# taz.de -- Montagsinterview Bike-Tour Organisator Martin Wollenberg: "Wer in Berlin Fahrrad fährt, sollte Fahrrad fahren können"
       
       > Martin Wollenberg war Punk, Autonomer, taz-Redakteur, Taxifahrer,
       > Busfahrer. Jetzt ist er als Geschäftsführer von Berlin on Bike ein
       > erfolgreicher Unternehmer in der Tourismusbranche.
       
 (IMG) Bild: Radelnde Holländer sind seine Spezialität, er vermietet aber auch an radwegunkundige Spanier: "Berlin on bike"-Chef Martin Wollenberg vor seinem Büro
       
       taz: Martin Wollenberg, heute schon eine Tour gemacht? 
       
       Martin Wollenberg: Selber bin ich zum letzten Mal vor zwei Monaten
       gefahren.
       
       Dann werden Sie wahrscheinlich von Ihren Guides darüber informiert, wie
       genervt die Berliner von Berlin on Bike sind. 
       
       Wir nerven doch gar nicht so.
       
       Vorne einer mit Signalweste, hinten einer, dazwischen 20 mal Hans Guck in
       die Luft auf zwei Rädern: Das soll nicht nerven? 
       
       Moment. Mittlerweile gibt es mehrere Anbieter für geführte Fahrradtouren in
       Berlin. Uns ist es sehr wichtig, dass wir mit relativ kleinen Gruppen
       fahren. Das Maximum sind 15 Teilnehmer. Bei einer Schülergruppe, wo wir
       noch die Lehrer hinten dranhaben, können es auch mal 18 sein. Aber
       Schulklassen mit 20 würden wir bereits teilen.
       
       Berlin on bike sind also die Guten? 
       
       Da ist noch eine andere Firma auf dem Markt, die stärker Amerikaner und
       internationales Publikum im Blick hat. Bei denen ist der Nervfaktor, der
       Gefährdungsfaktor und auch der Selbstgefährdungsfaktor sehr viel größer.
       
       Warum? 
       
       Um in einer Stadt Fahrrad zu fahren, sollte man auch Fahrrad fahren können.
       Wir haben uns Gott sei Dank auf das Publikum konzentriert, das von Haus aus
       sehr fahrradaffin ist. Wir sind stark auf dem deutschen Markt, unsere
       Spezialität aber sind die Holländer. Wir haben mittlerweile zehn Guides,
       die Holländisch sprechen. Wir arbeiten da inzwischen auch mit vielen
       Agenturen zusammen. Und ich sage Ihnen: Kein Volk in Europa kann besser
       Fahrrad fahren als die Holländer.
       
       Das Problem ist doch die Gruppe. Wir lange brauchen Sie denn selber als
       Radfahrer, um eine geführte Radtour zu überholen? 
       
       Klar, wenn du auf dem Fahrradweg unterwegs bist, ist es ganz, ganz schwer,
       an einer solchen Gruppe vorbeizukommen. Insbesondere für andere Radfahrer
       ist das Tempo, mit dem wir fahren, nervig. Dass wir ab und an den
       Autoverkehr entschleunigen, halte ich aber für eine segensreiche Sache.
       
       Sie waren im Grunde schon alles: Punk, taz-Reporter, Busfahrer, Taxifahrer.
       Ihre Kunden waren also eher Berliner. Sind Sie von den Berlinern so
       enttäuscht worden, dass Sie sich jetzt den Touristen zuwenden? 
       
       Ich bin überhaupt nicht von den Berlinern enttäuscht. Die Idee mit Berlin
       on Bike kam über das Busfahren. Vor sieben, acht Jahren gab es im Grunde
       noch keine geführten Radtouren. Damals bin ich Reisebus gefahren, hab sehr
       viele andere Städte kennengelernt, aber eben nicht richtig. Vom Bus aus ist
       das halt so ne Sache, vom Rad aus ist es viel besser. Damals ist die Idee
       entstanden, geführte Radtouren in Berlin anzubieten.
       
       Berlin ist heute nach London und Paris die Touristenstadt Nummer drei in
       Europa. Was sind für Sie denn die angenehmsten Touristen? 
       
