Schulen, die die Schulgemeinschaft beteiligen: so weit, so grün.
       
       Ein Überbleibsel der Reform sind die 23 Grundschulen, sogenannte
       "Starterschulen". Die haben schon 2009 als Primarschulen mit verändertem
       Stundenplan und Konzept begonnen. Was wird aus denen? 
       
       Sie können nach den Ferien mit dem Unterricht in den 5. Klassen beginnen
       und genießen Vertrauensschutz bis zur 6. Klasse.
       
       Sollen sie in einen Schulversuch überführt werden? 
       
       Wir als Behörde werden keinen Schulversuch anordnen. Aber wenn die Schulen
       wollen, können sie ihn beantragen.
       
       Also Einführung der Primarschule durch die Hintertür? 
       
       Nein. Diese Schulen haben intensive Pionierarbeit geleistet und haben das
       Recht, einen Antrag aus Schulversuch zu stellen.
       
       SPD, CDU und Grüne in Hamburg haben im Frühjahr einen Schulfrieden
       geschlossen. Für zehn Jahre soll die Schulstruktur nicht angetastet werden.
       Gilt der Schulfrieden? 
       
       Der Schulfrieden bezog sich auf die sechsjährige Primarschule, die ja nun
       leider nicht kommt. Aber ich glaube, nach dem Volksentscheid wird keine
       Partei das Thema so bald wieder auf die Tagesordnung setzen.
       
       Sie akzeptieren den Volksentscheid, aber nicht für alle Zeiten? 
       
       Das Referendum gilt, aber was in zehn Jahren ist, kann ich nicht
       vorhersehen.
       
       Aber die grüne Programmatik vom längeren gemeinsamen Lernen … 
       
       … bleibt grüne Programmatik.
       
       Zu dieser gehört auch die direkte Demokratie. Sehen Sie nach dem
       Volksentscheid Überarbeitungsbedarf? 
       
       Gerade nach einer solchen Niederlage ist man gut beraten, die
       Volksgesetzgebung nicht infrage zu stellen. Wir sind keine schlechten
       Verlierer. Mögliche Weiterentwicklungen jedoch werden schon seit Monaten
       zwischen den Fraktionen in der Bürgerschaft und dem Verein Mehr Demokratie
       diskutiert mit dem Ziel, einen Konsens zu erzielen. Die Ergebnisse sollen
       im Herbst präsentiert werden. Warten wir sie ab.
       
       Wird auch das Problem der etwa 200.000 migrantischen Eltern gelöst, die
       beim Volksentscheid gar nicht abstimmen durften, obwohl ihre Kinder
       inzwischen einen großen Teil der Schüler ausmachen? 
       
       Das ist eine sehr bedauerliche Tatsache, ähnlich wie beim kommunalen
       Wahlrecht und beim Wahlrecht für hier lebende EU-Bürger. Das wird aus
       verfassungsrechtlichen Gründen nicht einfach zu lösen sein, fürchte ich.
       
       Wie geht es mit der Koalition in Hamburg weiter? Wird Schwarz-Grün die
       eineinhalb Jahre "Restlaufzeit" bis zur regulären Neuwahl durchstehen? 
       
       Wir haben jetzt sicherlich eine extrem unruhige Zeit. Wir Grüne erwarten
       von der CDU das klare Bekenntnis zum Koalitionsvertrag und zur Fortsetzung
       einer fortschrittlichen Großstadtpolitik, wie Herr von Beust sie
       repräsentiert hat. Wenn der designierte Bürgermeister Ahlhaus sich Mitte
       August auf einem internen Mitgliederabend der grünen Basis vorstellt, wird
       er sich erklären müssen.
       
       Was lässt Sie so an der CDU und ihrem Bürgermeisterkandidaten zweifeln? 
       
       Ich persönlich habe Herrn Ahlhaus in zweieinhalb Jahren Senat nicht als
       konservativen Hardliner erlebt, sondern als verlässlichen und pragmatischen
       Kollegen. Die Gemütslage in der grünen Partei ist aber sicher vielfältig.
       Das wird alles auf dem Mitgliederabend besprochen, vier Tage später wird
       ein Parteitag entscheiden.
       
       Wie denken Sie über schlagende Verbindungen? 
       
       Dass Herr Ahlhaus als "Konkneipant" eine Art Ehrenmitglied einer
       schlagenden Verbindung in Heidelberg war, war uns in der Tat neu. Das hat
       zu Irritationen geführt. Wir haben eine Erklärung verlangt, und Herr
       Ahlhaus hat sich erklärt. Und er hat meines Wissens die Verbindung in einem
       Brief aufgefordert, ihn aus den Listen zu streichen. Das wird bestimmt ein
       lebhafter Mitgliederabend werden.
       
       2 Aug 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kaija Kutter
 (DIR) Sven-Michael Veit
       
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