# taz.de -- Wikileaks-Server in Schweden: Ungeschützte Informanten
       
       > Wikileaks behauptet, Informanten seien durch den schwedischen
       > Quellenschutz geschützt. Verfassungsexperten bezweifeln es. Das Pentagon
       > soll Interesse an den Servern haben.
       
 (IMG) Bild: Falsches Wissen? Wikileaks-Gründer Julian Assange soll Verfassungsrechte in Schweden nicht richtig kennen.
       
       STOCKHOLM taz | In einem ehemaligen unterirdischen Schutzraum im
       Stockholmer Vorort Solna steht ein wichtiges Standbein von Wikileaks. Eine
       Batterie von Servern, über die ein Großteil des Datenverkehrs der
       Internet-Plattform läuft. Die Server gehören der Firma PRQ und Wikileaks
       ist einer ihrer größten Kunden.
       
       PRQ wurde vor einigen Jahren von zwei bekannten schwedischen IT-Aktivisten
       gegründet: Gottfrid Svartholm Warg und Fredrik Neij, die bis zum
       vergangenen Jahr auch den Bit-Torrent-Tracker „Pirate Bay“ betrieben haben.
       Formal leitet jetzt Mikael Viborg PRQ, auch er kommt aus dem „Pirate
       Bay“-Umfeld.
       
       Die Server in Solna spielen eine zentrale Rolle für die
       Wikileaks-Aktivitäten, berichtete Wikileaks-Gründer Julian Assange neulich
       in einem Interview des schwedischen Rundfunks. Und sie böten Informanten
       Sicherheit, weil für sie der schwedische Quellenschutz gelte.
       Whistleblower, die ein vertrauliches Dokument an Wikileaks übermitteln,
       könnten wegen dieses schwedischen Standorts sicher sein, heißt es auch auf
       der Wikileaks-Webseite: Online-Kontakte würden neben belgischen über diese
       schwedischen Server geleitet, da der schwedische Quellenschutz zu den
       stärksten der Welt gehöre. Informanten seien auch deshalb vor
       Nachspürversuchen geschützt.
       
       Doch schwedische Verfassungsexperten machen jetzt ein dickes Fragezeichen
       hinter diese Behauptungen. Zwar ist es korrekt, dass Schweden einen
       umfassenden Quellenschutz hat. Sowohl JournalistInnen selbst, die ihre
       Quelle verraten, als auch Strafverfolgungsbehörden, die eine Quelle
       aufdecken wollen, würden sich strafbar machen. Doch dieser Schutz gilt bei
       traditionellen Medien und Internetmedien nur, wenn diese den
       „Utgivningsbevis“, eine spezielle schwedische Lizenz haben. Die jedoch
       fehlt Wikileaks.
       
       Wikileaks mache es sich deshalb zu einfach, erklärte Håkan Rustand vom
       schwedischen "Justitiekanslern" am Samstag gegenüber der in Malmö
       erscheinenden Tageszeitung Sydsvenska Dagbladet. Der „Justitiekanslern“ ist
       in Schweden zuständig für den Schutz der Grundrechte - auch für den
       Informatenschutz.
       
       Auf den schwedischen Quellenschutz könne sich Wikileaks im Konfliktfall
       wegen des fehlenden „Utgivningsbevis“ nicht berufen, meint Rustand. Es sei
       auch fraglich, ob Wikileaks diese Lizenz überhaupt erhalten könne. Es fehle
       den Betreibern nämlich ein schwedischer Bezug: Im Lande werde weder eine
       Redaktion noch eine förmliche Niederlassung betrieben. Der bloße Standort
       von Servern in einem Keller in Solna allein reiche jedenfalls nicht aus.
       
       Bei der Verabschiedung des Gesetzes habe wohl niemand an ein Medium wie
       Wikileaks denken können, sagt Rustand. Weshalb dessen Status erst in einem
       konkreten Streitfall geklärt werden müsste. Würde die Webseite aber nicht
       dem schwedischen Grundrechtsschutz unterliegen, gelte das allgemeine
       Strafrecht. Und das könne durchaus zulassen, dass ein Staatsanwalt versuche
       die Identität eines Informanten herauszufinden.
       
       Anders R. Olsson, Journalist und Spezialist für Meinungsrechtsfragen, teilt
       die Analyse von Rustand. Und er findet es „sehr seltsam“, dass Wikileaks
       unter Bezug auf den schwedischen Quellenschutz an Informanten
       Versicherungen abgebe, die recht fragwürdig seien: Offensichtlich sei
       Wikileaks „sich über die Rechtslage nicht klar“.
       
       Die Server in Solna seien mittlerweile ins Blickfeld des Pentagon gerückt,
       will die Tageszeitung Dagens Nyheter erfahren haben. Washington versuche
       derzeit mit allen möglichen Mitteln die Veröffentlichung von vermutlich
       15.000 weiteren Dokumenten über den Afghanistan-Krieg zu verhindern, die
       Wikileaks habe, schätzt Anders Hellner vom Stockholmer außenpolitischen
       Forschungsinstitut „Utrikespolitiska Institutet“: „Ich bin überzeugt, dass
       man das zwischen den USA und Schweden diskutiert. Ermöglichen gewisse
       Länder diese Aktivitäten und hat man die Möglichkeit darauf Einfluss zu
       nehmen, dann versucht man das auch.“ Und schließlich liege es auch im
       schwedischen Interesse, dem westlichen Einsatz in Afghanistan nicht zu
       schaden.
       
       Der schwedische Außenminister Carl Bildt reagierte auf diesen Bericht mit
       einem aufallend schwammigen Dementi. Natürlich gebe es zwischen Stockholm
       und Washington laufende Kontakte über die „Afghanistanoperation“. Aber
       nicht konkret zu Wikileaks: „Jedenfalls nicht, soweit ich informiert bin.“
       
       Schwedens Regierung ist in der Vergangenheit in bezug auf
       Internet-Infrastruktur zumindest zweimal mit dem Grundrechtsschutz nicht
       allzu „pingelig“ umgegangen: 2006 beschlagnahmte sie 180 Server von „Pirate
       Bay“, die Voraussetzung für den anschließenden Prozess gegen die
       Filesharing-Seite. Die Aktion soll durchgeführt worden sein, nachdem
       Washington Schweden Handelssanktionen angedroht hatte, würden sie "Pirate
       Bay" weiter gewähren lassen.
       
       Und auf direkte Intervention des Außenministeriums in Stockholm, das mit
       dem nationalen Sicherheitsinteresse argumentierte, sperrte ebenfalls 2006
       ein Provider „freiwillig“ einen Kunden, der eine Publikation mit
       „Mohammed-Karikaturen“ ins Netz gestellt hatte.
       
       8 Aug 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Reinhard Wolff
       
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