# taz.de -- Die Mittelschicht schrumpft: Einkommen zählt, nicht Tugend
       
       > Trotz Leistungsbereitschaft müssen die meisten Deutschen erleben, dass
       > ihre Reallöhne sinken. Die Konservativen nehmen das nur ungern zur
       > Kenntnis.
       
       Die Mittelschicht schrumpft. Stattdessen finden sich Millionen bei den
       einkommensschwachen Haushalten wieder. So hat es das Deutsche Institut für
       Wirtschaftsforschung in immer neuen Statistiken herausgefunden. Aber ist
       das eine Nachricht? Zumindest das konservative Feuilleton kann diese
       Erkenntnisse nicht wesentlich finden. Das Kernargument der Kritiker lautet:
       Einkommen ist doch unerheblich, die Einstellung zählt. Auch Arme könnten
       zur Mittelschicht zählen, wenn sie nur die richtigen Tugenden wie Fleiß und
       Bildungsambitionen aufweisen.
       
       Nun ist zweifellos richtig, dass sich Ehrgeiz und Aufstiegswillen in allen
       sozialen Gruppen finden. Aber das Problem der meisten Deutschen ist doch,
       dass sie trotz Leistungsbereitschaft erleben müssen, dass ihre Reallöhne
       sinken. Es ist wenig erkenntnisfördernd, sozioökonomische Realitäten
       einfach zu ignorieren und stattdessen die subjektive Befindlichkeit zum
       Maßstab zu machen, was die Mittelschicht sein soll.
       
       Zumal die subjektive Befindlichkeit sehr stark täuschen kann, wie sich
       gerade bei den konservativen Feuilletonisten zeigt. So ist es für diese
       Redakteure unfassbar, dass nach den DIW-Zahlen bereits ein Studienrat zur
       Oberschicht gehört, wenn er keine Kinder zu versorgen hat. Ein
       Gymnasiallehrer muss doch einfach Mittelschicht sein - schließlich verdiene
       er weniger als ein Verfassungsrichter oder Lena!
       
       Stimmt. Ein Verfassungsrichter bekommt noch mehr als ein Studienrat -
       trotzdem gehören auch viele Gymnasiallehrer zur Oberschicht. Denn die
       Akademiker machen etwa 20 Prozent der Bevölkerung aus. Das rentiert sich
       für sie alle, wenn auch unterschiedlich. Ärzte verdienen mehr als Anwälte,
       Ingenieure mehr als konservative Feuilletonisten.
       
       Trotzdem gilt: Ihr Abstand zu den Durchschnittsverdienern ist enorm. Aber
       genau deswegen muss ja unbedingt geleugnet werden, dass die eigentliche
       Mittelschicht absteigt.
       
       25 Aug 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrike Herrmann
       
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