# taz.de -- Mittelschicht geschrumpft: Die Ungleichheit nimmt zu
> Aktuelle Zahlen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zeigen:
> Die Mittelschicht schrumpft weiter. Und auch vom Aufschwung wird diese
> Tendenz nicht gestoppt.
(IMG) Bild: Frau vor Bankplakat.
Während der Finanzkrise ist die Mittelschicht weiter geschrumpft: Ihr
gehörten 2008 nur noch 58,7 Prozent der Bevölkerung an. Zehn Jahre zuvor
waren es noch 64,3 Prozent. Dies zeigen neueste Zahlen des Deutschen
Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), das regelmäßig 12.000 Haushalte
befragt.
Zur Mittelschicht zählt das Institut, wer über 70 bis 150 Prozent des
mittleren Nettoeinkommens verfügt. 2008 waren dies für Singles 1.070 bis
2.350 Euro netto im Monat, bei einem Ehepaar mit zwei kleinen Kindern 2.250
bis 4.935 Euro.
Man kann es auch in Köpfen ausdrücken: 2008 gehörten nur noch 47,7
Millionen Bundesbürger zur Mittelschicht - rund 4,6 Millionen weniger als
1998.
Viele der einstigen Mittelschichtler sind abgestiegen, denn die Zahl der
einkommensschwachen Haushalte steigt deutlich. 2008 gehörten schon 22,5
Prozent aller Haushalte dazu. Zehn Jahre zuvor waren es erst 17,7 Prozent.
Die Zahl der Wohlhabenden hingegen ist kaum gestiegen. 1998 gehörten 18
Prozent zu dieser Gruppe, 2008 waren es 18,8 Prozent. Allerdings ist es
innerhalb dieser Gruppe zu starken Verschiebungen gekommen: Die Zahl der
Reichen nahm deutlich zu. Als reich gilt, wer mindestens 200 Prozent des
mittleren Nettoeinkommens hat. Diese Gruppe ist in den vergangenen zehn
Jahren von 5 auf 6,3 Millionen Menschen angewachsen - ein Plus von 26
Prozent.
Die deutsche Mittelschicht war noch nie eine konstante Größe, sondern
kannte auch schon früher Phasen, in denen sie abnahm. Vor allem in Krisen
wurde die Mittelschicht kleiner - etwa Mitte der 90er Jahre. Doch
inzwischen macht Markus Grabka vom DIW einen völlig neuen Trend aus: "Der
interessante Befund ist, dass die Mittelschicht sogar bei einem starken
Aufschwung schrumpft." So wuchs die deutsche Wirtschaft in den Jahren 2005
bis 2007 kräftig, doch die Mittelschicht profitierte davon nicht.
Der Grund: Die Reallöhne sind weiter gesunken. Wie das DIW berechnet hat,
verdienten vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer zwar 2009 im Durchschnitt
2.922 Euro monatlich - und damit 118 Euro mehr als 2006. Doch diese
nominale Gehaltsteigerung von vier Prozent hat die Inflation von etwa sechs
Prozent nicht ausgeglichen.
In der aktuellen Studie zur Mittelschicht hat das DIW das Jahreseinkommen
der Haushalte berücksichtigt, was besonders aussagekräftig ist, weil viele
Zahlungen nur einmal jährlich fließen wie Dividenden, Boni oder auch das
Weihnachtsgeld. Allerdings führt dies zu enormen Zeitverzögerungen: Erst
jetzt ist komplett ausgewertet, was im Jahr 2009 bei den Haushalten für das
Jahr 2008 ermittelt wurde.
Die letzte große DIW-Studie zur Mittelschicht stammt aus dem Jahr 2008.
Damals kam heraus, dass die Mittelschicht zwischen den Erhebungsjahren 2000
und 2006 von 62 auf 54 Prozent geschrumpft sei. Nun ergeben sich für die
gleichen Jahre plötzlich 63,7 und 59,2 Prozent. "Wir mussten statistische
Revisionen vornehmen", erklärt Grabka. Das Problem: Es wird immer
schwieriger, die Haushalte komplett zu befragen. Oft ist ein Mitglied
auswärts beschäftigt - oder unwillig, weiterhin an der Langzeitbefragung
teilzunehmen. Diese statistischen Verzerrungen wurden nun bereinigt. "Aber
die Grundtendenz bleibt", so Grabka, "die Mittelschicht schrumpft."
25 Aug 2010
## AUTOREN
(DIR) Ulrike Herrmann
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