# taz.de -- Verkehrsprojekt in Nationalpark: Serengeti soll doch sterben
       
       > Eine Fernstraße soll mitten durch die Serengeti gebaut werden.
       > Umweltschützer sind entsetzt. Die größte Tierwanderung der Welt wäre
       > durch Schwerlastverkehr bedroht.
       
 (IMG) Bild: Bis zu 50 Kilometer am Tag legen Gnus, Zebras und Antilopen während ihrer Wanderzeit im Nationalpark zurück.
       
       NAIROBI taz | Wenn die Hufe der Gnus im Gleichtakt auf die trockene Savanne
       trommeln, bebt der Boden noch in weiter Ferne. Bis zu 40 Kilometer lang
       sind manche der Kolonnen, in denen jedes Jahr mehr als zwei Millionen Gnus,
       Zebras und Antilopen vom Süden in den Norden der tansanischen Serengeti und
       schließlich in Kenias Naturpark Massai Mara wandern. 50 Kilometer am Tag
       legen die Tiere zurück, erst am Fluss Mara halten sie inne. Immer wieder
       testen einzelne Gnus das von Krokodilen wimmelnde Wasser, bis sich ohne
       Vorwarnung tausende Tiere gleichzeitig in den brodelnden Fluss werfen, um
       das rettende Ufer auf der anderen Seite zu erreichen.
       
       "Dieses Spektakel ist weltweit einmalig", urteilt Peter Boeheim, der die
       Siria-Lodge in der Massai Mara betreibt. Seit zwei Wochen wandern die Tiere
       wieder ein, alle Camps sind ausgebucht. "Die meisten Hotels leben von den
       vier Monaten, in denen die Migration stattfindet." Ab September machen die
       Tiere wieder kehrt und wandern in den Süden der Serengeti zurück. In der
       Zeit machen Reiseunternehmer hier den größten Umsatz. Denn die meisten der
       jährlich 150.000 Besucher kommen, um die größte Tierwanderung der Welt zu
       sehen.
       
       Doch die könnte bald Geschichte sein, wenn Tansanias Regierung wie
       angekündigt eine Fernstraße quer durch den als Unesco-Welterbe geschützten
       Park baut. "Das ist die schlimmste Bedrohung für die Serengeti seit
       Jahrzehnten", warnt Markus Borner. Der Afrikadirektor der Zoologischen
       Gesellschaft Frankfurt arbeitet mitten im Park als Nachfolger von Bernhard
       Grzimek, der die Serengeti mit seinem oscargekrönten Dokumentarfilm
       "Serengeti darf nicht sterben" weltberühmt machte. "Grzimek würde sich im
       Grab rumdrehen, wenn er wüsste, dass man die Serengeti einfach zerschneiden
       will."
       
       Ein 480 Kilometer langer Highway soll Tansanias zweitgrößte Stadt Arusha
       mit der Hafenstadt Musoma am Viktoriasee verbinden. Bislang müssen Reisende
       mehr als 400 Kilometer Umweg in Kauf nehmen, um den Nationalpark zu
       umgehen. Die neue Trasse würde hingegen von Arusha zum südlichen Ende des
       wegen seines Vogelreichtums berühmten Natronsees führen und von dort in den
       Norden der Serengeti. Die Straße soll den Park an seiner schmalsten Stelle
       auf einer Länge von 53 Kilometern durchqueren. Die Straße selbst und zwei
       jeweils fünfzig Meter breite Streifen rechts und links davon sollen aus dem
       Schutzgebiet herausgelöst werden - damit wäre die Serengeti in eine
       nördliche und eine südliche Hälfte geteilt. "Durch die Loslösung aus dem
       Nationalpark gelten auf der Straße nicht die Nationalparkregeln", warnt
       Borner. In der Serengeti ist die Geschwindigkeit auf 50 Kilometer pro
       Stunde begrenzt, es gilt Nachtfahrverbot, und große Lastwagen sind ganz
       verboten.
       