       (lacht) Die nicht laut sind und nicht in Gruppen auftreten. Also Asche auf
       mein Haupt.
       
       Gehn wir sie doch mal durch: Die jungen Spanier und Spanierinnen trinken
       ihr Bier am liebsten auf dem Radweg. 
       
       Weil sie Radwege aus Spanien oft nicht kennen.
       
       Das Gleiche gilt für Amerikaner. 
       
       Die fahren aber unglaublich gerne mit dem Anbieter mit den großen
       Beach-Cruisern. Das sind die mit den großen Hornlenkern vorne, die so durch
       den Verkehr pendeln, dass man sich wundert, dass sie nicht rechts und links
       Autoscheiben eindreschen.
       
       Die Holländer? 
       
       Wunderbar, allerdings haftet dem Holländer auch ein bisschen der Nimbus an,
       gerne in großen Gruppen zu feiern. Die Geselligkeit, die auf Holländisch
       mit z geschrieben wird, steht ganz hoch im Kurs bei denen. Für uns ist das
       ganz gut, denn den Holländern geht es wirtschaftlich gut. Es kann also
       vorkommen, dass da mal ne ganze Stadtverwaltung mit 50 bis 100 Leuten
       vorbeikommt.
       
       Die Italiener … 
       
       … kommen in Gruppen und leihen sich unter großem Hallo Räder bei uns. An
       geführten Touren sind sie interessanterweise wenig interessiert.
       
       Sie sind Jahrgang 1965, trotzdem waren Sie schon 1987 taz-Redakteur. Eine
       steile journalistische Karriere für einen Anfang 20-Jährigen. 
       
       Da ging es mir wie vielen. Zur Hausbesetzerszene und zur taz bin ich
       gekommen, weil mir das Elternhaus zu bürgerlich war. Ich bin zwar im
       Krankenhaus Neukölln geboren, weil meine Mutter in der Krankenhausapotheke
       arbeitete. Aufgewachsen bin ich aber in Frohnau. Eine ferne, heile Welt,
       die dazu führte, dass ich mich mehr und mehr zur Innenstadt hingezogen
       fühlte. Irgendwann spielten die Schulfreunde keine große Rolle mehr, vor
       allem, als ich anfing zu studieren. Da bin ich dann mit anderen Leuten
       rumgezogen. Dann die erste Party im besetzten Haus und so weiter. Das war
       faszinierend.
       
       Zur taz hatte die Szene ein eher distanziertes Verhältnis, eine Art
       Hassliebe, nach der Parole: taz lügt. 
       
       Das sollte man nicht überbewerten. Außerdem gehörte ich nicht zu den
       Ultraautonomen, sondern eher zur Spaßguerilla. Ich war jedenfalls stolz,
       als meine erste Reportage in der taz gedruckt wurde. Ich hatte damals
       gerade ein paar Texte in dem Buch "U-Bahn. Ein Lesebuch" veröffentlicht.
       Die hat Paul Langrock, damals taz-Fotograf, gelesen und den Kontakt zur
       Redaktion hergestellt. Dann bin ich da als 19-Jähriger in die
       taz-Redaktion, damals in der Weddinger Wattstraße, gegangen.
       
       Dann kam das Jahr der Maikrawalle, 1987. 
       
       Erstaunlicherweise war das das Jahr, wo ich tatsächlich auf Distanz zur taz
       ging. Und das, obwohl da zu der Zeit eine Festanstellung winkte. Paradox.
       
       Was ist passiert? Gab es einen konkreten Konflikt? 
       
       Eigentlich nicht. Das war eher schleichend. Der Lokalteil wurde damals noch
       produziert wie eine Schülerzeitung. Das heißt, die Artikel wurden
       geschrieben, ich saß mit am Tisch der Chefin vom Dienst, Rita Hermanns. Sie
       sagte mir, schreib mal 70 Zeilen, und wenn es dann 78 waren, sagte sie:
       Egal, dann schmeißen wir ne Kurzmeldung raus. Dann haben wir im Layout die
       Artikel ausgeschnitten und mit Sprühkleber aufgeklebt. Das war die
       Produktion der taz. Und so habe ich, nach zwei Jahren als freier
       Mitarbeiter, quasi drei Monate fest frei in der Redaktion gearbeitet.
       
