# taz.de -- Mitarbeiterin der Hurenorgansiation Hydra: "Sexarbeit ist eine Dienstleistung"
       
       > Ohne die Lobbyarbeit des Vereins Hydra wäre Sexarbeit heute immer noch
       > illegal. Die erste Hurenorganisation Deutschlands wird 30 Jahre alt. Ein
       > Grund zum Feiern – und für ein Interview.
       
 (IMG) Bild: Müssen weiter mit Stigmatisierung leben: Sexarbeiterinnen führen noch immer oft ein Doppelleben.
       
       taz: Frau Kellerhoff, ist Hydra immer schon so selbstbewusst mit dem Wort
       Hure umgegangen? 
       
       Simone Kellerhoff: Ja, aber heute haben wir uns politisch korrekt auf die
       Bezeichnung "Sexarbeiterin" geeinigt. So wird deutlich, dass es sich um
       eine Dienstleistung handelt, um Arbeit.
       
       Was genau macht Hydra? 
       
       Auf der einen Seite sind wir eine professionelle Beratungsstelle. Auf der
       anderen Seite setzt sich der Verein politisch dafür ein, die Tätigkeit der
       Sexarbeiterinnen anderen Erwerbstätigen gleichzustellen. Wir versuchen, das
       Stigma aufzulösen, das an Prostitution hängt und das die Prostituierten
       auch selbst tradieren.
       
       Warum geben die Prostituierten dieses Stigma weiter? 
       
       Weil sie ein Teil der Gesellschaft sind. Scham und Tabus bleiben, auch wenn
       Frauen als Sexarbeiterinnen arbeiten. Deshalb führen sie oft ein extremes
       Doppelleben.
       
       Ist es demnach Ziel Ihrer Arbeit, dass eine Prostituierte, wird sie nach
       ihrem Beruf gefragt, stolz sagt: Ich bin Sexarbeiterin? 
       
       Das ist unsere Vision, aber zunächst ist unser Ziel, dass Prostituierte
       physisch und psychisch gesund bleiben. Dafür ist es wichtig, das
       Bewusstsein der Frauen zu stärken. Doppelleben heißt doch, dass man seriös
       auftritt, aber einer Tätigkeit nachgeht, die gesellschaftlich nicht
       anerkannt ist. Frauen, die jahrelang eine gespaltene Existenz führen, sind
       sehr isoliert. Isolation macht krank. Wir wollen, dass die Frauen sich für
       ihre Arbeit nicht schämen müssen.
       
       Was waren vor 30 Jahren die schlimmsten Probleme? 
       
       Die Frauen hatten keinerlei Rechte. Gewalt an Prostituierten konnte nicht
       angezeigt werden - Prostitution war verboten und hat sich im Dunkeln
       abgespielt, in einem Milieu mit hoher Kriminalität.
       
       Was ist heute anders? 
       
       Die größte Errungenschaft der Hurenbewegung ist das Prostitutionsgesetz,
       das 2002 verabschiedet wurde. Prostituierte können seitdem in die
       Sozialversicherungssysteme einbezahlen. Sie können ihren Lohn einklagen,
       falls der Kunde ihn schuldig bleibt. Früher war Prostitution ein
       sittenwidriges Geschäft. Heute ist es eine Dienstleistung. Auch, dass es
       jetzt Bordellbetriebe geben darf, ist eine Errungenschaft. Früher nannten
       sich Bordelle nur Zimmervermietung. Der Vermieter durfte aber keine Kondome
       bereitstellen, keine Handtücher auslegen - dann war das nämlich Förderung
       von Prostitution und damit Zuhälterei.
       
       Ist das Image der Prostituierten heute besser? 
       
       Mit dem Prostitutionsgesetz wurde die Stigmatisierung der Prostitution
       nicht abgeschafft. Sexarbeiterinnen werden entweder als Opfer von Dritten
       betrachtet - oder man nimmt an, dass sie als Kind missbraucht wurden. Als
       Opfer ökonomischer Zwänge hingegen werden sie selten wahrgenommen.
       