       Borner sieht die Gefahr, dass der Verkehr stark zunehmen könnte. Die neue
       Straße wäre die kürzeste Verbindungsroute zwischen Kenias Hafenstadt
       Mombasa und Ruanda, Burundi und dem Osten Kongos, die keinen Zugang zum
       Meer haben. "Vor allem der Schwerlastverkehr würde explosionsartig
       ansteigen", prognostiziert Borner. Von Mombasa in die Große-Seen-Region
       wurden im vergangenen Jahr sechs Millionen Tonnen Güter transportiert - mit
       Lastwagen, eine funktionierende Eisenbahnverbindung gibt es nicht. "Das
       entspricht mehr als 400 großen Trucks pro Tag, die durch die Serengeti
       fahren würden - und jedes Jahr werden es mehr." Zwar sind Herdentiere
       durchaus in der Lage, auf ihrer Wanderung Straßen zu überqueren. Doch wenn
       zehntausende Tiere zum gleichen Zeitpunkt eine stark befahrene Straße
       queren, wären Unfälle unvermeidlich, so Borner. "Wir befürchten, dass
       Tansanias Straßenamt dann das tun wird, was wir schon in anderen Ländern
       gesehen haben: Zäune aufstellen, um den Verkehr zu schützen. Das wird die
       Migration sehr schnell zum Erliegen bringen."
       
       Studien zeigen, wie gut gemeinte Barrieren der Migration in Botswana ein
       Ende gesetzt haben. Um Rinderherden vor der Maul-und-Klauen-Seuche zu
       schützen, die von Büffeln übertragen wird, wurden überall im Land Zäune
       errichtet. Giraffen verfingen sich in den bis zu zwei Meter hohen Zäunen,
       während Elefanten sich beim Angriff auf die neuen Barrieren verletzten. Am
       schlimmsten betroffen aber waren wandernde Gnus und Zebras, die sich auf
       einmal nicht mehr zurechtfanden. Populationen wurden getrennt, die Zahl der
       Tiere nimmt in Botswana wie auch im namibischen Caprivi-Streifen seither
       kontinuierlich ab.
       
       "Wenn Gnus, Zebras und Antilopen in der Serengeti nicht mehr nach Norden
       ziehen können, werden von den zwei Millionen Tieren vielleicht hundert-,
       maximal zweihunderttausend überleben", glaubt Borner. In der Trockenzeit
       sind die Herdentiere auf das Wasser und das Gras in der Massai Mara
       angewiesen. Das Aussterben großer Mengen der Herdentiere hätte dramatische
       Auswirkungen auf das ganze Ökosystem.
       
       Doch von solchen Warnungen will Tansanias Regierung derzeit ebenso wenig
       hören wie von drohenden Ausfällen im Tourismusgeschäft, das mit 1 Milliarde
       US-Dollar Umsatz pro Jahr die wichtigste Devisenquelle des Landes ist. "Das
       Projekt wird weder das Ökosystem der Serengeti beeinflussen, noch wird es
       die Migration stören", ereifert sich ausgerechnet die Ministerin für
       Tourismus und natürliche Ressourcen, Shamsa Mwangunga. Auf Details will sie
       nicht eingehen. "Die Kritiker des Straßenbaus kennen unsere Pläne doch gar
       nicht", setzt sie stattdessen aufgebracht nach.
       
       Stimmt. Tansanische Naturschützer, wie etwa der Wildlife Conservation
       Society, bemängeln, dass die Regierung die genauen Pläne geheim hält. Auch
       an der Umweltverträglichkeitsprüfung, die nach Angaben der Behörden zurzeit
       durchgeführt wird, ist keine Naturschutzorganisation beteiligt. "Die Studie
       wird Ende des Jahres fertig sein", gibt sich der zuständige Regionalmanager
       der tansanischen Straßenbaubehörde, Deusdedit Kakoko, von der Kritik
       unbeeindruckt. "Im Januar veröffentlichen wir die ersten Ausschreibungen,
       spätestens 2012 ist Baubeginn."
       