       Bis die taz dann professionell wurde. 
       
       Da war ich gerade in Amerika. Ich bin viel in den USA und Kanada
       rumgefahren und sollte im Herbst auf einer festen Stelle anfangen. Als ich
       zurückkam, war alles anders. Es gab nun, inmitten all der vollgesprühten
       Büros, einen frisch renovierten Raum mit flauschigem Teppichboden, da saß
       nun das Dreigestirn der Lokalchefs. Plötzlich hab ich mich nicht mehr
       wohlgefühlt. Außerdem fand die Redaktionssitzung nicht mehr um 13 Uhr,
       sondern morgens um 10 Uhr statt. Das ist für einen feierfreudigen Menschen
       Anfang 20 keine schöne Zeit. Schließlich wurde nun in der
       Redaktionskonferenz festgelegt, wie viele Zeilen ich kriege. Es wurde
       zuerst das Layout gemacht - und dann wurden die Artikel auf Zeile ins
       Layout eingefügt. Verhandeln war nicht mehr.
       
       Das klingt aber eher nach Amtsmüdigkeit als nach einem politischen Grund,
       die taz zu verlassen. 
       
       (lacht) Ich hab versucht einen politischen Konflikt draus zu machen, so
       nach dem Motto: Wir verstehen uns doch als inhaltliche Zeitung. Seit wann
       kommt denn das Layout zuerst, und dann erst der Inhalt? Dabei war das
       wirklich nur ein Vorwand.
       
       Wozu der Aufwand? 
       
       Wahrscheinlich war auf der Reise was mit mir passiert. Die ganze
       Lokalpolitik war plötzlich weit weg. Das Härteste nach meiner Rückkehr war
       ein Konflikt im Gartenbauausschuss des Bezirks Tiergarten. Weil man sich
       über die Bepflanzung einer Parkanlage mit kanadischen Zierpappeln nicht
       einigen konnte, warf ein CDU-Mann den Grünen, damals noch Alternative
       Liste, "Pflanzenrassismus" vor. Und diese Verbalentgleisung sollte ich
       jetzt in einem Artikel groß aufbauschen. Da dachte ich: Das kann doch nicht
       wahr sein.
       
       In den Achtzigern war ja nicht nur Pflanzenrassismus ein Thema, sondern
       auch die Umstrukturierung der Stadtteile. Das ist auch heute wieder
       aktuell. Spielt das Thema Gentrifizierung, Kreuzkölln oder Mediaspree auch
       in Ihren Touren eine Rolle? 
       
       Das Thema ist uns wichtig. Wir leben ja schließlich auch alle in der Stadt.
       Und wir kommen gar nicht daran vorbei, weil wir in der Kulturbrauerei in
       Prenzlauer Berg sitzen und von da auch losfahren, ein Stadtteil also, in
       dem sich fast 80 Prozent der Bevölkerung ausgetauscht hat und wo
       Kinderwagen der 2.000-Euro-Preisklasse um die Wette geschoben werden.
       Dieser rasante Wandel ist ein wichtiges Thema. Das schätzen auch unsere
       Gäste: Wir zeigen nicht nur die schönen Seiten, sondern nehmen uns die
       Zeit, sehr viele Hintergründe zu beleuchten.
       
       Indem Sie auf die neuen Lofts hinweisen und sagen: Hier wohnen die mit den
       Geländewagen und den 2000-Euro-Kinderwagen? 
       
       Die Kunst einer Stadtführung besteht darin, die Botschaft von hinten
       rüberzubringen. Also nicht mit revolutionärem Gestus zu sagen: Das sind die
       Arschlöcher und die Feinde. Die kann man ja immer in der Gruppe mit drin
       haben. Es läuft eher subtil.
       
       Ohne Tacheles und der Galerie C/O droht aus der Oranienburger eine öde
       Straße zu werden. Ist Berlin grade dabei, sein Image als kreative Stadt
       kaputt zu machen? 
       