       Was sind heute die größten Probleme? 
       
       Lohndumping und die wirtschaftliche Krise. Außerdem wird Prostitution
       ständig im selben Atemzug genannt mit Frauenhandel und Zwangsprostitution.
       Dabei hat sexuelle Ausbeutung nichts mit Sexarbeit an sich zu tun.
       
       Lohndumping und verschärfte Konkurrenz macht die Frauen wieder
       verletzlicher. Sehen Sie das als Rückschritt? 
       
       Das Prostitutionsgesetz war der erste Schritt. Ein Problem sehen wir darin,
       dass das Gesetz beim Frauenministerium verankert ist, nicht beim
       Arbeitsministerium. Der nächste Schritt müsste sein, dass Sexarbeiterinnen
       Berufsgenossenschaften gründen können. Arbeits- und Hygienestandards müssen
       definiert, Bordelle zertifiziert werden.
       
       Die Wirtschaftskrise führt dazu, dass immer mehr Frauen in der Prostitution
       arbeiten. Gibt es noch andere Entwicklungen, die damit einhergehen? 
       
       Es gibt neue Formen von Prostitution, neue Vermarktungsschienen. Ich bin
       sehr erschüttert über solche Angebote wie den Internetdienst "Hobbyhure".
       
       Wie verändert sich der Anteil von Migrantinnen unter Sexarbeiterinnen? 
       
       Es gab schon immer einen hohen Anteil von Frauen mit Migrationshintergrund.
       Früher waren es häufig Asiatinnen. Seit 2007 sind viele osteuropäische
       Frauen dazugekommen. In der Regel hatten die Frauen in ihren Ländern
       bereits Kontakt zur Prostitution. Sie kommen selbstbestimmt her, oft aus
       prekären Verhältnissen. Hier aber gibt es Sprachbarrieren, und sie kennen
       die arbeitsrechtliche Situation nicht: Dass sie sich selbstständig machen
       müssen, dass sie eine Krankenversicherung brauchen. So können sie leicht
       ausgebeutet werden. Das ist eine Riesenherausforderung für uns.
       
       Ist die selbstbewusste Hure aus heutiger Sicht ein Mythos? 
       
       Es war und ist kein Mythos. Wir reden allerdings lieber von selbstbestimmt.
       Viele Frauen möchten aber lieber etwas anderes arbeiten - eines unserer
       Angebote ist der Ausstieg. Ausstieg steht allerdings nicht im Widerspruch
       zur Selbstbestimmtheit. Man kann nur zwischen den Möglichkeiten wählen, die
       man hat. Wir versuchen, neue Möglichkeiten zu eröffnen.
       
       Sind freiwillige Untersuchungen bei Prostituierten heute Usus? 
       
       Das Kapital der Sexarbeiterinnen ist ihre Gesundheit und ihr Körper,
       deswegen haben sie natürlich ein großes Interesse daran, gesund zu bleiben.
       Im Zuge des Lohndumpings haben Freier viel Macht. Immer mehr Männer fragen
       nach Sex ohne Kondom. Für eine Frau, die ökonomisch darauf angewiesen ist,
       ist es auf lange Sicht schwierig, diese Männer abzuweisen.
       
       Freier sind aber keine Zielgruppe in der Präventionsarbeit. 
       
       Das kritisieren wir sehr stark. Wir reden immer über die Frauen. Niemand
       redet über die Kunden. Da wo Frauen durchweg als Opfer gesehen werden,
       werden Männer als Täter gesehen. Das macht es Männern schwer, sich als
       Prostitutionskunden zu outen. Damit sind sie auch nicht greifbar, nicht
       ansprechbar. Dabei sind sie so wichtig in dem ganzen Szenario.
       
       20 Aug 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Waltraud Schwab
 (DIR) Waltraud Schwab
       
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