       Dass die Politik so unnachgiebig an den Plänen für den Highway durch die
       Serengeti festhält, ist umso erstaunlicher, als das gleiche Projekt vor
       mittlerweile 14 Jahren schon einmal gescheitert ist. Die renommierte
       Beratungsfirma Norconsult untersuchte damals Pläne für den gleichen
       Straßenverlauf und kam in ihrem Abschlussbericht zu dem Urteil, "dass eine
       kommerzielle Straße durch den Serengeti-Nationalpark wegen der
       substanziellen Umweltbelastung nicht gebaut werden sollte". Doch nicht nur
       ökologisch, auch wirtschaftlich halten die Gutachter den Plan für unsinnig.
       "Es ist die Ansicht der Berater, dass es andere Straßenprojekte in Tansania
       gibt, die ökonomisch sinnvoller wären als eine direkte Straßenverbindung
       zwischen Makuyuni und Musoma", heißt es im der taz vorliegenden Bericht.
       Die Weltbank lehnte nach der Veröffentlichung des Berichts jede
       Unterstützung des Straßenbaus ab.
       
       Auch jetzt ist die Finanzierung nicht gesichert. Auf 480 Millionen
       US-Dollar schätzt die Regierung die Kosten. Niemand in Tansania glaubt,
       dass der Westen oder globale Organisationen wie die Weltbank bereit wären,
       das umstrittene Projekt zu finanzieren. Doch in Daressalaam, wo Tansanias
       Politik gemacht wird, halten Diplomaten es für möglich, dass China das
       benötigte Geld bereitstellen könnte. Dafür spricht, dass hinter der aktuell
       durchgeführten Umweltverträglichkeitsprüfung ein chinesisch-indisches
       Unternehmen stecken soll. Wohl auch deshalb wächst der Druck der
       Gebernationen auf Tansanias Präsident Jakaya Kikwete. So soll die deutsche
       Botschaft mit dem Einfrieren aller Entwicklungshilfe gedroht haben, sollte
       die Straße tatsächlich gebaut werden. Auch die Unesco hat in einem Brief
       bereits angekündigt, der Serengeti im Ernstfall ihren Status als Welterbe
       zu entziehen.
       
       Kikwete stellt sich im Oktober zur Wahl: Nicht wenige glauben, dass das
       Straßenprojekt als Wahlkampfschlager aufgelegt worden ist, um Wähler im
       wirtschaftlich weitgehend abgehängten Westen des Landes zu gewinnen. "Wir
       bauen die Straße, weil wir es im letzten Wahlkampf versprochen haben",
       beharrt denn auch Umweltministerin Mwangunga. Auf das Signal kommt es an.
       
       Zu denen in der regierenden Partei der Revolution (Chama Cha Mapinduzi,
       CCM), die über diese Art von Wahlkampf den Kopf schütteln, gehört James
       Lembeli. Der CCM-Abgeordnete, der vor seiner Wahl 2005 zwölf Jahre lang als
       Umweltschützer gearbeitet hat, ist entsetzt. "Die Konsequenzen dieser
       Straße wären katastrophal, auch weil Wilderer den Zugang zur Serengeti für
       ihre kriminellen Geschäfte nutzen würden." Dabei gibt es eine Alternative:
       Borner hat eine Südumgehung in die Diskussion gebracht, die die Serengeti
       nicht berührt, vierzig Kilometer kürzer ist und eine bevölkerungsreiche
       Region erschließt, in der fünfmal so viele Menschen leben wie entlang der
       anderen Trasse. Der Plan hat nur einen Haken: Im Süden der Serengeti liegt
       das Herzland der Opposition. Deren Anhänger aber will die Regierung so kurz
       vor der Wahl bestimmt nicht bevorzugen.
       
       2 Aug 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) M. Engelhardt
       
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