       Eindeutig. Es ist mir unbegreiflich, dass die Politiker da tatenlos
       zusehen. Aber wahrscheinlich sind die abends nie in der Stadt unterwegs.
       Sie spüren nicht die Stimmung, die da herrscht. Deshalb sind wir auf bestem
       Wege, viel von der Attraktivität, dieser anarchischen Freiheit, die junge
       Gäste aus ganz Europa anzieht, plattzumachen.
       
       Was ist Ihre Botschaft? 
       
       Für das Anarchische, Chaotische an Berlin ist Platz ganz wichtig. Es wäre
       völlig verkehrt, diesen Platz, den es in der Stadt noch gibt, zuzubauen.
       Ich hätte den Palast der Republik als Stück Geschichte und als schrägen
       Veranstaltungsort oder großes DDR-Museum erhalten. Aber jetzt, wo er weg
       ist, finde ich die riesige Freifläche im Zentrum super. Der Schloss-Nachbau
       ist so überflüssig wie ein Kropf.
       
       2004 haben Sie mit Ihrem Tourismusbetrieb angefangen. Inzwischen ist Berlin
       on Bike rasant gewachsen. 
       
       Wir haben drei festangestellte Mitarbeiter im Büro. Dann bin ich da, dann
       gibt es zwei, drei Leute, die auf 400-Euro-Basis arbeiten, und alle anderen
       sind freie Mitarbeiter. Das ist bei der Guide-Szene ganz normal, denn das
       ist ein absolutes Saisongeschäft.
       
       Ist Berlin on Bike ein Kollektiv oder ein kapitalistischer Betrieb? 
       
       Wer länger da ist und mehr leistet, bekommt mehr Geld.
       
       Und der Chef bekommt am meisten? 
       
       Der Chef ist derjenige, dem das Geld von allen wohl am wenigsten wichtig
       ist. Hauptsache, ich kann nach zehn Tagen Dienst mal an die Ostsee oder in
       die Uckermark fahren - mit dem Rad natürlich. Aber es war schon sehr
       komisch, plötzlich Verantwortung für andere zu haben. Das war ein
       schwieriger Lernprozess. Bis heute putze ich morgens ziemlich oft das Klo,
       weil ich keinem Mitarbeiter den Auftrag geben will, das Klo zu putzen.
       
       Der Tourismus boomt. Sie sind mit Ihrer Firma Berlin on Bike Teil des
       Geschäfts - und das Geschäft treibt Blüten. Muss man damit rechnen, dass
       Sie demnächst auch ein Bier-Bike betreiben? 
       
       (lacht) Niemand hat die Absicht, ein Bier-Bike zu betreiben. Nein,
       ernsthafte Überlegungen gibt es da nicht.
       
       Auch weil Sie sagen würden: Da ist die Grenze zum Ballermann überschritten? 
       
       Beim Bier-Bike mitunter schon. Wenn man die Besatzungen da manchmal im
       Stadtverkehr erlebt … Aber es ist irgendwie auch niedlich, das hat doch was
       von einem Tausendfüßler, oder? Außerdem ist Berlin im Sommer ohnehin eine
       Partyzone auswärtiger Gäste. Wenn da auch noch ein Bier-Bike rumfährt,
       macht das auch nichts mehr aus. Berlin hat doch auch die Pubcrawls
       überlebt.
       
       Was ist persönlich Ihre liebste Tour? 
       
       Kreuzberg und das Spreeufer.
       
       Das Wesen des Kapitalismus ist es, zu wachsen. Wird es demnächst auch
       München on Bike oder Hamburg on Bike geben? 
       
       München und Hamburg auf keinen Fall. In Hamburg haben wir jemanden beraten,
       der dort jetzt Hamburg City Cycles betreibt. Ganz ohne Honorar, nur weil
       der Typ einfach super ist. Das ganze Franchise-Ding liegt mir nicht. Die
       einzige Überlegung ist, ob wir nicht eine Dependance in der City-West
       errichten.
       
       16 Aug 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Uwe Rada
       
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