# taz.de -- Greenpeace Russland über Waldbrände: "Putin weiß nicht, was im Land los ist"
       
       > Die Umweltaktivisten Kreindlin und Tschuprow über die ökologischen Folgen
       > der Waldbrände, die Schuld Putins und die Hackerangriffe auf ihre Website
       > zur Feuerkatastrophe.
       
 (IMG) Bild: Gasmaske und Mundschutz sind zum Alltag in Moskau geworden.
       
       Herr Kreindlin, steht Russland vor einer ökologischen Katastrophe? 
       
       Michail Kreindlin: Wir haben es mit keinem Super-GAU zu tun, der mit einer
       nuklearen Katastrophe vergleichbar wäre. Die Vernichtung des Ökosystems
       Wald lässt sich jedoch nicht mehr leugnen. Es wird hundert Jahre dauern,
       bis die Schäden an Fauna und Flora beseitigt sind.
       
       Wer trägt die Schuld, dass sich die Waldbrände ausweiten konnten? Gab es
       denn kein Frühwarnsystem? 
       
       Michail Kreindlin: Das zentrale Forstwesen ist mit dem neuen Waldkodex 2007
       abgeschafft worden. Bis dahin kontrollierten 70.000 Mitarbeiter die
       einzelnen Waldgebiete. Sie bekämpften Brandherde schon im Anfangsstadium.
       Der neue Waldkodex schaffte die Einrichtung der Waldhüter ab und übertrug
       die Zuständigkeiten an die regionalen Behörden und die privaten Pächter.
       Statt der 70.000 Waldhüter befassen sich jetzt 12.000 neu eingestellte
       Mitarbeiter mit bürokratischer Papierarbeit.
       
       Ökologisches Bewusstsein ist in Russland kaum vorhanden. Auch der
       Klimawandel wurde von vielen Experten und Politikern nicht ernst genommen.
       Oft war davon die Rede, dass es sich dabei um eine Erfindung des Westens
       handele, der damit Profit machen möchte. Ändert sich daran jetzt etwas,
       Herr Tschuprow? 
       
       Wladimir Tschuprow: Die Diskussion wird sicherlich ernster geführt. Dass
       sich die Brandkatastrophe aber auf das breite öffentliche Bewusstsein
       auswirken wird, glaube ich erst mal nicht. Das wird noch Jahre dauern.
       
       Ist die fehlende Sensibilität auch der Grund für die Brände? Die Politiker
       schieben die Verantwortung auf den leichtsinnigen Umgang der Waldbesucher
       mit dem Feuer. 
       
       Michail Kreindlin: 99 Prozent aller Brandherde sind auf menschliches
       Fehlverhalten zurückzuführen. Das ist nicht nur in Russland der Fall.
       Besonders tragisch ist es, wenn sich während der Katastrophe das Verhalten
       nicht ändert. Außerdem fehlen Kräfte, die die Zufahrtswege in die Wälder
       bewachen könnten.
       
       Das Zivilschutzministerium ist rund um die Uhr im Einsatz. Sie kritisieren
       dennoch die Arbeit des Ministeriums. Warum? Wladimir Tschuprow: Das
       Ministerium ist für die Bekämpfung von Waldbränden nicht zuständig. Es sei
       denn, die Brände bedrohen Siedlungen. Für die Torf- und Waldbrandbekämpfung
       sind die Mitarbeiter auch nicht ausgebildet. Schon der Maschinenpark
       entspricht nicht den Anforderungen. Große Löschfahrzeuge kommen auf den
       Waldwegen nicht vorwärts. Sie haben aber auch keine Technik, um Brackwasser
       und austrocknende Wasserstellen in den Wäldern als Löschwasser anzuzapfen.
       Dazu sind spezielle Pumpen notwendig, mit denen die Fahrzeuge nicht
       ausgerüstet sind. Achtzig Prozent der Leute, die an den Löscharbeiten
       beteiligt sind, sind Forstarbeiter, deren Kräfte und Möglichkeiten
       erschöpft sind. Viele arbeiten aus bloßem Enthusiasmus.
       
       Besteht für die Atomforschungszentren wie Mayak akute Gefahr? Dort wurde
       Montag der Notstand verhängt. 
       
       Wladimir Tschuprow: Nach offiziellen Angaben sind die Brände im Umkreis der
       Atomanlagen unter Kontrolle. In Mayak wurde nur prophylaktisch der Notstand
       verhängt. Das Feuer ist mehr als 60 Kilometer entfernt. In Sneschinsk löste
       wohl eine Explosion in einem Laboratorium das Feuer aus. In Sarow scheint
       alles unter Kontrolle zu sein. Bereits im Juli wurde in Woronesch das AKW
       Nummer 3 wegen unnormaler Hitzeentwicklung abgestellt. Beunruhigend sind
       aber die Brände südöstlich von Brjansk. Dort brennt vom Tschernobyl-GAU
       nuklear verseuchter Waldboden. Das Monitoring zeigt, dass die Belastungen
       weit über den Grenzwerten liegen. Die Daten werden offiziell aber
       zurückgehalten.
       
       Hacker haben gestern Ihre Webseite angegriffen. 
       
       Michail Kreindlin: Fast alle Informationen über die Brände sind getilgt.
       Auf einer Seite hatten wir Berichte von Betroffenen. Sie erzählten, wie das
       Zivilschutzministerium ihr Dorf abbrennen ließ, weil es die Siedlung von
       Oligarchen vor dem Feuer retten sollte. Wir fühlen uns in unserer Arbeit
       bedroht.
       
       Steckt hinter der Katastrophe auch politisches Versagen? 
       
       Wladimir Tschuprow: Die Regierung macht einen strategischen Fehler nach dem
       andern. Das Zivilschutzministerium mit mehr Geld auszustatten, ändert
       nichts an der brenzligen Situation. Es muss eine eigene Waldaufsicht her.
       Außerdem müsste die Regierung sich zu dem Eingeständnis durchringen, dass
       die Hitzewelle nicht der alleinige Grund für die Brände ist. Schon jetzt
       werden Mythen in die Welt gesetzt, als hätten die USA Klimawaffen
       eingesetzt - oder eine Plasma-Explosion auf der Sonne hätte das Unglück
       verursacht. Wenn im nächsten Jahr nicht wieder dasselbe passieren soll,
       müssen die wahren Ursachen analysiert werden. Hier schlägt Ökologie in
       Politik um. Die Machtvertikale Putins steht dem im Wege. Putin weiß gar
       nicht, was im Land tatsächlich los ist.
       
       11 Aug 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Klaus-Helge Donath
       
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