# taz.de -- Südosten der Türkei: PKK will Waffen niederlegen
       
       > Nach den Kämpfen im Südosten der Türkei mehren sich die Forderungen nach
       > einer politischen Lösung. Auch die türkische Armee soll sich zum
       > Waffenstillstand bekennen.
       
 (IMG) Bild: Eine kurdische Frau, aufgenommen im Oktober 2009, zeigt das Victory-Zeichen.
       
       ISTANBUL taz | Am Kriegsschauplatz im Südosten der Türkei steht
       möglicherweise eine Ruhepause bevor. Wie die unabhängige Zeitung Taraf
       berichtete, plant die Kurdischer Arbeiterpartei (PKK), für die Dauer des am
       Montag begonnenen muslimischen Fastenmonat Ramadan einen Waffenstillstand
       auszurufen.
       
       Mehrere zivile Organisationen aber auch die kurdische Regionalpartei BDP
       haben bereits mehrfach einen Waffenstillstand gefordert, zu dem sich
       allerdings nicht nur die PKK, sondern auch die türkische Armee bekennen
       soll. Nach Informationen von Taraf wollte der inhaftierte PKK-Führer
       Abdullah Öcalan gestern seinen Anwälten auf der Gefängnisinsel Imrali, wo
       er seit 1999 inhaftiert ist, Instruktionen für einen Waffenstillstand
       geben.
       
       Öcalan war es auch, der im Mai einen zuvor ausgerufenen einseitigen
       Waffenstillstand der PKK für beendet erklärt hatte. Seitdem war es in den
       kurdischen Regionen wieder zu schweren Kämpfen gekommen, bei denen mehr als
       50 Soldaten und eine unbekannte Zahl von PKK-Mitgliedern getötet wurden.
       Öcalan hatte mit der Aufhebung des Waffenstillstands auf die gescheiterte
       "Demokratieoffensive" der Regierung reagiert, in deren Rahmen
       Ministerpräsident Tayyip Erdogan einen neuen Vorstoß zu einer politischen
       Lösung der Kurdenfrage machen wollte.
       
       Die Initiative kam jedoch zum Stillstand, nachdem das Verfassungsgericht im
       letzten Herbst die kurdische DTP, die Vorgängerpartei der jetzigen BDP,
       verbot. Schon zuvor war die Rückkehr einiger PKK-Kämpfer zu einem Debakel
       für Erdogan geworden, weil die kurdischen Parteien den "Ex-Terroristen"
       einen triumphalen Empfang bereiteten und damit heftige Proteste von vielen
       Türken hervorriefen.
       
       Mit dem de facto Ende der politischen Initiative begannen im vergangenen
       Herbst wieder neue Kämpfe zwischen der PKK und der Armee. Auf eine dieser
       Auseinandersetzungen im September letzten Jahres hat die taz gestern mit
       ihrem Bericht über einen möglichen Giftgaseinsatz gegen eine Gruppe
       PKK-Kämpfer Bezug genommen. Anlass waren Bilder schwer verstümmelter
       Leichen getöteter PKK-Kämpfer, die vom Menschenrechtsverein in Diyarbakir
       veröffentlicht worden waren.
       
       Anders als von der taz in Deutschland befragte Experten, die den Einsatz
       geächteter Chemiewaffen für möglich halten, wurde in der türkischen
       Öffentlichkeit eher die Verstümmelung der Leichen thematisiert. Ein
       bekannter Leitartikler, Cengiz Candar, beklagte die Verrohung und den
       Verlust zivilisatorischer Normen angesichts der grausam entstellten
       Leichen.
       
       Nicht zuletzt solche Bilder führten aber jetzt dazu, dass die Debatte über
       eine politische Lösung des Konflikts wieder in den Vordergrund gerät. Osman
       Baydemir, Oberbürgermeister der größten, überwiegend von Kurden bewohnten
       Stadt Diyarbakir, hat in einer öffentlichen Rede vor wenigen Tagen in der
       bislang konkretesten Form die Forderungen der kurdischen Vertreter noch
       einmal auf den Punkt gebracht. "Warum", fragte er, "soll nicht vor dem
       Rathaus in Diyarbakir neben der türkischen Fahne auch eine kurdische Fahne
       wehen?" Baydemir plädierte für eine Umwandlung der zentralistisch regierten
       Türkei in einen föderalen Staat, in dem es neben einer selbstverwalteten
       kurdischen Region auch eine Schwarzmeerregion und etliche weitere Regionen
       mit einem eigenen Regionalparlament und eigener Fahne geben sollte.
       
       Die Vorschläge lehnen sich stark an das spanische Modell an und wurden
       erwartungsgemäß von den meisten Politikern und Kommentatoren heftig
       kritisiert. Cemil Cicek, stellvertretender Regierungschef und Repräsentant
       des nationalistischen Flügels innerhalb der AKP, wies den Vorschlag als
       absurd zurück, und die zuständige Staatsanwaltschaft leitete gleich ein
       Ermittlungsverfahren wegen Hochverrats ein.
       
       Es gab aber auch ganz andere Stimmen. Ertogrul Özkök, Ex-Chefredakteur der
       Hürriyet und immer noch einer der einflussreichsten Kommentatoren des
       Landes, plädierte dafür, über die Kurdenfrage endlich ohne die bisherigen
       Tabus zu diskutieren. Dazu müsse selbst die Gründung eines eigenständigen
       kurdischen Staats gehören. Stellvertretend für die liberalen
       Intellektuellen, die der AKP nahe stehen, setze sich Mustafa Akyol mit dem
       Vorschlag auseinander. Sein Hauptpunkt ist, dass er eine Einteilung nach
       ethnisch definierten "autonomen Regionen" ablehnt und befürchtet, dass eine
       solche Debatte die meisten Türken nur in die Arme der Nationalisten treiben
       würde.
       
       Doch auch wenn die AKP und die anderen Parteien im Parlament ein föderales
       System ablehnen, bieten das Verfassungsreferendum im September und die
       Wahlen im kommenden Jahr reichlich Gelegenheit für weitere Diskussionen.
       
       12 Aug 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jürgen Gottschlich
       
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